Marta Klonowska - “My glass animals open a new reality.”
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Tierplastiken und ‑skulpturen sind in der zeitgenössischen Kunst nach 1945, jedenfalls was die Avantgarde anbetrifft, wenig populär. Die gängigen Publikationen zur Kunst des 20. Jahrhunderts[1] verzeichnen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in den klassischen Techniken Stein, Bronze oder Zementguss kein einziges Exemplar klassisch, naturalistisch oder abstrahiert aufgefasster Tiere in der Bildhauerei. Zu sehr hat man sich an den Tierdarstellungen jener Bildhauerinnen und Bildhauer satt gesehen, die noch tief im 19. Jahrhundert geboren wurden wie August Gaul (1869-1921), Richard Scheibe (1879-1964), Ewald Mataré (1887-1965), Renée Sintenis (1888-1965), Gerhard Marcks (1889-1981) oder Emy Roeder (1890-1971) und deren Arbeiten zwischen 1900 und den Dreißigerjahren zu den Höhepunkten der modernen Kunst gehörten.[2] Satt gesehen hat man sich auch an jener „konservativen figürlichen Tierplastik“,[3] die es natürlich auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegeben hat, weil bis zum Ende der 1980er-Jahre landauf, landab in neu gebauten Wohnsiedlungen und Parks Tierplastiken und ‑skulpturen als vermeintlich unpolitische Kunstwerke zur Dekoration und zur „Ermunterung der Bewohner“ (Katrin Etringer) aufgestellt wurden.[4]
Erst mit den zeitgenössischen Kunstgattungen Objektkunst, Performance, Installation, Environment und Konzeptkunst haben plastische Abbildungen von Tieren wieder für die Avantgarde an Bedeutung gewonnen. Fast immer sind es jedoch nicht die Geschöpfe selbst, die zeitgenössische Künstler inspirieren, sondern die mit ihnen verbundenen übertragenen Bedeutungen und Mythen. Joseph Beuys verwendete sein gesamtes Werk hindurch Manifestationen von Tieren in Objekten, Aktionen und Environments. Mit seiner Wachsskulptur Bienenkönigin (1952) formulierte er erstmals Plastik als Prozess zwischen organischem Leben, kristalliner Struktur, Verflüssigung und Verfestigung. Die legendäre Aktion wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt (1965) offenbarte, so Beuys selbst, „den Sinn für das Geheimnis der Welt und der Existenz […] Noch ein totes Tier bewahrt stärkere Kräfte der Intuition als manche menschlichen Wesen mit ihrem unerbittlichen Realismus.“[5] In dem Environment Hirschdenkmäler 1982 im Berliner Gropius-Bau verkörperten Urtiere aus Lehm sowie Ziege und Hirsch in Gestalt stark abstrahierter Assemblagen aus Holz und Gebrauchsgegenständen Urkräfte und Mythen: „Der Hirsch erscheint in Zeiten von Not und Gefahr. Er trägt ein besonderes Element heran: Das warme, positive Element des Lebens.“[6] In einer seiner letzten Aktionen imitierte Beuys selbst den Coyoten (1984) und traf damit, so Nam June Paik, die Stimmung der zentralasiatischen Steppe.[7] Nancy Graves begriff ihre lebensgroßen Rekonstruktionen eiszeitlicher Dromedare (1968/69) aus Fell, Leinen, Wachs und Ölfarbe über Holz- und Stahlgerüst als „abstrakte Plastik“,[8] also als Verkörperung einer Idee. Bei Bruce Nauman kumulierte jahrelange Arbeit an der Erfahrung von Körper und Raum in der Darstellung scheinbar geklonter und aufeinandergetürmter verstümmelter, zusammengebundener und aufgehängter Wildtiere aus Hartschaum über Holz-, Eisen- und Drahtgerüst (Tierpyramide, 1989). Seit Anfang der Neunzigerjahre wurde Damien Hirst mit Präparaten von Fischen und Wirbeltieren bekannt, die er seitdem in Vitrinen in Formaldehyd einlegt und die als provokante Metaphern für Aggression und Vitalität, Kunst und Konservierung, Leben und Tod oder Krankheit und Wissenschaft gelten.
[1] 1945-1985. Kunst in der Bundesrepublik Deutschland, Ausstellungs-Katalog Nationalgalerie Berlin, 1985; Das XX. Jahrhundert. Ein Jahrhundert Kunst in Deutschland, Ausstellungs-Katalog Nationalgalerie Berlin, 1999; Kunst des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Ingo F. Walther, Köln 2000.
[2] Ursel Berger / Günter Ladwig (Hrsg.): Tierplastik deutscher Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Sammlung Karl H. Knauf, Ausstellungs-Katalog Georg-Kolbe-Museum, Berlin 2009
[3] Imme Oldenburg: Tierplastik im 20. Jahrhundert. Heinz Theuerjahr (1913-1991). Biographie und Werkverzeichnis, Dissertation Passau 2000, S. 7
[4] Vergleiche zum Beispiel Heinz Zabel: Plastische Kunst in Hamburg. Skulpturen und Plastiken im öffentlichen Raum, Hamburg 2. Auflage 1987
[5] Zitiert nach Uwe M. Schneede: Joseph Beuys. Die Aktionen, Ostfildern-Ruit 1994, S. 103
[6] Joseph Beuys im Gespräch mit Caroline Tisdall 1974, in : Heiner Bastian (Hrsg.): The secret block for a secret person in Ireland , München 1988, S. 49
[7] Uwe M. Schneede: Joseph Beuys. Die Aktionen, Ostfildern-Ruit 1994, S. 370
[8] Manfred Schneckenburger, in: Kunst des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Ingo F. Walther, Köln 2000, S. 569