Bronisław Huberman. Vom Wunderkind zum Kämpfer gegen den Nationalsozialismus

Bronisław Huberman, um 1928. Unbekannter Fotograf, Library of Congress, George Grantham Bain Collection, Washington, DC
Bronisław Huberman, um 1928. Unbekannter Fotograf, Library of Congress, George Grantham Bain Collection, Washington, DC

Huberman plante aber, in der folgenden Konzertsaison, im Herbst 1937, mit dem Palestine Orchestra aufzutreten. Während einer Tournee durch Australien und Asien erlitt er jedoch bei der Bruchlandung seines Flugzeugs auf der Insel Sumatra Anfang Oktober 1937 so schwere Verletzungen an beiden Armen, dass daraus nichts wurde. Erst im Dezember 1938 konnte er unter der Leitung des ungarischen Dirigenten Eugen Szenkar (1891-1977) mit dem von ihm gegründeten Orchester musizieren. Auch Szenkar war Opfer der politischen Umstände in Europa. Seit 1924 Chefdirigent der Kölner Oper, war er 1933 von den Nationalsozialisten aus dem Amt entfernt worden und nach Wien geflüchtet. 1934 nach Moskau eingeladen, wo er seitdem das Staatliche Philharmonische Orchester leitete, wurde er 1937 während der Stalinschen Säuberungen aus Russland ausgewiesen. 1938/39 leitete er die vierten Abonnements-Konzerte des Palestine Orchestra sowie vier Konzerte der zweiten Ägyptentournee des Orchesters in Kairo und Alexandria.

Huberman absolvierte unterdessen Gastspiele in zahlreichen europäischen Städten. Im Februar und März 1940 reiste er zum letzten Mal zu „seinem“ Orchester und gab mit ihm Konzerte in Palästina und Ägypten. Von einer Konzertreise nach Südafrika konnte er wegen des Kriegsverlaufs nicht in die Schweiz zurückkehren und schiffte sich stattdessen im August 1940 in die USA ein. Dort setzte er bis zum Sommer 1945 seine Konzerttätigkeit fort. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfüllte er Konzertverpflichtungen und absolvierte Tourneen in Europa, den USA und Kuba und erkrankte nach seinem letzten öffentlichen Konzert in Zürich im April 1946 so schwer, dass er nicht mehr auftreten konnte. Er starb am 16. Juni 1947 in seinem Haus in Corsier im Schweizer Kanton Waadt. Durch seine Orchestergründung konnten zwischen 1936 und 1939 schätzungsweise sechshundert Menschen aus Europa vor Verfolgung und Tod gerettet werden.[52]

Das Palestine Orchestra erfreute sich nach seinem furiosen Auftakt großer Popularität in Palästina und unternahm jährlich eine Tournee nach Ägypten. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geriet es jedoch in finanzielle Schwierigkeiten, da ausländische Dirigenten fernblieben und die einheimischen Orchesterleiter weder die Musiker noch das Publikum für sich gewinnen konnten. Die finanziellen Zuwendungen aus Europa blieben zwangsläufig aus. Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage mussten die meisten Orchestermitglieder zusätzlich in Cafés und Hotels spielen. Gleichwohl fanden 1942 und 1943 noch über zweihundert Konzerte pro Saison statt. Gleichzeitig löste sich das Orchester von Hubermans Einfluss, der sich aufgrund seiner Abwesenheit und seiner späteren Erkrankung ohnehin nicht mehr kümmern konnte. Das Finanzierungssystem des internationalen Trusts brach durch den Rückzug der europäischen und amerikanischen Mäzene allmählich zusammen. 1946 entschied sich das von den Musikern gewählte Orchesterkomitee für eine neue, von kommunalen und staatlichen Institutionen in Palästina finanzierte Organisationsform. Nach der Staatsgründung Israels im Mai 1948 präsentierte sich das Orchester mit Beginn der Konzertsaison 1948/49 endgültig als Israel Philharmonic Orchestra[53] und gilt heute als eines der führenden Ensembles der Welt.

 

Axel Feuß, September 2020

[52] Von der Lühe 2017 (siehe Online). Der Dokumentarfilm „Orchestra of Exiles“ (2012, siehe Medien) nennt eine Zahl von rund 1000 geretteten Juden (min 1:21:05).

[53] Von der Lühe 1993 (siehe Literatur), Seite 1051 f.

Mediathek
  • Abb. 1: Das Wunderkind, 1889

    Bronisław Huberman als Siebenjähriger, 1889
  • Abb. 2: Als Jugendlicher, um 1895

    Bronisław Huberman in jungen Jahren, um 1895. Unbekannter Fotograf, Albuminabzug, 14,7 x 10,1 cm, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie, Inv. Nr. DI 103634 MNW
  • Abb. 3: Als Vierzehnjähriger, 1896

    Bronisław Huberman als Vierzehnjähriger, 1896. Fotografie von R. Wilhelm, New York, Philip Hale Photograph Collection, Boston Public Library
  • Abb. 4: Bronislaw Huberman, 1900

    Bronisław Huberman als Achtzehnjähriger, 1900
  • Zdj. nr 5: Emil Orlik, Huberman, ok. 1915 r.

    Emil Orlik, Portret Bronisława Hubermana ze skrzypcami, ok. 1915 r., akwaforta, 24,5 x 29,3 cm.
  • Abb. 6: Lesser Ury: Huberman, um 1916

    Lesser Ury: Porträt Bronisław Huberman, um 1916. Pastell auf Karton, 97,2 x 70,7 cm, Jüdisches Museum Berlin, Inv. Nr. GHZ 78/1/0
  • Abb. 7: „Vaterland Europa“, 1932

    Bronislaw Huberman: Vaterland Europa, Berlin 1932
  • Abb. 8: Offener Brief an Furtwängler, 1933

    Offener Brief von Bronisław Huberman an Wilhelm Furtwängler, Prager Tagblatt vom 13.9.1933, Österreichische Nationalbibliothek
  • Abb. 9: Einstein trifft Huberman, 1936

    Der Physiker Albert Einstein trifft Bronisław Huberman 1936 in seinem Haus in Princeton, New Jersey
  • Abb. 10: Toscanini probt mit dem Palestine Orchestra, 1936

    Das Palestine Orchestra während einer Probe unter der Leitung von Arturo Toscanini, vermutlich im Dezember 1936