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„Polenaktion“ 1938

Deportation der polnischen Juden aus Nürnberg während der sogenannten „Polenaktion“, 1938

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Deportation der polnischen Juden aus Nürnberg während der sogenannten „Polenaktion“, 1938
Deportation der polnischen Juden aus Nürnberg während der sogenannten „Polenaktion“, 1938

Eine Antwort auf das polnische Vorgehen erfolgte am 26. Oktober, als Heinrich Himmler, der Chef der deutschen Polizei und Reichsführer SS, den Befehl erließ, alle Juden polnischer Herkunft aus dem Dritten Reich auszuweisen. Die Aktion wurde sehr umfassend vorbereitet, indem Kräfte der SS, der Gestapo, der Deutschen Bahn und diplomatisches Personal konzertiert eingesetzt wurden. Die Koordinierung der „Polenaktion“ lag in den Händen der Landesministerien des Inneren und wurde von der deutschen Presse propagandistisch unterstützt, die unter anderem darüber berichtete, dass der polnische Staat die Juden „aufgefordert“ hätte, in ihre Heimat zurückzukehren. In diesem Sinne schrieb auch die in Essen erschienene „Rheinisch-Westfälische Zeitung“: „Ein großer Teil der Juden ist nach 1918 nach Deutschland gekommen; viele Juden aus Polen und Ostgalizien waren auch nach Essen gekommen. Da diese Juden noch immer polnische Staatsbürger waren, so blieb dem polnischen Staat schließlich nichts anderes überig [sic!], als sie jetzt zur Rückkehr aufzufordern und andernfalls ihnen anzudrohen, daß sie sonst die polnische Staatsbürgerschaft unweigerlich verlieren würden.“[10]

Himmlers Befehl wurde sofort ausgeführt. Die ersten Festnahmen erfolgten schon am 27. Oktober, vor allem im Westen des Landes, doch die meisten Aktionen fanden am 28. und 29. Oktober statt. Die Verhaftungen erfolgten fast überall nach demselben Drehbuch: die meisten Wohnungen wurden in den frühen Morgenstunden betreten, wobei den völlig überraschten Menschen die Aufforderung ausgehändigt wurde, das Reichsgebiet innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. „Diese Frist wurde uns nicht gegeben und [wir] mußten den Beamten folgen, sobald wir angezogen waren und kaum Zeit mehr übrig blieb Kleidung und Wäsche etc. mitzunehmen. Nur dürftig bekleidet und mit nur ein paar Mark habe ich Deutschland verlassen müssen.“[11] So beschrieb der Berliner Geiger Mendel Max Karp die Umstände seiner Ausweisung in einem Brief an seinen Bruder, den er kurz nach dem Eintreffen im Lager Zbąszyń (Bentschen) verfasste. Sein detaillierter Bericht gehört zu den frühesten Zeugnissen dieser Zeit. Die Mehrheit der Deportierten hat ihre dramatischen Erlebnisse, sofern sie den Holocaust überhaupt überlebten, erst Jahrzehnte später weitergegeben.

In Berlin wurden vor allem Männer über 15 Jahren ausgewiesen, während die Deportationen in anderen Teilen Deutschlands ganze jüdische Familien samt Kindern, älterer und kranker Familienmitglieder betrafen. Max Karp schrieb: „Nachdem die Sammelaktion in Berlin durchgeführt war, wurden wir in halb geschlossenen oder etwas verdeckten Lastautos und unter Bewachung von der Polizeikaserne nach einem Güterbahnhof in Treptow nahe Neukölln gebracht. Vor der Kaserne und in den angrenzenden Straßen spielten sich ergreifende Szenen der in Berlin zurückgebliebenen Frauen, Mütter & Kinder ab.[12]

Nicht weniger aufwühlende Szenen enthält der Bericht von Ottilie Schoenewald aus Bochum, der Gattin des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, die dem Vorstand des Jüdischen Frauenbundes angehörte: „Die Autokolonne fuhr zu allen jüdischen Metzgern, kaufte alle vorhandenen koscheren Würste auf, dann zu den Bäckern, die versprachen, am Morgen ein paar hundert frische Brötchen zu reservieren. (...) Der mir bekannte Wachhabende bedeutete mir, wir sollten unsere Speisung am Bahnhof vornehmen, (...)... Am Bahnhof war schon eine wimmelnde Masse aufgeregter, weinender, schreiender Frauen und Kinder versammelt, und immer neue Lastautos fuhren an und ‚schütteltenʻ förmlich ihre Elendlast auf den Vorplatz. (...) Als wir dann, gegen 10.30 Uhr, ‚alle an den Bahnsteigʻ hörten, hat uns eine echte Massenhysterie erfasst. Alle hetzten, drängten, obwohl schließlich niemand hier auf diesen Moment gewartet hatte. Mütter schrien ihre Kinder an, die sie an der Hand hatten oder die sie an ihren Rockzipfeln hielten. Die Kinder schrien nach ihren Müttern. Hier und da kam es vor, dass jemand über die zurückgelassenen Gegenstände eines anderen entschied.[13]

Ebenso ergreifend sind die Erinnerungen, die Ottilie Rimpel aus Stuttgart aufgezeichnet und an ihren Sohn weitergegeben hat. „Wir waren damals eine Gruppe von Menschen, in einem erbärmlichen Zustand – völlig orientierungslos, ohne Gepäck - nur mit den Kleidern, die wir trugen. Genau die Menschensorte, von der Hitler einst in seiner Rede auf dem Stuttgarter Marktplatz sprach. Er sagte: ‚Wir werden all die schäbigen polnischen Blutsauger mitsamt ihren Läusen hier rausschmeißen, ohne Kleider und ohne einen Pfennig in der Tasche.ʻ Ich bedauere, dass wir ihm damals nicht zugehört haben und dass wir sein Buch ‚Mein Kampfʻ nicht gelesen und uns nicht zu Herzen genommen haben. Dieser abscheuliche Mann hat alles bewusst geschrieben und gesagt. Die Leute nannten es Propaganda. Das aber war die bittere Wahrheit, wie wir uns später überzeugten.[14]

[11] Weblog auf der Internetseite des Jüdischen Museums Berlin: https://www.jmberlin.de/blog/2018/10/karp-ueber-polenaktion/ 

[14] Die Erinnerungen von Ottilie Rimpel stammen aus dem Buch: Wojciech Olejniczak, Izabela Skórzyńska (Red.), Do zobaczenia za rok w Jerozolimie..., S. 145-146.