Bronisław Huberman. Vom Wunderkind zum Kämpfer gegen den Nationalsozialismus

Bronisław Huberman, um 1928. Unbekannter Fotograf, Library of Congress, George Grantham Bain Collection, Washington, DC
Bronisław Huberman, um 1928. Unbekannter Fotograf, Library of Congress, George Grantham Bain Collection, Washington, DC

Hubermans Popularität in Deutschland dokumentieren auch zwischen 1915 und 1921 entstandene Porträts der in Berlin ansässigen Maler und Grafiker Emil Orlik (1870-1932, Abb. 5), Lesser Ury (1861-1931, Abb. 6) und Eugen Spiro (1874-1972). Von 1923 an begleitete ihn für zwölf Jahre und auch auf den weltweiten Konzertreisen der in Berlin ansässige Pianist Siegfried Schultze (1897-1989). Musikalisch widmete sich Huberman den großen Violinkonzerten und ‑sonaten, mit besonderer Leidenschaft aber auch der Kammermusik. Trios und Quartetts führte er zusammen mit Artur Schnabel (1882-1951), Pablo Casals (1876-1973) und Paul Hindemith (1895-1963) auf. Im November 1926 brachte er in Wien zusammen mit den Berliner Philharmonikern das 1. Violinkonzert des polnischen Komponisten Karol Szymanowski (1882-1937) zur Erstaufführung.

Erschüttert von den politischen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs begann Huberman Anfang der Zwanzigerjahre sich für die große Politik zu interessieren. Während er die Wintermonate der Jahre 1920 bis 1924 auf Konzerttourneen in den USA verbrachte, meinte er im föderalen System der Vereinigten Staaten mit ihrer wirtschaftlichen Prosperität das Vorbild für ein friedliches und vereintes Europa zu erkennen. Seine in Nordamerika gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen führten ihn zu einem öffentlichen Engagement für ein föderales, bundesstaatlich verfasstes Europa, also einen europäischen Bundesstaat, den er dem damaligen Sprachgebrauch folgend als Paneuropa bezeichnete. Ab 1924 wurde er in Reden und Zeitungsbeiträgen politisch aktiv. Mit Coudenhove-Kalergi, der seit 1922 die Paneuropa-Idee propagiert und 1924 die Paneuropa-Union gegründet hatte, entwickelte sich eine enge Freundschaft, die bis zu Hubermans Tod hielt. Als am 10. Juli 1925 im Berliner 8 Uhr-Abendblatt ein Interview mit Huberman erschien, schrieb Coudenhove-Kalergi ihm einen Brief: „Ich bin gerührt von der Entschiedenheit, mit der Sie sich darin für Paneuropa einsetzen.“[13] In seinem Antwortschreiben konnte Huberman berichten, dass die Pariser Ausgabe des New York Herald „das Berliner Interview in sensationeller Aufmachung nachgedruckt hat.“[14] Es entwickelte sich ein reger Briefverkehr, in dem Huberman und Coudenhove-Kalergi europapolitische Fragen erörterten, Informationen austauschten und Reisepläne abstimmten um Treffen zu arrangieren.

1925 verfasste Huberman eine erste Schrift zu diesem Thema, „Mein Weg zu Paneuropa“, die Coudenhove-Kalergi im zweiten Jahrgang der Zeitschrift Paneuropa veröffentlichte und die offenbar auch als Sonderdruck erschien.[15] Als Triebfedern des europäischen Einigungsprozesses, wie Huberman ihn sah, sollten vorrangig ökonomische und wohlfahrtspolitische Erwägungen wirken, die er im US-amerikanischen Fordismus der Zwanzigerjahre, also in der arbeitsteiligen industriellen Warenproduktion innerhalb eines großen, einheitlichen Wirtschaftsraums, verwirklicht sah, während sich Europa seiner Ansicht nach durch eine von Zollgrenzen bestimmte Kleinstaaterei selbst blockierte. Im US-amerikanischen Vorbild sah er eine hohe ökonomische Produktivität, relativen Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten und ein ausgeprägtes Mäzenatentum einzelner wohlhabender Bürger verwirklicht, das der Bildung und der Kultur zugutekam, „Einschätzungen, die – zumal aus heutiger Sicht – als Idealisierung oder gar als politisch naiver Enthusiasmus erscheinen mögen“, so der Politikwissenschaftler Hans-Wolfgang Platzer (*1953), aber „unter zeitgenössischen USA-Beobachtern keineswegs eine Außenseiterposition“ einnahmen.[16]

[13] Brief Coudenhove-Kalergi an Huberman vom 10.7.1925, Nachlass Huberman (siehe Anmerkung 1), zitiert nach Platzer 2019 (siehe Literatur), Seite 122

[14] Brief Huberman an Coudenhove-Kalergi vom 21.7.1925, ebenda

[15] Bibliografische Angaben siehe unter Eigene Schriften

[16] Platzer 2019 (siehe Literatur), Seite 80 f.

Mediathek
  • Abb. 1: Das Wunderkind, 1889

    Bronisław Huberman als Siebenjähriger, 1889
  • Abb. 2: Als Jugendlicher, um 1895

    Bronisław Huberman in jungen Jahren, um 1895. Unbekannter Fotograf, Albuminabzug, 14,7 x 10,1 cm, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie, Inv. Nr. DI 103634 MNW
  • Abb. 3: Als Vierzehnjähriger, 1896

    Bronisław Huberman als Vierzehnjähriger, 1896. Fotografie von R. Wilhelm, New York, Philip Hale Photograph Collection, Boston Public Library
  • Abb. 4: Bronislaw Huberman, 1900

    Bronisław Huberman als Achtzehnjähriger, 1900
  • Zdj. nr 5: Emil Orlik, Huberman, ok. 1915 r.

    Emil Orlik, Portret Bronisława Hubermana ze skrzypcami, ok. 1915 r., akwaforta, 24,5 x 29,3 cm.
  • Abb. 6: Lesser Ury: Huberman, um 1916

    Lesser Ury: Porträt Bronisław Huberman, um 1916. Pastell auf Karton, 97,2 x 70,7 cm, Jüdisches Museum Berlin, Inv. Nr. GHZ 78/1/0
  • Abb. 7: „Vaterland Europa“, 1932

    Bronislaw Huberman: Vaterland Europa, Berlin 1932
  • Abb. 8: Offener Brief an Furtwängler, 1933

    Offener Brief von Bronisław Huberman an Wilhelm Furtwängler, Prager Tagblatt vom 13.9.1933, Österreichische Nationalbibliothek
  • Abb. 9: Einstein trifft Huberman, 1936

    Der Physiker Albert Einstein trifft Bronisław Huberman 1936 in seinem Haus in Princeton, New Jersey
  • Abb. 10: Toscanini probt mit dem Palestine Orchestra, 1936

    Das Palestine Orchestra während einer Probe unter der Leitung von Arturo Toscanini, vermutlich im Dezember 1936