Władysław Szpilman (1911–2000). „Der“ Pianist
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Die Nachkriegsjahre
Nach der Befreiung Warschaus nahm Władysław Szpilman seine Arbeit beim Polnischen Rundfunk wieder auf und leitete unter anderem die Redaktion für Unterhaltungsmusik. In der ersten Live-Sendung nach dem Krieg spielte er erneut das „Nocturne cis-Moll“ von Fryderyk Chopin, das Stück, das er während seiner letzten Sendung am 23. September 1939 vorgetragen hatte, bevor der Rundfunk fast sechs Jahre verstummte. 1948 lernte er in Krynica seine Frau Halina, geborene Grzecznarowska, kennen, eine Medizinstudentin, die später als sozial engagierte Ärztin wirkte. Die beiden waren fünfzig Jahre ein harmonisches Paar (Halina Szpilman starb im Juli 2020 mit 92 Jahren – Anm. der Autorin). Die Kriegsvergangenheit des Ehemannes blieb indessen ausgespart. Halina Szpilman sagte in einem Interview, sie habe schon alles aus den Memoiren gewusst, die sie gelesen habe, bevor sie ihren Mann kennenlernte. Darum habe es keinen Grund gegeben, zu diesen Erinnerungen zurückzukehren.
Der Pianist war auch ein leidenschaftlicher Komponist. Er hinterließ über 500 Lieder, Filmmusik (zum Beispiel zu „Zadzwońcie do mojej żony“ [„Ruft meine Frau an“] 1957), Hörspiele für Kinder und Symphonien. Außerdem initiierte Władysław Szpilman als Freund der Unterhaltungsmusik die Organisation des Internationalen Musikfestivals in Sopot (Zoppot), das 1961 erstmals stattgefunden hat. Über die Idee ihres Mannes äußerte sich Halina Szpilman folgendermaßen: „Auf der Rückfahrt vom italienischen Festival in Pesaro dachte Władek darüber nach, dass Musik aus Polen in der Welt unbekannt sei. Deshalb müsse man die Werbetrommel für sie rühren und ein Festival ins Leben rufen, zu dem ausländische Gäste eingeladen würden. Diese Idee wurde realisiert, so dass in Zoppot eine Veranstaltung begründet wurde, die jedes Jahr im August stattfindet und ein großes Publikum hat.“[20]
Die Melodien von Władysław Szpilman wurden von vielen bekannten Sängern und Sängerinnen wie Mieczysław Fogg, Sława Przybylska, Helena Majdaniec und Violetta Villas interpretiert, die Szpilman entdeckte und deren Karriere er gefördert hat. 1963 verließ er dann den Rundfunk, um sich intensiv als Konzertpianist zu betätigen. Mit Bronisław Gimpel, Tadeusz Wroński, Stefan Kamasa und Aleksander Ciechański vereinte er sich zum „Warschauer Quintett“ (Kwintet Warszawski), in dem er bis 1986 spielte. In diesem Zeitraum hat Szpilman weltweit über zwei Tausend Auftritte absolviert. Trotz seiner großen Popularität und durchaus lukrativer Angebote, im Westen bzw. in den USA zu bleiben, hat er nie mit dem Gedanken gespielt, auszuwandern. Dafür lag ihm seine Heimatstadt Warschau zu sehr am Herzen. Als ihn der berühmte Geiger Krzysztof Jakowicz einst fragte, warum er das Land nicht verlassen und sein Glück beispielsweise in Hollywood versuchen wolle, antwortete er: „Das könnte ich nicht. Warschau ist meine Welt, mein Leben. Ohne einen Gang über die Krakowskie Przedmieście, ohne ein Treffen mit meinem Freunden im Kawiarnia Europejska, gibt es für mich kein Leben.“[21]
[20] Halina Szpilman, in: Żona pianisty. Halina Szpilman w rozmowie z Filipem Mazurczakiem [Die Gattin des Pianisten. Helena Szpilman im Gespräch mit Filip Mazurczak], Kraków 2020, Seiten 103-104, zitiert nach J. Materna, M. Nitner: Władysław Szpilman. Gabinet wirtuoza [Władysław Szpilman. Das Arbeitszimmer des Virtuosen], Auktionskatalog anlässlich der Versteigerung persönlicher Gegenstände des Pianisten am 22. September 2020 im Auktionshaus Desa Unicum in Warschau, Seite 66.
[21] Krzysztof Jakowicz, in: J. Materna, M. Nitner: Władysław Szpilman. Gabinet wirtuoza [Władysław Szpilman. Das Arbeitszimmer des Virtuosen], Auktionskatalog anlässlich der Versteigerung persönlicher Gegenstände des Pianisten am 22. September 2020 im Auktionshaus Desa Unicum in Warschau, Seite 37. [Die Krakowskie Przedmieście ist eine bekannte Flaniermeile im Zentrum Warschaus, an der sich auch das geschichtsträchtige Hotel Europejski (Europäischer Hof) mit dem Kawiarnia Europejska (Café Europa) befindet – Anm. d. Übers.].