Bronisław Huberman. Vom Wunderkind zum Kämpfer gegen den Nationalsozialismus

Bronisław Huberman, um 1928. Unbekannter Fotograf, Library of Congress, George Grantham Bain Collection, Washington, DC
Bronisław Huberman, um 1928. Unbekannter Fotograf, Library of Congress, George Grantham Bain Collection, Washington, DC

Außer mit ökonomischen und politischen Fragen beschäftigte sich Huberman in seinen Schriften und Reden zu Paneuropa ausführlich mit den kulturellen Problemstellungen. Was bis heute im Rahmen einer integrationspolitischen Debatte als „kulturelle Identität Europas“ diskutiert wird, beschäftigte Huberman unter dem Stichwort einer gemeinsamen „Mentalität“.[22] Dass ein „Paneuropa der Mentalität“ tatsächlich existiere, begründete er mit Beispielen aus der gemeinsamen Kulturgeschichte Europas und mit eigenen Erfahrungen: „Das deutsche Theater unter Max Reinhardts Leitung unternahm während des Krieges staatlich subventionierte Propagandareisen ins neutrale Ausland mit Stücken des ‚feindlichen‘ Staatsangehörigen Maxim Gorki, in Wien und Budapest wurde, während die Schlachten am Isonzo tobten, in Staatstheatern Puccini, in Pariser Konzerten Wagner und Brahms aufgeführt; ich, der Pole, führte trotz meines offiziellen Status als feindlicher Staatsangehöriger in Berlin im Jahre 1917 das Meisterstück des Russen Taneieff, die Konzertsuite, auf, und in Paris im ersten Jahre nach dem Waffenstillstand spielte ich die Sonate des Deutschen Richard Strauss. […] Es hat keine Zeit gegeben, auch nicht während der schlimmsten deutsch-polnischen Verhetzung, in der man nicht deutsche Künstler in Polen und polnische Künstler in Deutschland mit Begeisterung aufgenommen hätte.“[23]

Neben dem gemeinsamen kulturellen Erbe betonte er aber auch die Vielfalt der Nationalkulturen, denen Europa „die Neunte Symphonie, den Faust, die Sixtinische Madonna, die Chopinschen Balladen und so weiter“ verdanken würde, in deren Genuss jedoch aufgrund der überall in Europa herrschenden restriktiven, die Reichen bevorzugenden Kulturvermittlung nur eine verschwindende Minderheit gelangen würde: „Immer wieder erlebt man es in Europa: Dieser Hamlet, diese Neunte Symphonie versammelt um sich nicht alle ihrer würdigen und bedürftigen Zuhörer, sondern nur jenes kleine Häuflein, das bei dem periodisch wiederkehrenden Zusammenprall der europäischen Völker dank einem glücklichen Zufall dem wirtschaftlichen Ruin entgangen ist. Eine Kultur, die zu ihrer Voraussetzung sich gegenseitig zerfleischende Nationen hat, infolgedessen 99 von 100 Europäern unzugänglich ist und daher eine reine Klassenkultur bleibt“.[24] Auch der Sprachenfrage widmete sich Huberman und empfahl die gleichberechtigte Verwendung der jeweiligen Landessprache sowie dreier Weltsprachen.

[22] Ebenda, Seite 113 f.

[23] Huberman 1925 (siehe Eigene Schriften), Seite 20

[24] Huberman 1932 (siehe Eigene Schriften), Seite 44 f.

Mediathek
  • Abb. 1: Das Wunderkind, 1889

    Bronisław Huberman als Siebenjähriger, 1889
  • Abb. 2: Als Jugendlicher, um 1895

    Bronisław Huberman in jungen Jahren, um 1895. Unbekannter Fotograf, Albuminabzug, 14,7 x 10,1 cm, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie, Inv. Nr. DI 103634 MNW
  • Abb. 3: Als Vierzehnjähriger, 1896

    Bronisław Huberman als Vierzehnjähriger, 1896. Fotografie von R. Wilhelm, New York, Philip Hale Photograph Collection, Boston Public Library
  • Abb. 4: Bronislaw Huberman, 1900

    Bronisław Huberman als Achtzehnjähriger, 1900
  • Zdj. nr 5: Emil Orlik, Huberman, ok. 1915 r.

    Emil Orlik, Portret Bronisława Hubermana ze skrzypcami, ok. 1915 r., akwaforta, 24,5 x 29,3 cm.
  • Abb. 6: Lesser Ury: Huberman, um 1916

    Lesser Ury: Porträt Bronisław Huberman, um 1916. Pastell auf Karton, 97,2 x 70,7 cm, Jüdisches Museum Berlin, Inv. Nr. GHZ 78/1/0
  • Abb. 7: „Vaterland Europa“, 1932

    Bronislaw Huberman: Vaterland Europa, Berlin 1932
  • Abb. 8: Offener Brief an Furtwängler, 1933

    Offener Brief von Bronisław Huberman an Wilhelm Furtwängler, Prager Tagblatt vom 13.9.1933, Österreichische Nationalbibliothek
  • Abb. 9: Einstein trifft Huberman, 1936

    Der Physiker Albert Einstein trifft Bronisław Huberman 1936 in seinem Haus in Princeton, New Jersey
  • Abb. 10: Toscanini probt mit dem Palestine Orchestra, 1936

    Das Palestine Orchestra während einer Probe unter der Leitung von Arturo Toscanini, vermutlich im Dezember 1936