Jan Polack. Meister der Spätgotik
Mediathek Sorted
Der Aufbau und das Bildprogramm können nur annäherungsweise rekonstruiert werden. Der Aufbau ähnelte dem des Weihenstephaner Altars, nur dass auf der Werktagsseite jeweils drei Bildtafeln übereinander auf den geschlossenen Flügeln angeordnet waren, die vermutlich Passionsszenen zeigten: das Gebet am Ölberg, eine (verschollene) Gefangennahme Christi, Christus vor Pilatus, die Geißelung, die Kreuzigung sowie die Grablege Christi. Öffnete man die Flügel zur Festtagsseite, so wurden folglich zwölf Bildtafeln in vier senkrechten beziehungsweise waagerechten Reihen sichtbar, deren Anordnung umstritten ist. Dargestellt sind unter anderem der Gang Petri über das Wasser, Petrus, wie er Kranke und Besessene heilt (Abb. 9 . ), Petrus im Gefängnis und die Kreuzigung Petri, aus der Pauluslegende die Bekehrung, die Predigt in Damaskus sowie die Geißelung und die Enthauptung des Heiligen.
Die zentralperspektivisch angelegten Architekturen in diesen Tafeln, unter anderem in der Krankenheilung, sind mit einem Meister in Verbindung zu bringen, der offenbar zeitweise in München ansässig war, da er dort 1490 Steuern zahlte, und gelegentlich für Polack arbeitete: der Kupferstecher und Maler Hans Mair von Landshut. Außerdem zeigen die auch auf anderen Gemälden der Polack-Werkstatt festzustellenden gleichmäßigen und mechanisch anmutenden Schraffuren in den Unterzeichnungen unübersehbare Parallelen zu dessen Kupferstichen und Gemälden.[31] Nach Öffnung der inneren Flügel an hohen Festtagen wurde wiederum ein Schrein mit einem Skulpturenprogramm sichtbar, von dem nur ein thronender Petrus erhalten ist. Dieser wird dem Bildhauer Erasmus Grasser (um 1450-1518) zugeschrieben, der für dieselben Auftraggeber wie Polack und gemeinsam mit ihm in St. Peter, in Pipping, im Münchner Rathaus, in Schliersee und Ilmmünster arbeitete.[32]
In die Zeit um 1490 datiert ein Gemälde von der Kreuzauffindung durch die heilige Helena, das sich in St. Martin in Amberg befindet (Abb. 10 . ). Es ist in einen Seitenaltar der Basilika eingefügt, nachdem es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von dem damaligen Dekan aus dem Kunsthandel erworben wurde. Zu sehen ist Helena (248/50-330), die Mutter des römischen Kaisers Konstantin (270/88-337), in einem prächtigen und detailgetreu geschilderten Goldbrokatmantel, wie sie der Legende nach um das Jahr 326 in Jerusalem Grabungen unter einem Venus-Tempel vornehmen ließ, wo man daraufhin Teile vom Kreuz Christi und dessen Grab freilegte.
