Wanda Landowska

Porträtpostkarte Wanda Landowska, Paris, nach 1900. Fotografiert von Aaron Gerschel (Frères Gerschel), Paris; verlegt von Breitkopf & Härtel.
Porträtpostkarte Wanda Landowska, Paris, nach 1900. Fotografiert von Aaron Gerschel (Frères Gerschel), Paris; verlegt von Breitkopf & Härtel.

1930 gab Landowska ihr letztes Konzert in Deutschland mit dem Berliner Funkorchester in der dortigen Singakademie. Seit 1933 wurde sie an der Musikhochschule in Berlin-Charlottenburg als „polnische Jüdin“ und „üble Hetzerin gegen das neue Deutschland“ diffamiert, die „auch unter dem Verdachte steht, Spionage gegen Deutschland betrieben zu haben“.[8] 1938 erschien über sie ein lexikalischer Eintrag in der nationalsozialistischen Publikation „Judentum und Musik mit dem ABC jüdischer und nichtarischer Musikbeflissener“ von Brückner-Rock.[9] Im selben Jahr nahm sie die französische Staatsangehörigkeit an. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich floh sie am 10. Juni 1940 nach Banyuls-sur-Mer in Südfrankreich, wo der mit ihr befreundete Bildhauer Aristide Maillol lebte. Im September plünderten deutsche Musikwissenschaftler des „Sonderstabs Musik“, der zum „Einsatzstab Reichleiter Rosenberg (ERR)“ gehörte, einer Rauborganisation der NSDAP für Kulturgüter in den besetzten Ländern, ihren Besitz in Saint-Leu-la-Forêt und brachten ihre Instrumentensammlung, ihre aus zehntausend Noten, Handschriften und Büchern bestehende Bibliothek sowie ihre Gemälde und Antiquitäten nach Berlin. (Abb. ) 1941 gab Landowska in Genf und Lausanne ihre letzten Konzerte in Europa. Mithilfe des Emergency Rescue Committee in Marseille emigrierte sie am 29. November von Lissabon aus in die USA.

Landowska ließ sich in New York nieder und gab wieder Meisterkurse in Alter Musik. In der New York Town Hall gab sie 1942 ihr erstes Konzert mit Bachs Goldberg-Variationen. 1950 übersiedelte sie nach Lakeville, Connecticut, und widmete sich bis 1954 der Gesamteinspielung des Wohltemperierten Klaviers von Bach auf Schallplatten. Sie starb am 16. August 1959. Ihre Urne wurde auf dem Friedhof von Taverny, einem Nachbarort von Saint-Leu-la-Forêt, beigesetzt.  Ein Teil der ihr geraubten und historisch besonders wertvollen Instrumente war im Mai 1943 von Berlin nach Süddeutschland gebracht worden und lagerte bis 1945 im Kloster Raitenhaslach bei Burghausen am Inn. Im September 1945 spürte die US-Armee das Raubkunstdepot auf und brachte die Instrumente der Sammlung Landowska in den Central Art Collecting Point nach München. Von dort wurden sie im Juli 1946 nach Paris transportiert und auf Antrag der Künstlerin bei der französischen Commission de Recuperation Artistique an sie zurückgegeben.[10] Andere Instrumente tauchten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg auf internationalen Auktionen auf. Eine Entschädigung von der Bundesrepublik Deutschland hat Landowska nicht erhalten.

 

Axel Feuß, Dezember 2015

 

[8] Bericht vermutlich eines studentischen Spitzels an den Direktor der Hochschule, Fritz Stein, Berlin 15.11.1933, abgebildet bei Martin Elste (Hrsg.) 2010, S.107.

[9] Zitiert und abgebildet bei Martin Elste (Hrsg.) 2010, S. 125.

