Bronisław Huberman. Vom Wunderkind zum Kämpfer gegen den Nationalsozialismus

Bronisław Huberman, um 1928. Unbekannter Fotograf, Library of Congress, George Grantham Bain Collection, Washington, DC
Bronisław Huberman, um 1928. Unbekannter Fotograf, Library of Congress, George Grantham Bain Collection, Washington, DC

Ein Stipendium ermöglichte es ihm, ab dem Winter 1892/93 in Berlin bei dem Joachim-Schüler und neuen Direktor der Musikhochschule, dem aus der Schweiz stammenden Geiger Carl Markees (1865-1926), und bei Charles Grigorowitsch, einem Schüler des polnischen Violinisten Henryk Wieniawski (1835-1880), zu studieren. Zu dem von Joachim ausgearbeiteten Lehrplan gehörten außerdem Unterricht bei Professoren für Harmonielehre und Klavier und ein Violinkurs bei Joachim selbst. Auf dessen Veranlassung besuchte er ein Konzert des polnischen Pianisten Artur Rubinstein (1887-1982) und musste diesem auch vorspielen. „Mit 12 Jahren hatte ich die letzte […] Unterrichtsstunde“, berichtete er später in seiner Schrift „Aus der Werkstatt des Virtuosen“.[5] Seitdem gab er Konzerte in den Niederlanden, Belgien, Rumänien, Paris und London. Wie es heißt, finanzierte der polnische Magnat, Unternehmer und Philanthrop Władysław Zamoyski (1853-1924) dem jungen Violinisten eine Stradivari-Geige, die zweimal, 1919 aus dem Hotel und endgültig 1936 aus der Garderobe, gestohlen wurde. Im Januar 1895 (Abb. 2) erregte er in Wien Aufsehen als Begleiter der spanischen Operndiva Adelina Patti (1843-1919), mit einem Solokonzert im Saal Bösendorfer[6] und mit dem Violinkonzert von Johannes Brahms, das er in Anwesenheit des Komponisten sowie von Anton Bruckner, Johann Strauß und Gustav Mahler im Großen Musikvereinssaal aufführte.[7] Einen Monat später erhielt er das Angebot, für ein garantiertes Honorar von unglaublichen 100.000 Österreichischen Gulden eine Konzerttournee durch die Vereinigten Staaten von Amerika zu unternehmen,[8] die er tatsächlich 1896 (Abb. 3) antrat und die bis ins Folgejahr dauerte. Im Winter 1897/98 schloss sich eine Russlandtournee an. Im Frühjahr 1898 waren die Kräfte des inzwischen Fünfzehnjährigen soweit erschöpft, dass er sich für vier Jahre aus der Öffentlichkeit zurückzog. (Abb. 4)

Ab 1902 trat Huberman wieder auf Orchesterbühnen in ganz Europa auf. Mehrfach war er in Breslau zu hören, wo er 1906 Solo-Werke von Johann Sebastian Bach aufführte.[9] Im Januar 1908 konzertierte er in Berlin zusammen mit dem Mozart-Orchester im Mozartsaal des Neuen Schauspielhauses.[10] Im Juli 1910 heiratete er in London die Berliner Schauspielerin Elsa Marguérite Galafrés (1879-1977). Die Ehe, aus der ein Sohn hervorging, wurde 1913 geschieden. Weltweite Tourneen führten ihn in den folgenden beiden Jahrzehnten in die europäischen Musikmetropolen, nach Russland, in die USA, nach Australien und Südostasien.[11] Während des Ersten Weltkriegs lebte er vorwiegend in Deutschland und unternahm nur gelegentlich Tourneen nach Polen und Österreich. An drei Tagen im April 1917 führte er in der Berliner Sing-Akademie gemeinsam mit dem Pianisten und Komponisten Eugen d’Albert (1864-1932) sämtliche Sonaten für Violine und Klavier von Beethoven auf.[12] Außerdem konzertierte er regelmäßig mit den Berliner Philharmonikern, die ab 1922 von Furtwängler geleitet wurden.