Zwei Altarflügel mit Darstellungen zum Kindermord von Bethlehem (Abb. 11, 12 . , . ), die sich im Diözesanmuseum Freising befinden, stammen vermutlich aus derselben Zeit. In der Münchner Frauenkirche war den unschuldig ermordeten Kindern, denen die katholische Kirche am 28. Dezember einen eigenen Gedenktag widmet, ein Altar geweiht, zu dem die beiden Flügel möglicherweise gehörten. Auf der zugeklappten Alltagsseite war rechts oben König Herodes in prächtigem Gewand zu sehen (Abb. 12 . ), welcher nach dem Text des Neuen Testaments (Matthäus 2, 16-18) „alle Knäblein zu Bethlehem“ unter zwei Jahren töten ließ, damit der angekündigte „König der Juden“ nicht überleben möge. Ihm gegenüber beklagen zwei Frauen den Tod ihrer Kinder (Abb. 11 . ). Jeweils darunter werden in drastischen Szenen, wie sie in der kirchlichen Malerei der Zeit üblich waren, die mordenden Soldaten geschildert. Auffällig ist die aufeinander bezogene Komposition der vier Tafeln mit abwechselnd blauen und goldenen Hintergründen, alternierenden Komplementärfarben und den einheitlich gefliesten Fußböden auf den unteren Bildern. Auf der Rückseite zeigen die an Festtagen aufgeklappten Flügel jeweils zwei thronende Kirchenlehrer in abwechselnd rotem und grünem Ornat vor geprägtem Goldgrund, von denen sich anhand der Attribute der heilige Papst Clemens mit dem Anker und der heilige Bischof Ambrosius mit der Geißel identifizieren lassen. Die freie Art der Unterzeichnung ohne eine vorherige Skizzierung mit Holzkohle und die großzügige Art der Pinselführung lassen Jan Polack als ausführenden Meister vermuten.[33]
Zwei drastische Szenen aus der Passion Christi, eine Geißelung (Abb. 13 . ) und eine Kreuztragung (Abb. 14 . ), werden im Münchner Stadtmuseum aufbewahrt und wurden sowohl von Buchner (1933) als auch von Weniger (2017) Jan Polack und seiner Werkstatt zugeschrieben. Sie lassen sich vom Thema und von der Größe her mit einer Tafel in Zusammenhang bringen, die sich als Leihgabe des Nationalmuseums Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie im Bezirksmuseum Toruń/Muzeum Okręgowe w Toruniu befindet.[34] Sie zeigt Jesus beim Gebet im Garten Gethsemane, während im Hintergrund die Soldaten des Hohepriesters auf den Ölberg stürmen um Jesus zu verhaften (Abb. 15). Die Tafel gelangte 1927 bei einer Versteigerung aus dem Besitz von Hugo Benario (†1937), einem Berliner Unternehmer, Textilkaufmann und bedeutenden Kunstsammler,[35] in das Schlesische Museum der Bildenden Künste in Breslau, wurde 1942 mit den Breslauer Beständen im niederschlesischen Ort Kamenz/Kamieniec Ząbkowicki eingelagert und kam 1946 nach Warschau.
[31] Sandner: Unterzeichnungstypen 2004 (siehe Anmerkung 22), Seite 86, 92. Vergleiche auch Ulrich Christoffel: Mair von Landshut, in: Pantheon 22, 1938, Seite 303-310 sowie Marianne Gammel: Studien zu Mair von Landshut, Dissertation Technische Universität Berlin, Berlin 2011, Seite 297-309 (Mair von Landshut in der Werkstatt von Jan Polack)
[32] Matthias Weniger: Polack, Grasser, Blutenburger Meister: Die Polack-Werkstatt im Kontext einer Hochkonjunktur Münchner Kunst, in: Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Seite 27; Wallner 2005 (siehe Literatur), Seite 19
[33] Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Katalog Nr. V, Seite 227-232
[34] Inv.-Nr. Śr.431 (186709); MTAd/1843/M/SN, dort datiert in die 1510er-Jahre. Vergleiche Bożena Steinborn/Antoni Ziemba: Malarstwo niemieckie do 1600 roku. Katalog zbiorów / Deutsche Malerei bis 1600. Bestandskatalog, Muzeum Narodowe w Warszawie, Warschau 2000, Seite 244-247, Kat. Nr. 56
[35] Sammlung Hugo Benario/Berlin. Mittelalterliche Plastik / Gemälde …, Versteigerung: Dienstag, den 5. April 1927 …, Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus, Katalog 1976, Berlin 1927, auf: Heidelberger historische Bestände – digital, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lepke1927_04_05/0007, Seite 30, Süddeutsche Schule um 1500, Nr. 124: Christus am Ölberg. Im Hintergrunde Judas, der den Soldaten den Weg zeigt, Tafel 48. In derselben Versteigerung befanden sich auch zwei Tafeln mit ähnlichen Maßen und Titeln, die den Werken im Münchner Stadtmuseum entsprechen: Seite 30, Süddeutsche Schule um 1520, Nr. 112: Geißelung Christi, Nr. 113: Kreuztragung Christi. Online: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lepke1927_04_05/0034/scroll