Stanislaus Kostka in Recklinghausen-Suderwich. Darstellung eines polnischen Nationalheiligen auf einem Farbfenster in der St.-Johannes-Kirche
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Recklinghausen
Als Hauptort des gleichnamigen „Vests“ gehörte die Stadt Recklinghausen seit dem hohen Mittelalter zum Herrschaftsbereich der Kölner Erzbischöfe. Infolgedessen blieb die Bevölkerung während der Reformationszeit katholisch. 1815 teilte der Wiener Kongress die Region dem protestantisch geprägten Königreich Preußen zu, was unter anderem den Zuzug von evangelischen Führungskräften und Verwaltungsbeamten nach sich zog. Mit dem Beginn des Steinkohlenbergbaus verstärkte sich diese Zuwanderung in erheblichem Ausmaß. Nach der Deutschen Reichsgründung von 1871 kam es durch den preußischen „Kulturkampf“ auch hier zu erheblichen Spannungen zwischen den beiden christlichen Konfessionen. So blockierte die preußische Regierung 1879 in Suderwich nach dem Tod des Pastors eine Wiederbesetzung der Pfarrstelle mehrere Jahre lang. In diesem Dorf, das 1926 nach Recklinghausen eingemeindet werden sollte, war diese Diskriminierung noch nach mehreren Jahrzehnten nicht vergessen.
Südöstlich der Stadt wurden 1856/57 erste Grubenfelder für die Zeche Henriettenglück I/II/III verliehen. Unter dem Eindruck der Reichsgründung erfolgte 1872 eine Umbenennung in König Ludwig I/II/III. Als neuen Namensgeber wählte man den bayrischen Monarchen Ludwig II., dessen Andenken als romantischer „Märchenkönig“ noch heute aufgrund seiner prunkvollen Schlösser (Neuschwanstein, Herrenchiemsee, Linderhof) Popularität genießt. In Recklinghausen sollte diese Namensänderung an die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser erinnern, die 1871 durch einen (von Otto von Bismarck verfassten) „Kaiserbrief“ Ludwigs II. initiiert worden war. Somit beinhaltete dieser Zechenname eine patriotisch-protestantische Symbolkraft [ . ].
Die Zeche König Ludwig I/II/III nahm 1885 die Förderung auf. Zur Jahrhundertwende war mehr als die Hälfte der Gesamtbelegschaft polnischsprachig. Sechs Kilometer entfernt ging 1902 das Bergwerk Ludwig IV/V in Betrieb. Dessen Schächte waren am Ortsrand von Suderwich abgeteuft worden. Im bitterkalten Nachkriegswinter 1946/47 bekam diese Zeche unerwartet eine bemerkenswerte kulturelle Bedeutung, indem sie dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg „illegal“ Ruhrkohle lieferte. Das Theater bedankte sich fortan mit Gastspielen: Keimzelle der weltberühmten Ruhrfestspiele. Bis zur Errichtung eines eigenen Festspielhauses fanden die Aufführungen im Recklinghäuser Saalbau statt. Darüber hinaus veranstaltete die Hamburger Staatsoper auch „Invalidenkonzerte“ in der Lohnhalle von König Ludwig I/II/III und bekundete dadurch ihre besondere Verbundenheit mit den Bergleuten [ ., ., ., ., ., . ].
Die St.-Johannes-Kirche in Suderwich
Bereits um 1250 gab es in Suderwich eine kleine Holzkirche, die Johannes dem Täufer geweiht war. Nach einem Brand wurde sie 1441 durch ein Gotteshaus aus Sandstein ersetzt. 1626 errichtete man einen neuen Glockenturm, 1821/22 ein neues Kirchenschiff.
Seit den 1870er Jahren wohnten in Suderwich vereinzelt auch Bergleute, die auf den Zechen der benachbarten Ortschaften arbeiteten. Als sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Förderbeginn auf König Ludwig IV/V abzeichnete, nahm der Zustrom von Bergarbeitern binnen kurzem enorme Ausmaße an. Die Einwohnerzahl des Dorfes stieg allein zwischen 1900 und 1914 von 1.448 auf 6.953 Personen. Da die kleine Dorfkirche bald nicht mehr ausreichte, beschloss die Gemeinde 1899 einen großzügigen Neubau. Den Entwurf lieferte der Architekt Franz Lohmann, von dem auch die Baupläne für vier weitere Gotteshäuser auf heutigem Recklinghäuser Stadtgebiet stammen [ ., ., ., . ].
Der „Suderwicher Dom“ wurde am 20. Oktober 1904 eingeweiht, eine weiträumige Hallenkirche mit einem Turm von 75 Metern Höhe. Der Innenraum wurde mit qualitätsvollem Inventar ausgestattet, das bis heute weitgehend erhalten geblieben ist: drei neugotische Schnitzaltäre, vier Beichtstühle, zahlreiche Kirchenbänke. Erhalten blieben auch sämtliche Farbfenster, was für das Ruhrgebiet sehr selten ist. Daher fasziniert diese Kirche auch gegenwärtig noch als ein sakrales „Gesamtkunstwerk“. Darüber hinaus ist sie ein eindrucksvoller Erinnerungsort an Bergbau- und Kulturgeschichte im vestischen Ruhrrevier [ . ].
Auch in Suderwich waren längst nicht alle Zuwander:innen deutscher Nationalität, sondern kamen aus den tschechischen Sprachgebieten der österreich-ungarischen Doppelmonarchie sowie vor allem – mit polnischer Muttersprache – aus den preußischen Ostprovinzen. Infolgedessen feierte die katholische Kirchengemeinde seit den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts auch Gottesdienste in polnischer und tschechischer Sprache. 1904 kam ein Pater aus dem Dortmunder Franziskanerkloster zu einzelnen Terminen nach Suderwich. Danach amtierten hier westfälische Kapläne, die sich die erforderlichen Fremdsprachenkenntnisse zuvor angeeignet hatten: Heinrich Theißelmann (1905–1907) und Robert Zumloh (1910–1914).
Die nationale Vielfalt spiegelte sich in Suderwich auch im kirchlichen Vereinswesen wider. Nachgewiesen sind unter anderem ein Sankt-Wenzel-Verein (für die Tschechen) und ein Sankt-Stanislaus-Verein (für die Polen). 1909 gründeten polnische Bergleute zudem einen „Arbeiterverein St. Josef“. Dies geschah als Antwort auf die Weigerung des einheimischen, bereits 1881 gegründeten „Knappenvereins Sankt Barbara“, zugewanderte Arbeiter aufzunehmen. Offenbar wollten sich die standesbewussten deutschen Bergleute gegenüber den polnischen Kollegen abgrenzen. Der heilige Josef wurde damals auch zum Schutzpatron einer 1906 gegründeten ruhrpolnischen „Bruderschaft des Hl. Rosenkranzes der Frauen in Suderwich“ ausgewählt, von der eine Vereinsfahne mit polnischer Beschriftung zeugt [ . ]. Außerdem erinnert – wie anfangs erwähnt – eine Fensterdarstellung des heiligen Stanislaus Kostka in der St.-Johannes-Kirche an den Zuzug von ruhrpolnischen Katholik:innen nach Suderwich [ . ].