Bronisław Huberman. Vom Wunderkind zum Kämpfer gegen den Nationalsozialismus
Empfand Huberman, wie er an Furtwängler schrieb, in der Trennung von Deutschland einen tiefen „Schmerz als Freund meiner deutschen Freunde, als Interpret der deutschen Musik, der den Widerhall seines deutschen Publikums sehr entbehrt“, so urteilte er über Furtwängler in einem im Oktober 1933 verfassten Brief: „Diese Mischung von Idealismus, Opportunismus, Eitelkeit und Kulturgebahren […], von der Platzierung seiner Handvoll jüdischer Orchestermitglieder an den ersten Pulten des Pariser Konzertsaales bis zur Annahme der Würde eines preußischen Staatsrates, das geht mir über die Hutschnur!“[36] Deutschen Boden hat Huberman nie wieder betreten. Ab 1934 leitete er für zwei Jahre eine Meisterklasse an der staatlichen Wiener Musikakademie. Im Juli/August 1935 wurde der Pianist Siegfried Schultze von der Berliner Reichsmusikkammer aufgefordert, seine Verbindung mit Huberman zu lösen, wie die Wiener Zeitung berichtete. Als Grund wurde Hubermans „deutschfeindliches“ Verhalten angeführt.[37]
Im März 1936 verfasste Huberman einen „Offenen Brief an die deutschen Intellektuellen“, der in englischer Sprache in der Zeitung The Manchester Guardian veröffentlicht wurde.[38] Huberman bezog sich darin erneut auf sein Schreiben an Furtwängler und schrieb: „Inzwischen sind zweieinhalb Jahre verstrichen, unzählige Menschen sind ins Konzentrationslager, ins Zuchthaus geworfen, aus dem Lande gejagt, in den Tod durch Mord und Selbstmord getrieben […] Vor aller Welt klage ich Euch, deutsche Intellektuelle, Euch Nicht-Nazis, als die wahren Schuldigen an allen nazistischen Verbrechen an, an diesem jammervollen, unsere ganze weiße Rasse beschämenden und gefährdenden Niedergang eines hochstehenden Volkes. […] deutsche Geistesführer von der internationalen Bedeutung und Bewegungsfreiheit eines Richard Strauss, Furtwängler, Gerhart Hauptmann, Werner Krauß, Kolbe, Sauerbruch, Eugen Fischer, Planck u.a., noch bis gestern das deutsche Gewissen, den deutschen Genius, darstellend […] finden von allem Anfang an keine andere Reaktion auf diesen Anschlag auf die heiligsten Güter der Menschheit als Kokettieren, Paktieren, Kooperieren. Deutschland, Volk der Dichter und Philosophen, die Welt, nicht nur die feindliche, Eure Freunde warten in Bestürzung auf ein Wort der Befreiung!“[39]
[36] Brief Huberman an „Bn.“ vom 18.10.1933, Nachlass Huberman (siehe Anmerkung 1), zitiert nach von der Lühe 2004 (siehe Literatur), Seite 74
[37] Theater und Kunst. Die Reichsmusikkammer gegen Huberman, in: Wiener Zeitung, herausgegeben von der Bundesverwaltung, 232. Jahrgang, Nr. 211 vom 2.8.1935, Seite 8, Online-Ressource: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=19350802&seite=8&zoom=25
[38] Maschinenschriftliches Manuskript in deutscher Sprache im Nachlass Huberman (siehe Anmerkung 1). Die deutsche Fassung wurde 1944 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Huberman durch das Jewish Institute of Religion in New York erneut publiziert in der deutsch-jüdischen Exilzeitung Aufbau des in New York ansässigen New World Club (bibliografische Angaben und Online-Ressource siehe Quellen).
[39] Zitiert nach der Fassung von 1944 (siehe Anmerkung 38)