Roland Schefferski - Künstlerische Strategien zum kulturellen Gedächtnis
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Simone Froboese: Roland Schefferski
Mit zwei Projekten knüpft er an seine künstlerischen Untersuchungen zum kulturellen Gedächtnis vom Ende der Neunzigerjahre an. 2003 präsentiert er unter dem Titel Inwentaryzacja/Bestandsaufnahme im Lebuser Landesmuseum in Zielona Góra, dem früheren Grünberg, kulturhistorische Objekte aus dem Museumsmagazin, die deutscher Herkunft sind (Abb. 15 a, b). Dabei geht es dem Künstler nicht um eine Dokumentation der Objekte, sondern um die „Bestandsaufnahme“ jener Gedanken und Reflexionen, die sie bei den polnischen und deutschen Besuchern auslösen.[15] Eine von ihm organisierte Fragebogen-Aktion bestätigt die Präsenz dieser Gegenstände im kulturellen Gedächtnis beider Besuchergruppen.[16] Eine Gesprächsrunde mit geladenen Künstlern, Kulturmanagern und Geisteswissenschaftlern fördert zwar „Polemik, Emotionen und nationalen Stolz“ zutage, findet aber „immer wieder zurück zur Kunst und zur persönlichen Ebene des menschlichen Erlebens.“[17] 2009 zeigt Schefferski unter dem Titel reKonstruktion im wiederhergestellten Pomona-Tempel unterhalb des Belvedere auf dem Pfingstberg in Potsdam eine Diainstallation mit Bildern des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Schinkel-Baus (Abb. 16 a, b), um das Kriegsgeschehen an diesem besonderen Ort dem kulturellen Gedächtnis der Besucher wieder zugänglich zu machen.
Im Jahr 2000 beginnt Schefferski eine bislang nicht beendete Werkreihe mit dem Titel Empty Images, die formal an die Ausgelöschten Bilder von 1997/98 anschließt. Im Zentrum der neuen Arbeiten steht der manipulative Charakter von Bildmedien. Aus den Titelseiten der Los Angeles Times, der Berliner Zeitung und der Bild schneidet der Künstler Bilder aus (Abb. 17 a, b), um darauf hinzuweisen, dass diese den betreffenden Text nicht nur illustrieren, sondern auch inhaltlich beeinflussen können.[18] Bei Arbeiten mit der Zeitung Financial Times, die er in der gleichnamigen Installation 2012 im Collegium Polonicum in Słubice zeigt, legt er tiefere Schichten der Zeitungsausgabe frei, um Abbildungen aus dem hinteren Teil mit dem Text der Titelseite zu konfrontieren (Abb. 18 a, b).
2011 erhält er vom Lebuser Landesmuseum das Angebot, ein Konvolut von 1200 Diapositiven aus dem 1938 von den Nationalsozialisten aufgelösten Jüdischen Museum in Berlin zum Gegenstand einer künstlerischen Arbeit zu machen. Der Künstler thematisiert, dass Denkmäler der jüdischen Kultur und Bilder des jüdischen Alltagslebens, wie sie die Fotografien zeigen, nach der fast vollständigen Vernichtung durch die Nationalsozialisten auch aus dem kulturellen Gedächtnis der Deutschen ebenso wie der Polen verschwunden sind. In einer ersten Aktion legt er in großer Auflage produzierte Kopien der Fotomotive Büchern bei, die in den Stadtbibliotheken von Frankfurt (Oder), Guben, Słubice, Stettin/Szczecin, Zielona Góra und Zittau in den normalen Leihverkehr gelangen. Das Ziel ist, die Nutzer kommentarlos wieder mit Bildern der jüdischen Kultur vertraut zu machen. 2012 entwickelt er für das Lebuser Landesmuseum unter dem Titel Aus dem Leben von Europäern eine Installation in zwei Räumen. In einem ansonsten leeren „Denkraum“ zeigt er 1200 leere Glasplatten auf einem unterhalb der Decke umlaufenden Glasregal, um auf das Fehlen dieser Bildmotive im kollektiven Gedächtnis aufmerksam zu machen. Im zweiten Raum präsentiert er eine Diaschau der historischen Fotografien (Abb. 19 a, b, c). Seine innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten entstandene Werkgruppe der „ausgelöschten“, „leeren“ und schließlich der fehlenden Bilder beschäftigt sich auf unterschiedlichen Ebenen mit fotografischen Bildmedien, die zentraler Gegenstand des kulturellen und des kollektiven Gedächtnisses sind.
Schefferskis verschiedene Werkzyklen thematisieren, welchen Einfluss Bilder auf Vorgänge des Erinnerns haben und welchen Manipulationen Bildmedien ebenso wie das kulturelle und das kollektive Gedächtnis ständig unterworfen sind. Dabei distanziert sich der Künstler von der offiziellen auf Gedenktage und Trauerorte fokussierten Erinnerungskultur. Seit seinen frühen Objekten und Environments bietet er vielmehr Bausteine und Strategien an, die Vergessenes und Verdrängtes ins kollektive Bewusstsein zurückholen können.
Axel Feuß, Juni 2015
[15] Christoph Rasch: Es siegt das Bedürfnis nach Schönheit, in: Katalog Zielona Góra 2005, S. 115
[16] „Niemanden hat die Tatsache gewundert, dass die Gegenstände der ‚Bestandsaufnahme‘ aus der Zeitperiode stammen, in der Grünberg und Niederschlesien unter dem Einfluss der deutschen Kultur standen. ‚Das ist keine Überraschung, sondern eine bekannte Tatsache aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts‘, hat einer der Befragten geschrieben.“ (Leszek Kania: Gedächtnis der Gegenstände, in: Katalog Zielona Góra 2005, S. 69)
[17] Christoph Rasch (s. Anm. 15), S. 116
[18] Gezeigt auf den Ausstellungen New(s)papers, Galerie miejsce – der Ort, Berlin 2006; Empty Images, Centrum Sztuki Współczesnej Łaźnia, Danzig 2007; Empty Images, Muzeum Warmii i Mazur, Olsztyn 2007. Zur Werkgruppe vgl. Mirosława Moszkowicz: Empty Images, in: Format Art Magazine, Bd. 51, Nr. 1, Wrocław 2007 (deutsch auf artpositions.blogspot.de)