Bronisław Huberman. Vom Wunderkind zum Kämpfer gegen den Nationalsozialismus
Aufgrund seines jahrelangen Engagements für die paneuropäische Idee und seiner eigenen politischen Überzeugungen hatte Huberman, der während seiner Konzerttourneen durch zahlreiche deutsche Städte reiste, ein feines Gespür für die dortige politische Entwicklung. In Berlin sei Huberman einer der wenigen Solisten gewesen, „die die Philharmonie in einer Saison mehrere Male mit einem Solo-Abend füllen konnten“,[25] erinnerte sich Dr. Berta Geissmar, Chefsekretärin und „rechte Hand“ von Furtwängler.[26] Der seit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929 in Deutschland wachsende Antisemitismus in Kreisen des Kleinbürgertums, der Deutschnationalen Volkspartei und natürlich der Nationalsozialisten konnte Huberman also nicht verborgen bleiben. Die feindliche Haltung gegenüber Juden nahm beim Angriff auf das Berliner Warenhaus Wertheim durch Anhänger der NSDAP anlässlich der Eröffnung des Reichstags am 13.10.1930 und bei den antisemitischen Übergriffen der SA während des Kurfürstendamm-Krawalls im September 1931 sogar pogromartige Züge an. Huberman vermerkte in dem bereits zitierten Artikel in der Neuen Leipziger Zeitung im Oktober 1932 mit Sorge, dass man neuerdings in Deutschland „schwärmerisch die Enge verehrt, in engen Grenzen zusammengepfercht bleiben will, das ist die neue Religion eines Adolf Hitler, der, obwohl er bis vor kurzem Ausländer war, von ‚nichts als Deutschsein‘ überschäumt, und Klassenhass und Völkerhass auf seine Fahne geschrieben hat.“[27]
Dass Huberman mit seinen Befürchtungen Recht hatte, zeigte sich bald nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, als diese erstmals am 1. April 1933 in ganz Deutschland zum Boykott jüdischer Geschäfte, Warenhäuser, Banken, Arztpraxen, Rechtsanwälte und Notare aufriefen und wenige Tage später mit dem Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums begannen, jüdische Beamte aus dem Staatsdienst zu entfernen. Furtwängler, so berichtet Geissmar, die selbst Jüdin war, habe stets öffentlich und „unzweideutig erklärt, dass das deutsche Musikleben bei einer Regelung nach Rassegesichtspunkten bald völlig gelähmt sein würde“.[28] Nicht nur unter den großen Solisten und Dirigenten, sondern auch unter den herausragenden Orchestermusikern befanden sich zahlreiche Juden. Jüdische Juristen, Ärzte, Gelehrte und Finanzleute, die selbst musizierten und die Musikwelt unterstützten, bildeten einen wichtigen Teil des Publikums. Während der ersten Konzertreise der Berliner Philharmoniker nach Hitlers Machtübernahme im Frühjahr 1933 traten in verschiedenen deutschen Städten wie Mannheim oder Baden-Baden offene Konflikte mit Nazis unter ortsansässigen Musikern, im Publikum und bei Empfängen zutage. In Paris, Marseille und Lyon hingegen sah sich das Orchester Anfeindungen und Boykottandrohungen wegen der deutschen Judenpolitik ausgesetzt, obwohl Furtwängler immer wieder glaubhaft machen konnte, dass in seinem Orchester eine Ausgrenzung von Juden nicht stattfände. Zahlreiche Gespräche zwischen Furtwängler, Hitler, Reichspropagandaminister Goebbels und „kleineren Parteigrößen“, in denen der Orchesterleiter „vor den fatalen Folgen ihrer Rassen- und Parteipolitik für Deutschlands kulturelles Leben warnte“,[29] blieben jedoch ohne nachhaltige Wirkung.
[25] Geissmar 1985 (siehe Literatur), Seite 113
[26] Fred. K. Prieberg: Berta Geissmar – Versuch einer Vergegenwärtigung (1985), in: Berta Geissmar 1985 (siehe Literatur), Seite II
[27] Huberman in der Neuen Leipziger Zeitung vom 23.10.1932 (siehe Anmerkung 2), zitiert nach von der Lühe 2004 (siehe Literatur), Seite 70
[28] Geissmar 1985 (siehe Literatur), Seite 77
[29] Ebenda, Seite 84