Roland Schefferski - Künstlerische Strategien zum kulturellen Gedächtnis
Mediathek Sorted
Simone Froboese: Roland Schefferski
Mit der Berliner Ausstellung Ausgelöschte Bilder beginnt Schefferski 1997 einen neuen gleichnamigen Werkzyklus (Abb. 3). Er schneidet private Fotos aus der Nazizeit, die er in Fotoalben auf Flohmärkten gefunden hat, soweit aus, dass nur ein schmaler Rand der Motive stehen bleibt. Für den Künstler ist dies eine einfache Strategie, auf den Verdrängungsprozess hinzuweisen, der in Deutschland in der Nachkriegszeit stattgefunden hat. Die Betrachter werden veranlasst nachzuforschen, was in ihrem eigenen Gedächtnis an Bildern der Zeit erhalten geblieben ist. In der Danziger Ausstellung Fragmentaryczność Pamięci/Fragmentierung des Gedächtnisses kann an ähnlichen Objekten auch die in Polen nach dem Krieg versuchte Auslöschung der deutschen Vergangenheit assoziiert werden.[5] In interaktiver Aktion mit dem Betrachter appellieren die Ausgelöschten Bilder an das kulturelle und kollektive Gedächtnis beider beteiligter Nationen.[6] Mit dem kollektiven Gedächtnis der Polen arbeitet Schefferskis Aktion Stwórz sobie własny obraz Berlina/Mach dir dein eigenes Bild von Berlin, bei der der Künstler im Jahr 2000 in Warschau auf fünfzig Plakatwänden nur die Ränder der offiziellen deutschen Berlin-Werbung zeigt und damit die Einwohner der polnischen Hauptstadt einlädt, ihr möglicherweise von Klischees geprägtes Bild der Deutschen zu überprüfen (Abb. 8).[7]
Zahlreiche künstlerische Aktionen von Schefferski beruhen auf interaktiven Prozessen und greifen temporär, unerwartet und manchmal kaum merklich in den Kunstbetrieb oder in den Alltag ein. In seiner Aktion Berliner, die er zwischen 2000 und 2012 in Ausstellungen unter anderem in Warschau, Los Angeles, Berlin und Krakau durchführt,[8] lädt er Besucher dazu ein, an der Garderobe ihre Mäntel und Jacken gegen solche einzutauschen, die er zuvor mit den Silhouetten realer in Berlin lebender Personen bestickt hat (Abb. 9). Er erzielt so eine symbolische Interaktion zwischen teilweise entfernten Orten und Personengruppen. Gespräche initiiert er zwischen Kulturschaffenden und zufälligen Passanten oder Besuchern unter anderem 1998 in Mailand,[9] 2002 in Linz anlässlich der dortigen Festtage,[10] 2003 anlässlich seiner Installation Inwentaryzacja/Bestandsaufnahme im Lebuser Landesmuseum in Zielona Góra (Abb. 15 a, b) und 2006 in Berlin-Neukölln unter dem Titel Gespräch im grünen Bereich (Abb. 12).[11]
Seine Installationen im öffentlichen Raum vermitteln Diskussionsansätze zur Wahrnehmung bestimmter Orte. Mit einer Wohnzimmereinrichtung und einer Toninstallation von Gesprächen einer deutschen und einer polnischen Familie „belebt“ er die Ruinen der Altstadt von Küstrin/Kostrzyn (Abb. 10).[12] Die Installation Was macht ein Tannenbaum (Abb. 13 a, b) 2006 im ehemaligen Schlossgarten von Steinhöfel stellt die Frage nach dem Umgang mit der Natur und bietet Besuchern die Möglichkeit zur Platzierung eigener Objekte. In der Intervention Unser Garten 2008 in einem neu angelegten Bauerngarten in Zempow (Abb. 14 a, b) installiert er kritische Beiträge aus einem Internetforum zum gleichen Thema, die er auch in Beziehung zu den prognostizierten „blühenden Landschaften“ in den „neuen“ Bundesländern setzt.[13] Gesellschaftspolitischen Hintergrund haben seine Interventionen Das betrifft dich/To dotyczy ciebie 2005 in Frankfurt (Oder) und Słubice (Abb. 11 a, b) sowie Money isn’t everything/Pieniądze szczęścia nie dają 2009 in Warschau,[14] bei denen er eigens aus diesem Anlass geprägte Münzen mit den jeweiligen Slogans absichtlich verliert, um die auffindenden Passanten zum Nachdenken über die gemeinsame europäische Zukunft bzw. den Zustand der Gesellschaft in der globalisierten Marktwirtschaft zu bewegen.
[5] Marianna Michałowska: Es bleibt also immer ein Schatten, ein letzter Stein, eine Zeichnung, in: Katalog Esslingen 2000, S. 16-23
[6] Zum Unterschied zwischen kulturellem und kollektivem Gedächtnis in Schefferskis Arbeiten, also dem, was als bildliche Tradition erinnert wird und dem, was unter neuen Bedingungen möglicherweise erinnert werden soll, vgl. Axel Feuß: Das fehlende Bild. Künstlerische Strategien von Roland Schefferski zum kulturellen Gedächtnis, in: Katalog Zielona Góra 2014, S. 31-35 (auch auf artpositions.blogspot.de)
[7] Ein Interview von Peter Funken mit Roland Schefferski zur Plakataktion Mach dir dein eigenes Bild von Berlin findet sich auf interventur.de
[8] Ausstellungen Artpool Berlin, Centrum Sztuki Współczesnej Zamek Ujazdowski, Warschau 2000; To begin where we are, Beyond Baroque Gallery, Los Angeles 2001; Stoffwechsel, Galerie miejsce – der Ort, Berlin 2008; Wir Berliner, Märkisches Museum, Berlin 2009; Berlińczycy, Muzeum Narodowe w Krakowie, Krakau 2012.
[9] Ein Gespräch/Una discussione/Rozmova, Studioventicinque, Mailand 1998
[10] Aktion Vier Tage Linz, 2002, anlässlich der LinzFestTage, gemeinsam mit dem Berliner Journalisten Christoph Rasch. Schefferski lädt die Einwohner von Linz mit einer an vier Tagen verteilten Postkarte mit dem Motto „Was - ist - hier - los?“ zu einem von den Teilnehmern selbst geführten Gespräch ein. Unmittelbarer Anlass ist die offizielle Linz-Werbung mit dem Slogan „Linz ist los“.
[11] Das Gespräch im grünen Bereich findet 2006 auf dem vom Berliner Interventionskünstler Christian Hasucha ( hasucha.de) auf drei Meter hohen Stelzen errichteten und mit Rasen begrünten Hügel Die Insel anlässlich der Stadtkunstreihe Okkupation statt. Von Schefferski eingeladene Künstler treffen hier auf Kunstinteressierte, Nachbarn und Passanten, die sich über die Stadt, den Neuköllner Kiez und ihren Alltag unterhalten.
[12] Katalog Hilden 2004
[13] Katalog Berlin 2009
[14] Anlässlich des Money for nothing - Passenger Festivals 2009 in Warschau. Ausführliche Beschreibungen des Künstlers sowie Texte von Autoren zu diesem wie auch den vorangegangenen Projekten von Roland Schefferski finden sich auf dessen Webseite interventur.de unter dem Link „Projekte“.