[10] Raub und Restitution. Fallgeschichten. Landowska, Webseite des Jüdischen Museums, Berlin, http://www.jmberlin.de/raub-und-restitution/de/landowska.php

 

Literatur:

Anonym: Ein Konzert auf alten Tasteninstrumenten im Musikhistorischen Museum in Köln a. Rh., in: Zeitschrift für Instrumentenbau, Bd. 31, Leipzig 1910/11, S. 723, 725

Alfred Heuß: Das kleine Bachfest in Eisenach, in: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft, 13, Leipzig 1911/12, S. 27-29

Arnold Schering: Das VI. deutsche Bachfest in Breslau, in: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft , 13, Leipzig 1911/12, S. 365-368

Lotte Zavrel: Wanda Landowska in Berlin, in: Das Unterhaltungsblatt der Vossischen Zeitung, Nr. 17, Berlin, 20.1.1928

Ingeborg Harer: Landowska, Wanda, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), hrsg. von Ludwig Finscher, Personenteil 10, Kassel u.a., 2. Auflage, 2003

Martin Elste: Die Dame mit dem Cembalo. Wanda Landowska und die Alte Musik. Katalog zur Sonderausstellung im Berliner Musikinstrumenten-Museum, Berlin 2009

Martin Elste (Hrsg.): Die Dame mit dem Cembalo. Wanda Landowska und die Alte Musik, Mainz 2010 (mit einer Diskographie der Erstveröffentlichungen von Aufnahmen mit Wanda Landowska)

Ingeborg Harer, Artikel „Wanda Landowska“, in: Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hrsg. von Beatrix Borchard, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff., Stand vom 10.11.2013. URL: http://mugi.hfmt-hamburg.de/old/A_lexartikel/lexartikel.php?id=land1879 (mit einem Werkverzeichnis der kompositorischen Arbeiten und einer Bibliographie).

Zahlreiche historische Aufnahmen von Wanda Landowska, darunter die Goldberg-Variationen und das Wohltemperierte Klavier, sind auf youtube.com zu finden.

Mediathek
  • Wanda Landowska spielt für Leo Tolstoi

    In Jasnaja Poljana, anonyme Fotografie.
  • Wanda Landowska am Cembalo im Rodin-Pavillon, Paris

    Anlässlich der Gedächtnisfeier für Eugène Carrière, im Publikum der Bildhauer Auguste Rodin mit Damen.
  • Wanda Landowska an einem von ihr in Paris erworbenen Pianino

    Frédéric Chopin hatte darauf 1838 in der Kartause von Valldemossa auf Mallorca gespielt.
  • Lehrauftrag in Berlin

    Ab dem 22. März 1913 an der Königlichen Hochschule für Musik in Charlottenburg.
  • Emil Orlik (1870-1932): Porträt Wanda Landowska

    Radierung, 23,5 x 18 cm.
  • Karikatur Landowskas

    Anonym, aquarellierte Federzeichnung.
  • Fotoporträt, mit eigenhändigem Autogramm

    Unbekannter Fotograf.
  • Bericht über die Beschlagnahme der Musikinstrumenten-Sammlung Lewandowskas

    Vgl. Webseite "Raub und Restitution".
  • Mit Yehudi Menuhin in New York

    Aufgenommen von einem Fotografen der Schallplattenfirma RCA Victor Record Division. Mit einer handschriftlichen Widmung Landowskas.
  • „Erinnerungen an Wanda Landowska“

    Plakat der Ausstellung im Bachhaus Eisenach, 01.05.-13.11.2011.
  • Stefania Goldenring: Musik im Hause Tolstois

    In: Der Weltspiegel / Berliner Tageblatt, 8.3.1908.
  • „Ein Brief von Wanda Landowska“

    In: Berliner Tageblatt, Abendausgabe, 18.8.1914. In dem Leserbrief verbittet sich Landowska, als Russin bezeichnet zu werden.
  • „Ein Konzert auf alten Tasteninstrumenten im Musikhistorischen Museum in Köln a. Rh.“

    In: Zeitschrift für Instrumentenbau, Bd. 31, Leipzig 1910/11, S. 723-725 (abgerufen bei der BSB).
  • Lotte Zavrel: Wanda Landowska in Berlin

    In: Das Unterhaltungsblatt der Vossischen Zeitung, Berlin 20.1.1928.
  • Mit Francis Poulenc

  • Mit Manuel de Falla

    In Granada.