Bronisław Huberman. Vom Wunderkind zum Kämpfer gegen den Nationalsozialismus
Die Berliner Philharmoniker reisten im Mai 1933 nach Konzerten in Genf, Zürich und Basel und einer kleineren Tournee durch deutsche Städte nach Wien, wo die Deutsche Brahms-Gesellschaft zusammen mit der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde das 8. Johannes-Brahms-Fest anlässlich des einhundertsten Geburtstags des Komponisten veranstaltete. Furtwängler dirigierte das Doppelkonzert für Violine und Violoncello mit Huberman und Pablo Casals als Solisten. Während Schnabel das 2. Klavierkonzert als Solist bestritt, gestalteten Huberman, Hindemith und Schnabel den Kammermusikteil. Da Furtwängler seine Programme für die kommende Berliner Konzertsaison im Winter 1933/34 vorbereiten musste, plante er, bei der Hitler-Regierung vorstellig zu werden um eine Sondererlaubnis für den Auftritt internationaler Musikgrößen zu erreichen. Dabei forderte er Hubermans Zusage und aktives Mitwirken ein. Dieser berichtete in einem Brief: „Schon in Wien gelegentlich des Brahmsfestes gab es stundenlange Einwirkungsversuche seitens Furtwänglers auf mich, um von mir eine zusagende Stellungnahme zu erreichen für den Fall, als ihm gelingen würde, die ihm damals schon vorschwebende regierungsseitige Erklärung neuer Richtlinien zu erreichen. Ich lehnte diese Zumutung als unter meiner Würde […] ab.“[30] Schon zu diesem Zeitpunkt kündigte Huberman auch eine öffentliche Stellungnahme an.
Hatte Furtwängler sich schon im April in einem öffentlichen Brief an Goebbels um ein Verbleiben herausragender Künstler in der deutschen Kultur wie „Walter, Klemperer, Reinhard[t] usw.“ ausgesprochen,[31] ein Brief, den Huberman sehr wohl kannte, unterbreitete Furtwängler seinen Standpunkt erneut „einer gemäßigten, der Reichskanzlei nahestehenden Instanz […] und seine Vorschläge waren gebilligt worden.“[32] Daraufhin richtete Furtwängler im Juni persönliche Einladungen an Casals, Cortot, den polnischen Pianisten Józef Hofmann, Huberman, Kreisler, Menuhin, Schnabel, den Cellisten Gregor Piatigorsky und den Violinvirtuosen Jacques Thibaud, die jedoch alle ablehnten. Die Solisten, so erinnerte sich Geissmar, „vertraten in ihren Antworten einstimmig die Ansicht, dass, ungeachtet Furtwänglers persönlicher Bemühungen, das deutsche Musikleben eben doch politisiert worden sei – und sie alle, Arier und Nichtarier, weigerten sich von Vorrechten Gebrauch zu machen, die ihnen lediglich auf Grund ihres internationalen Ansehens gewährt wurden. Sie erklärten kategorisch, dass sie nicht in Deutschland auftreten würden, bevor nicht wieder gleiches Recht für alle gelte.“[33]
[30] Brief Huberman an „Bn.“ vom 18.10.1933, Nachlass Huberman (siehe Anmerkung 1), zitiert nach von der Lühe 2004 (siehe Literatur), Seite 71
[31] Goebbels über die Kunst. Ein Briefwechsel mit Furtwängler, in: Vossische Zeitung, Nr. 171, vom 11.4.1933, Morgen-Ausgabe, Seite 3, Online-Ressource: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/index.php?id=dfg-viewer&set%5Bimage%5D=3&set%5Bzoom%5D=min&set%5Bdebug%5D=0&set%5Bdouble%5D=0&set%5Bmets%5D=http%3A%2F%2Fcontent.staatsbibliothek-berlin.de%2Fzefys%2FSNP27112366-19330411-0-0-0-0.xml
[32] Geissmar 1985 (siehe Literatur), Seite 85. – Bei dieser „Instanz“ handelte es sich offenbar um den preußischen Kultusminister Bernhard Rust, Mitglied der NSDAP, des preußischen Landtags und des Reichstags, der von 1934 bis 1945 das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung leitete. Rust hatte eine Kommission zur künftigen Regelung des deutschen Musiklebens einberufen, die aus Furtwängler, Max von Schillings, Wilhelm Backhaus und Georg Kulenkampff bestand und die künftig „die Programme sämtlicher öffentlicher Konzertvereine“ zu prüfen hatte. In einem hierzu herausgegebenen Exposé hieß es, „dass in erster Linie deutsche Künstler herangezogen werden müssen, die berufen sind, ein deutsches Musikleben zu tragen und zu erhalten. Indessen muss hervorgehoben werden, dass in der Musik, gleich wie in jeder Kunst die Leistung stets der ausschlaggebende Faktor bleiben muss, dem Leistungsprinzip gegenüber müssen, wenn erforderlich, andere Gesichtspunkte zurücktreten.“ (Prager Tagblatt vom 13.9.1938, Abb. 8). Der letzte Satz galt Furtwängler offenbar als Gewähr, nach dem „Leistungsprinzip“ auch prominente ausländische (beziehungsweise nichtarische) Künstler verpflichten zu können.
[33] Ebenda