Wanda Landowska
„Etwas Unruhe entsteht hinten im Saal; eine junge Dame, das scharfgeschnittene, aber sympathische Gesicht von dunklem Haar umrahmt, biegsam wie Salome und vornehm wie eine Marquise, erscheint. Sie ist die Fee der vergangenen Klaviermusik, in Moskau ebenso populär wie in Berlin und Paris. Polin von Geburt, hat sie wie alle Landsleute von Bedeutung dem Vaterlande bald den Rücken gekehrt. Es ist für jeden Künstler schön und heilsam, eine große Sehnsucht zu hegen. Die Polen erwerben sie, indem sie auswandern und sich nun während ihres ganzen Lebens unausgesetzt nach Polen zurücksehnen, so Chopin, so Paderewski, so Wanda Landowska: da haben Sie den Namen der interessanten jungen Dame.“
So zitiert die Leipziger Zeitschrift für Instrumentenbau einen Artikel der Kölnischen Zeitung, in dem über ein Konzert auf alten Tasteninstrumenten im Musikhistorischen Museum des Kölner Kommerzienrats Wilhelm Heyer am 15. März 1911 berichtet wird. (siehe PDF) Musik der Renaissance, des Barocks und der Romantik unter anderem von Herzog Moritz von Sachsen (1521-1555), Couperin, Bach, Händel und Schubert war auf Clavicymbel, Harpsichord und Clavichord des 18. Jahrhunderts, auf einem Hammerflügel von 1830 und auf einem dreimanualigen Spinettflügel des Leipziger Instrumentenmachers Hermann Seyffarth aus dem Jahr 1909 zu hören. Einzige Solistin des Abends war Wanda Landowska. Früh hatte sie sich für die Alte Musik und historische Tasteninstrumente interessiert. Überzeugt davon, dass nur deren Klang und nicht der zeitgenössische Klavierflügel den Schlüssel für das Verständnis der Werke von Johann Sebastian Bach liefern würde, konzertierte sie seit 1903 ausschließlich auf neu gebauten Cembali der Pariser Klavier- und Harfenbaufirma Pleyel & Cie, deren klangliche Wirkung sie jedoch zunächst nicht überzeugte.
„Mit einer ungewöhnlichen Intelligenz ausgestattet“, berichtet die Kölnische Zeitung weiter, „hat sie im Cembalospiel ihr eigenstes Betätigungsfeld entdeckt und überträgt nun ihren gereiften Geschmack auf die Musik der alten Meister. […] Und dabei hat sie doch das Alte nicht neugeformt, sondern es nur in seiner idealen Vollkommenheit wieder zu erreichen getrachtet: das ist ihr Geheimnis und ihre Kunst. Sie hat sich mit dem Mechanismus der Tasten vertraut gemacht und ihre Finger in geduldiger Dressur so lange geübt, bis sie die alte Spielkunst wieder zurückgewonnen hat, wie sie vor 200 Jahren im Schwunge war. Und nun verkündet sie diese feine alte Kunst durch die Instrumente der Alten und durch eine Wiedergabe, die der der alten Meister ganz gewiss täuschend ähnlich ist.“ Über das Konzert im Musikhistorischen Museum[1] resümiert die Zeitschrift für Instrumentenbau: „Die Wirkung namentlich auf den Instrumenten von Kirkman, Lemme und Streicher war für die betreffenden Kompositionen geradezu verblüffend, während Händel und Bach auf dem Silbermann’schen Clavicymbel und dem neukonstruierten Seyffarth’schen Spinettflügel zu wunderbarer Wiedergabe kamen. Von unvergleichlichem Reiz war die Mondschein-Sonate auf dem Streicher’schen Hammerklaviere als Zugabe. So, wie die Landowska sie auf dem alten Flügel zum Vortrag brachte, hatte man sie noch nicht gehört.“
[1] Die Sammlung des Musikhistorischen Museums des Kölner Papierfabrikanten Wilhelm Heyer (1849-1913) wurde 1926 von der Universität Leipzig erworben und befindet sich heute im Grassimuseum für Musikinstrumente der Universität Leipzig.