[5] Huberman 1912 (siehe Eigene Schriften), Seite 21

[6] „ […] überraschendes Feuer aber strömte von dem kleinen und doch wieder so großen Violinvirtuosen Bronislaw Hubermann [sic!] aus, der einer glücklichen, ehrenreichen Zukunft entgegenschreitet. […] Der kleine Hubermann erschien uns und allen Anderen wie ein Zaubermännchen und nicht wie ein Wunderknabe herkömmlicher Factur […] er ist in Wirklichkeit ein außergewöhnliches Talent, das jetzt schon Großes leistet, für die Zukunft aber Gewaltiges verspricht.“ (Deutsches Volksblatt, Wien, 1.2.1895, Morgenausgabe, Seite 1, Online-Ressource: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=dvb&datum=18950201&query=%22Bronislaw%22+%22Huberman%22&ref=anno-search&seite=1). – Am 20. März 1895 gastierte er erneut im Saal Bösendorfer in Wien, wo er unter anderem das 2. Violinkonzert von Henryk Wieniawski aufführte (Konzertprogramm Saal Bösendorfer, VI. Concert vom 20.3.1895, online: http://bronislawhuberman.com/wp-content/uploads/2012/01/BN079_W.jpg)

[7] Platzer 2019 (siehe Literatur), Seite 60

[8] „Dem jungen Geigenvirtuosen Bronislaw Hubermann [sic!] wurde der verlockende Antrag unterbreitet, gegen die Sicherstellung eines Ertrages von 100.000 fl. eine Konzerttournée durch Amerika zu unternehmen. Die Mutter und die Freunde Hubermann’s haben bisher noch keinen Entschluß gefaßt.“ (Neuigkeits-Welt-Blatt, Wien, 22. Jahrgang, Nr. 44, 22.2.1895, Seite 12, Online-Ressource: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwb&datum=18950222&seite=12&zoom=33&query=%22Bronislaw%22%2B%22Huberman%22&ref=anno-search) – Der Betrag von 100.000 Gulden soll nach aktuellen Tabellen einer Kaufkraft von 1 Million Euro entsprochen haben.

[9] Maria Zduniak: Bachrezeption in Breslau im 19. Jahrhundert, in: Alte Musik als ästhetische Gegenwart. Bach, Händel, Schütz, herausgegeben von Dietrich Berke und Dorothee Hanemann, Kassel 1987, Seite 147 f.

[10] Konzertprogramm vom 22.1.1908, Ernst Henschel Collection, British Library, London, http://www.concertprogrammes.org.uk/html/search/verb/GetRecord/4575/

[11] Von der Lühe 1997 (siehe Literatur), Seite 10; von der Lühe 2017 (siehe Online)

[12] Konzertprogramme vom 19., 21. und 23.4.1917, Ernst Henschel Collection, British Library, London, http://www.concertprogrammes.org.uk/html/search/verb/GetRecord/4580/

Mediathek
  • Abb. 1: Das Wunderkind, 1889

    Bronisław Huberman als Siebenjähriger, 1889
  • Abb. 2: Als Jugendlicher, um 1895

    Bronisław Huberman in jungen Jahren, um 1895. Unbekannter Fotograf, Albuminabzug, 14,7 x 10,1 cm, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie, Inv. Nr. DI 103634 MNW
  • Abb. 3: Als Vierzehnjähriger, 1896

    Bronisław Huberman als Vierzehnjähriger, 1896. Fotografie von R. Wilhelm, New York, Philip Hale Photograph Collection, Boston Public Library
  • Abb. 4: Bronislaw Huberman, 1900

    Bronisław Huberman als Achtzehnjähriger, 1900
  • Zdj. nr 5: Emil Orlik, Huberman, ok. 1915 r.

    Emil Orlik, Portret Bronisława Hubermana ze skrzypcami, ok. 1915 r., akwaforta, 24,5 x 29,3 cm.
  • Abb. 6: Lesser Ury: Huberman, um 1916

    Lesser Ury: Porträt Bronisław Huberman, um 1916. Pastell auf Karton, 97,2 x 70,7 cm, Jüdisches Museum Berlin, Inv. Nr. GHZ 78/1/0
  • Abb. 7: „Vaterland Europa“, 1932

    Bronislaw Huberman: Vaterland Europa, Berlin 1932
  • Abb. 8: Offener Brief an Furtwängler, 1933

    Offener Brief von Bronisław Huberman an Wilhelm Furtwängler, Prager Tagblatt vom 13.9.1933, Österreichische Nationalbibliothek
  • Abb. 9: Einstein trifft Huberman, 1936

    Der Physiker Albert Einstein trifft Bronisław Huberman 1936 in seinem Haus in Princeton, New Jersey
  • Abb. 10: Toscanini probt mit dem Palestine Orchestra, 1936

    Das Palestine Orchestra während einer Probe unter der Leitung von Arturo Toscanini, vermutlich im Dezember 1936