Tadeusz Rolke. Meister der Dokumentarfotografie
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Das Stipendium erlaubt Rolke den ersten Besuch Deutschlands nach 1945, vor allem aber den ersten Besuch Westdeutschlands (im Krieg war er nur im Osten gewesen – Anm. d. Autorin). Der Wohlstand, der hier allgegenwärtig ist, beeindruckt ihn sehr:
„Das war doch ein sehr großer Zivilisationsunterschied zwischen den beiden Ländern damals. Dieser Lebensstandard und die Geschäfte ... Das war nicht zu vergleichen. Mit einem Wort: Die Deutschen haben den Krieg gewonnen, und Polen hat den Krieg verloren. Das war mein Fazit.“[8]
Rolke beschließt, nach dem Stipendium nicht mehr nach Polen zurückzukehren. Die ersten Aufträge erhält er als Fotograf bei Filmproduktionen, für die er Schauspielerporträts und Bilder am Set macht. Später zieht er nach Hamburg, wo er kurz als fest angestellter Fotograf im Heinrich Bauer Verlag und dann als „Freelancer“ wirkt. Hier macht er für diverse Firmen Fotos von Hamburger Künstlern, wobei auch erste Fotoreportagen entstehen, die in der Presse erscheinen. Rolke unternimmt außerdem Reisen durch Deutschland und arbeitet für Inter Nationes, eine staatliche Agentur in Bonn, zu deren Aufgaben die kulturelle Öffentlichkeitsarbeit für die Bundesrepublik gehört. Damals entstehen Fotografien wichtiger westdeutscher Künstler, etwa des Malers Gerhard Richter, des Malers und Happeningkünstlers Wolf Vostell sowie des vielseitigen Joseph Beuys. Das Bild von ihm, als er sich an die Haube eines VW-Käfers lehnt, gehört zu den bekanntesten Werken Rolkes.
Die unruhigen 1970er Jahre in Polen, die wachsenden Proteste gegen die Regierung und die Repression gegen die „Unbeugsamen“ wecken in dieser Zeit ein zunehmendes Interesse am Land und seiner Bevölkerung. Rolkes Reportagen erscheinen in den größten westdeutschen Zeitschriften: „Stern“, „Die Zeit“, „Der Spiegel“ und „GEO“. Viel Aufmerksamkeit finden seine Fotos des berühmten Hamburger Fischmarkts. Rolke zeigt den Ort wie niemand sonst als einzigartige Mischung aus geschäftigem Markttreiben und vitalem Leben, das dort ebenfalls eine große Rolle spielt. Die Bilder des Fischmarkts werden zugleich zu Rolkes größter Fotoreportage. Er erinnert sich wie folgt:
„Auf diesem Markt pulsierten sehr interessante gesellschaftliche Aktivitäten. Sein Besuch war wie eine Jagd. Es war immer sehr aufregend, wie viele Bilder ich an dem Tag schießen würde. Ich wusste das schon am Nachmittag: Fünf Fotos sind ein guter Tag. (…) Ich war fasziniert - von dem Verhalten der Menschen, von ihren Interaktionen und deren Vielfalt, von den Kneipen, von der ganzen Lockerheit - Es war ein Kessel.“[9]
Während seines Aufenthalts in Deutschland gelingt es Rolke nach einigen Jahren Karenzzeit, in denen er kein Pass erhielt, Polen mehrfach zu besuchen. Dort herrscht der „Karneval der Solidarność“ – eine unabhängige Presse entsteht, das kommunistische Regime gibt sich liberaler, die Regierung erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern Freiheiten. In dieser Zeit realisiert Rolke unter anderem für den „Stern“ eine große Reportage vom Kongress der „Solidarność“ an der Technischen Hochschule in Warschau (Politechnika Warszawska). Doch die Entspannung in Polen ist nur von kurzer Dauer. Sie endet mit der Ausrufung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981. Diese Nachricht erreicht Rolke auf dem Fischmarkt in Hamburg. Einige Tage später beschließt er, nach Polen zurückzukehren, wo er kaum Bilder macht, da er sich nach eigener Aussage nicht als politischer Fotograf versteht. Zu der Zeit konzentriert er sich, inspiriert von Erichs Fromms „Die Kunst des Liebens“, auf die Vorbereitung eines Albums über die Liebe, das aber jedoch nie veröffentlich wurde. Er arbeitet jetzt für das deutsche Kunstmagazin „Art“ und veröffentlicht seine Reportagen aus Polen in den Zeitschriften „GEO“, „Stern“ und „Brigitte“.
In Polen ist Tadeusz Rolke vor allem als Chronist des Alltags und des sozialen Wandels bekannt, zu dessen Zeuge er in Jahrzehnten wurde. Seine wichtigste Ausstellung zu diesen Themen unter dem Titel „Jutro będzie lepiej“ (Morgen wird es besser) zeigte 2011 Fotografien der politischen Wende im Jahr 1989 sowie aus den frühen 1990er Jahren. Die Bilder belegen die Begabung des Fotografen für den richtigen Moment. Rolke ist wie kaum jemand sonst in der Lage, das Außergewöhnliche im Alltäglichen wahrzunehmen. Er versteht es meisterhaft, die Augenblicke festzuhalten, die andere gleichgültig lassen. Zu seinen Arbeiten zählen außerdem exzellente Bilder polnischer Künstlerinnen und Künstler wie Tadeusz Kantor, des Malers Nikifor, von Kora Jackowska, der Frontfrau der Band „Maanam“, von Alina Szapocznikow, Zbigniew Cybulski und Kalina Jędrusik.
[8] Tadeusz Rolke, Wie ich unter die Deutschen geriet. Ein Gespräch, Edition.fotoTAPETA, Berlin 2019, S. 93.
[9] Tadeusz Rolke. Moja namiętność, S. 293 und 295.