Władysław Szpilman (1911–2000). „Der“ Pianist
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Die wundersame Rettung
Mitte November 1944 gab es dann eine Zusammenkunft, die nicht nur Szpilmans Leben rettete. Sie ging dank seiner Memoiren und vor allem durch den Film von Roman Polański auch in die Geschichte ein. Als Szpilman eines Tages eine verlassene Wohnung nach Essbarem durchstöberte, wurde er dabei von einem Wehrmachtsoffizier ertappt. Dieser entschied sich, ihn nicht auf der Stelle zu töten und als er von dem völlig entkräfteten Mann erfuhr, er sei Pianist, befahl er ihm, etwas auf dem noch vorhandenen Flügel zu spielen. „Ich spielte Chopins Nocturne cis-Moll. Der gläserne, klirrende Ton, den die verstimmten Seiten hervorbrachten, hallte in der leeren Wohnung und im Treppenhaus wider, flog auf die andere Straßenseite durch die Ruinen der Villa und kehrte als gedämpftes, wehmütiges Echo zurück. Als ich geendet hatte, schien die Stille noch dumpfer und gespenstischer.“[15]
Dieser deutsche Offizier versorgte Szpilman in den folgenden Wochen in seinem Versteck auf dem Dachboden der Villa mit Lebensmitteln, die er in tagesaktuelle Zeitungen eingewickelt überbrachte. So erfuhr der Pianist von Deutschlands zunehmend heikler Lage und von der aus dem Osten anrückenden Roten Armee. Die beiden Männer sahen sich das letzte Mal am 12. Dezember, als die Russen bereits kurz vor Warschau standen, woraufhin der deutsche Offizier und seine Einheit aus der polnischen Hauptstadt abgezogen sind. Szpilman blieb daraufhin bis zur Befreiung Warschaus am 17. Januar 1945 in seinem Unterschlupf auf dem Speicher. Das Ende des Kriegs und die zurückgewonnene Freiheit markierten unter diesen Bedingungen weniger einen nächsten Lebensabschnitt als vielmehr den Beginn eines neuen Lebens: „Von morgen an mußte ich ein neues Leben beginnen. Aber wie, wenn hinter einem nur der Tod lag? Welche Lebenskräfte konnte man aus dem Tod schöpfen?“, fragte sich Szpilman, während er durch die Straßen der verwüsteten Stadt zog.[16]
Viele Jahre wusste der Musiker nicht, wer dieser deutsche Offizier war, der ihn am Leben ließ und ihm half, die letzten Wochen im besetzten Warschau zu überstehen. In der Erstausgabe von Szpilmans Erinnerungen an die Kriegszeit, die 1946 unter dem Titel „Śmierć miasta“ („Tod einer Stadt“) erschienen, blieb der Retter noch anonym.[3] Außerdem wurde er nicht als Deutscher, sondern als Österreicher deklariert. Diese Herkunft unterfiel nicht der sozialistischen Zensur, während es einen „guten Deutschen“ damals politisch wie gesellschaftlich nicht geben durfte. Władysław Szpilman lernte den Namen seines Retters, Wilhelm (Wilm) Hosenfeld, jedenfalls erst 1950 kennen. Zu der Zeit befand sich der Deutsche bereits seit fünf Jahren in russischer Gefangenschaft, in die er am 17. Januar 1945 in Błonie bei Warschau geriet. Als Wehrmachtsoffizier wurde er gefoltert und schließlich zur Todesstrafe verurteilt, die später in 25 Jahre Arbeitslager umgewandelt wurde. Wilm Hosenfeld schaffte es heimlich, eine Liste der Personen weiterzugeben, denen er im Krieg geholfen hat. Eine von ihnen und 1950 auch Władysław Szpilman versuchten daraufhin erfolglos, Hosenfeld aus der Gefangenschaft herauszulösen. Die schweren Bedingungen, unter denen die Zwangsarbeit zu verrichten war, führten zu einem Schlaganfall mit anhaltenden Lähmungen. Er starb am 13. August 1952 im Alter von 57 Jahren.
Die Wandlung durch den Krieg
Wilm Hosenfeld kommt in Roman Polańskis Film „Der Pianist“ nur am Rande vor. Dabei hatte er sich unter dem Eindruck seiner Kriegserlebnisse gewandelt. Noch 1940 war in einem Brief an seine Ehefrau von Hitlers „Genie“ zu lesen, doch die Gräueltaten der Nazis, die er in Polen miterlebte, machten ihn zu einem scharfen Kritiker ihrer Verbrechen.[17] Wilm Hosenfeld notiert am 16. Juni 1943 in seinem Tagebuch: „So wollen wir den Krieg gewinnen, diese Bestien. Mit diesem entsetzlichen Judenmassenmord haben wir den Krieg verloren. Wir haben eine unaustilgbare Schande, einen unauslöschlichen Fluch auf uns geladen. Wir verdienen keine Gnade, wir sind alle mitschuldig. Ich schäme mich, in die Stadt zu gehen, jeder Pole hat das Recht, vor uns auszuspucken. Täglich werden deutsche Soldaten erschossen. Es wird noch schlimmer kommen, und wir haben kein Recht, uns darüber zu beschweren, wir haben‛s nicht anders verdient, jeden Tag wird es mir unheimlicher hier zumute.“[18]
Der deutsche Offizier nutzte jedenfalls seinerzeit seine Position aus und beschloss, Polen und Juden zu helfen. Es gelang ihm, mindestens zwölf Menschen zu retten. 2007 wurde Wilm Hosenfeld postum von Lech Kaczyński, dem damaligen Präsidenten der Republik Polen, mit dem Komturkreuz des Ordens Polonia Restituta geehrt. 2008 erhielt er auf Antrag von Władysław Szpilman und seinem Sohn Andrzej auch den Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“, den die israelische Gedenkstätte Yad Vashem an Menschen verleiht, die Juden im Zweiten Weltkrieg vor dem Tod gerettet und dabei oft ihr eigenes Leben eingesetzt haben.
[15] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 179.
[16] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 187.
[17] „Śmierć miasta“ von Władysław Szpilman erschien nur 1946 in einer stark zensierten Fassung. Anschließend haben mehrere Verlage vergeblich versucht, die Originalversion zu publizieren. Die erste unzensierte polnische Ausgabe erschien 2001 unter dem Titel „Pianista. Warszawskie wspomnienia 1939-1945“ [„Der Pianist. Warschauer Erinnerungen 1939-1945“].
[18] Maeck, Stephanie: Der Nazi, der Juden und Polen rettete, in: Der Spiegel Geschichte, 23.11.2015, https://www.spiegel.de/geschichte/der-pianist-die-wahre-geschichte-hinter-dem-film-a-1058479.html (zuletzt aufgerufen am 20.09.2020).
[19] Auszüge aus dem Tagebuch von Wilm Hosenfeld wurden 2001 in der unzensierten polnischen Erstausgabe von Szpilmans Memoiren veröffentlicht. Hier zitiert nach Władysław Szpilman: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 206.