Die Kinder vom Bullenhuser Damm
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Zwei Stunden, nachdem die dänischen Busse das Lager verlassen hatten, begann gegen 22 Uhr der Abtransport der Kinder und ihrer Betreuer. Trzebinski sagte hierzu im Curiohaus-Prozess aus: „Ich wusste, dass die Kinder und Pfleger nach dem Bullenhuser Damm kamen, es kam abends ein Anruf vom Revier. Ich weiß nicht, wer angerufen hat, denn es wurde vom Telefondienst angenommen. Der Telefondienstwachhabende hat nur gemeldet, Sie sollen nach dem Lager kommen und der Wagen steht bereit. Ich begab mich also zum Lager und da stand der Wagen zum Lagereingang. Der Wagen hielt, der Motor war schon angelassen. Ich sah in den Wagen hinein und da saßen die 20 Kinder und 4 Pfleger und noch 6 andere Männer. In den Wagen stiegen ein, und zwar: hinten Dreimann, Wiehagen und Speck und ich stieg vorn ein. Der Wagen hatte schon einen festen Marschbefehl. Er fuhr zuerst zur Spaldingstraße. Wir kamen nach 1 Stunde dort an. Dreimann, Wiehagen und ich stiegen aus. Speck blieb bei dem Wagen. Oben erschien Strippel uns schon zu erwarten …“[27]
Bei Wilhelm Dreimann und Heinrich Wiehagen handelte es sich um SS-Unterscharführer. Adolf Speck war Kommandoführer im KZ Neuengamme. SS-Obersturmführer Arnold Strippel, der seit 1935 in zahlreichen Konzentrationslagern eingesetzt war, kommandierte als Stützpunktleiter alle Hamburger Außenlager des KZs Neuengamme und galt als mächtigster Mann nach Pauly. Im KZ-Außenlager Hamburg-Hammerbrook in der Spaldingstraße 156-158, wo Strippel seine Kommandostelle hatte, waren im Hinterhaus eines Bürokomplexes bis zu 2.000 Häftlinge aus verschiedenen Nationen vorwiegend aus Polen und der Sowjetunion untergebracht, die nach den Bombenangriffen auf Hamburg für Aufräumarbeiten, zur Leichenbergung und zum Bombenentschärfen eingesetzt wurden. In der Spaldingstraße habe Trzebinski, so dieser in der Vernehmung, Strippel beiseite genommen und ihm gesagt, dass er absichtlich kein Gift mitgenommen habe, weil er es nicht fertig brächte, die Kinder umzubringen. Zum Schluss habe Strippel gesagt: „Wenn du zu feige bist, muss ich eben die Sache in die Hand nehmen.“
Trzebinski berichtete weiter: „Dann fuhr er [Strippel] mit seinem PKW zum Bullenhuser Damm voraus. Wir fuhren hinterher und kamen vielleicht 10 Minuten später dort an. Als wir ankamen und aus dem Wagen stiegen, kamen Strippel und Jauch und Frahm gerade aus der Tür. Strippel ging gleich zu seinem Wagen, der fahrbereit dastand und sagte im Vorbeigehen, die Sache geht in Ordnung. Ich habe es so aufgefasst, dass er was arrangiert hatte, um den Befehl aus Berlin durchzuführen. Jetzt stiegen die Insassen des Wagens aus, die Russen, die Pfleger und die Kinder zuerst. Die Russen wurden in den Raum, wo die Heizungsanlagen waren, geführt. Jetzt wurden die Pfleger und die Kinder reingelassen. Die Pfleger kamen in einen Raum gegenüber vom Eingang der Kinder. Die Kinder wurden in einen Luftschutzraum geführt. […] Ich blieb also bei den Kindern, die sich ängstigten. Die Kinder hatten ihr ganzes Gepäck mit, darunter Lebensmittel, selbstgebasteltes Spielzeug usw. Sie ließen sich auf den Bänken ringsum nieder und waren guter Dinge und freuten sich, dass sie einmal herausgekommen waren. Die Kinder waren vollkommen ahnungslos. Sie waren im Alter von 5-12 Jahren und zwar die Hälfte Jungen, die andere Hälfte Mädchen. Die Kinder sprachen alle ein gebrochenes Deutsch mit polnischem Akzent.“ Während dieser Zeit erhängten Jauch, Dreimann und Frahm im Nebenraum die Ärzte Florence und Quenouille, die Pfleger Hölzel und Deutekom sowie die sechs sowjetischen Gefangenen, die mit ihnen zusammen aus Neuengamme transportiert worden waren.
Trzebinski fuhr fort: „Nach einer Weile kam Frahm rein und sagte, die Kinder sollen sich ausziehen. Ich sah, dass die Kinder etwas stutzten, und deswegen sagte ich, ihr sollt euch ausziehen, weil ihr noch gegen Typhus geimpft werden sollt. Ich nahm jetzt Frahm vor die Tür, damit die Kinder nichts hören konnten, und fragte ihn dort leise, was soll mit den Kindern geschehen? Frahm war auch ganz blass und sagte, ich soll die Kinder aufhängen. […] Ich wusste nun, welches schreckliche Ende den Kindern bevorstand und wollte ihnen wenigstens die letzten Stunden erleichtern. Ich hatte Morphium mit und zwar eine Lösung 0,2 auf 20,0. Um dies richtig dosieren zu können, habe ich diese Flasche noch mit 100 gr. Destillationswasser verdünnt. Auf diese Weise konnte ich im Hinblick auf das Alter der Kinder besser dosieren. Ich trat vor die Tür des Raumes, wo ein Schemel für die Spritzen stand und daneben ein anderer Schemel. Ich rief einzeln ein Kind nach dem anderen. Sie legten sich über den Schemel und ich gab ihnen die Spritze ins Gesäß, wo es am schmerzlosesten ist. […] Die Kinder fingen an müde zu werden und wir legten sie auf die Erde und deckten sie zu mit ihren Kleidern. Zwischendurch ging Frahm oft weg und ich hatte den Eindruck, dass er auch an den Exekutionen der Männer teilnahm. Ich muss zu den Kindern allgemein sagen, sie waren in einem ganz guten Zustand bis auf einen 12jährigen Jungen, der in einem sehr schlechten Zustand war. Dieser Junge schlief infolge dessen auch sehr schnell ein. Nach 20 Minuten kam Frahm. Es waren noch 6-8 Kinder wach, die anderen schliefen schon. […] Frahm nahm den 12jährigen Jungen auf den Arm und sagte zu den anderen, er wird jetzt ins Bett gebracht. Er ging mit ihm in einen Raum, der vielleicht 6-8 m von dem Aufenthaltsraum entfernt war und dort sah ich schon eine Schlinge an einem Haken. In diese Schlinge hängte Frahm den schlafenden Knaben ein, und hängte sich mit seinem ganzen Körpergewicht an den Körper des Jungen, damit die Schlinge sich zuzog. Ich habe in meiner KZ-Zeit schon viel menschliches Leid gesehen und war auch gewissermaßen abgestumpft, aber Kinder erhängt habe ich noch nie gesehen. Mir wurde nicht gut und ich ging aus dem Gebäude hinaus und ich bin ein paarmal um den Straßenkomplex herumgewandert.“
[27] Aussage Dr. Alfred Trzebinski am 24.4.1946, Curiohaus-Prozess 1969 (siehe Literatur), Band III, Seite 346–351, zitiert nach: Dossier Täter vor Gericht (siehe Anmerkung 1; auch bei Schwarberg: SS-Arzt 1997 (siehe Literatur), Seite 56