Bronisław Huberman. Vom Wunderkind zum Kämpfer gegen den Nationalsozialismus
1926 stellten wohlhabende Gönner Huberman eine Wohnung in Wien im staatlich verwalteten Schloss Hetzendorf zur Verfügung, woraufhin dieser sich für das folgende Jahrzehnt dort niederließ. Zu dieser Zeit galt Huberman bereits als „einer der interessantesten und geistreichsten Köpfe unserer Zeit“, wie die Wiener Allgemeine Zeitung am 2. Februar 1926 berichtete: „Namentlich für die Paneuropa-Bewegung hat der Künstler durch die Autorität seiner Persönlichkeit unerhört viel geleistet, ja noch mehr, durch wirklich schöpferische Ideen hat er dieser jungen Bewegung neue Wege gewiesen“.[17] Auf dem ersten Paneuropa-Kongress, der im Oktober 1926 in Wien mit zweitausend Teilnehmern und vor sechshundert Pressevertretern aus dem In- und Ausland im großen Saal des Konzerthauses stattfand, gehörte Huberman zu den Hauptrednern. In seinem Wortbeitrag, der erneut in seiner zweiten, 1932 in Berlin verlegten Schrift, „Vaterland Europa“ (Abb. 7), abgedruckt wurde, skizzierte er die für die europäische Einigung notwendigen Integrationsziele und ‑prozesse wie eine Zoll- und Währungsunion, Rechtsangleichung, Aufstellung einer übernationalen Armee, Minderheitenschutz und das Unsichtbarmachen der Grenzen. Während sich der deutsche Gesandte in Wien, Hugo Graf Lerchenfeld (1871-1944), in seinem Bericht an den Außenminister in Berlin, Hugo Stresemann (1878-1929), abfällig äußerte, schrieb die Frankfurter Zeitung: „ […] man wunderte sich, dass er redete statt zu geigen. Doch gerade das stimmte ernst, dass ein großer Künstler […] den Drang fühlt, sich mit Politik zu befassen. […] Die Not des alten Europa muss groß sein, wenn sie selbst dem Musiker keine Ruhe mehr lässt.“[18] Den Kongress beendete ein Geigensolo von Huberman.[19]
Unterdessen hatte dieser es durch seine internationale Konzerttätigkeit zu großem Wohlstand gebracht, was ihm ermöglichte, junge Musiker zu unterstützen sowie Konzerteinnahmen und eigene Gelder für wohltätige Zwecke zu spenden. Er stellte Geldmittel für die Wiener Nationalbibliothek und 1928 für den öffentlichen Ankauf eines Anwesens in Żelazowa Wola westlich von Warschau zur Verfügung, auf dem Chopins Geburtshaus steht und für dessen Erwerb in ganz Polen gesammelt wurde. Zeitgenössische Komponisten förderte er durch Aufführung ihrer Werke. War Polen auf dem ersten Paneuropa-Kongress unter anderem durch einen Führer der polnischen Studenten, den Sozialisten und Delegierten der Völkerbund-Ligen, Władysław Landau, vertreten,[20] so initiierte und begleitete Huberman in Polen die Gründung eines nationalen Paneuropa-Komitees. Diesem traten Intellektuelle, Adlige, linksgerichtete Aktivisten und junge Akademiker bei, darunter Pazifisten und Freunde des Völkerbunds.[21]
[17] Zeitungsartikel im Nachlass Huberman (siehe Anmerkung 1), zitiert nach Platzer 2019 (siehe Literatur), Seite 61 f.
[18] Frankfurter Zeitung vom 9.10.1926, Nachlass Huberman (siehe Anmerkung 1), zitiert nach Platzer 2019 (siehe Literatur), Seite 125
[19] Neue Freie Presse, Wien, Nr. 22294, vom 7.10.1926, Morgenblatt, Seite 3, Online-Ressource: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=19261007&seite=3&zoom=33&query=%22Huberman%22&ref=anno-search
[20] Landau sprach sich für die deutsch-polnische Freundschaft aus: „Die Jugend Deutschlands und Polens muss sich finden; denn es ist eine Schande für das zwanzigste Jahrhundert, dass wir Polen und Deutschen nicht in engster Verbindung sind, dass wir noch einen Zollkrieg führen müssen und dass wir in unserem Herzen noch einen inneren Krieg führen. Ich bitte, dem Gerücht, dass Polen einen Krieg haben will, nicht zu glauben.“ (Neue Freie Presse vom 7.10.1926, ebenda). Vergleiche auch Dagmara Jajeśniak-Quast: Polish Economic Circles and the Question of the Common European Market After World War I = Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau, Band 23, Warschau 2010, Seite 136, Digitalisat: https://perspectivia.net/servlets/MCRFileNodeServlet/ploneimport_derivate_00011467/jajesniak-quast_circles.pdf
[21] Platzer 2019 (siehe Literatur), Seite 127