Andrzej Nowacki. Erkundung des Quadrats
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Raum 1: Geometrie: tanzend und kontemplativ
Anfangs schuf er unter dem Eindruck von Bildern des polnischen Meisters der geometrischen Kunst, Henryk Stażewski. Heute erzählt er darüber: „Die Faszination, die ich damals erlebte, lässt sich kaum ausdrücken. Entscheidend war die Atmosphäre von Harmonie, Ruhe und Ordnung, nicht nur in diesem Menschen, sondern vor allem in seinen Bildern. Spürbar war der Inhalt von Stażewskis Malerei: Einführung von Ordnung in das Chaos. […] Und für mich, der ich nach einer inneren Ordnung in meinem Leben suchte, hatten diese geometrisch gestalteten Bilder eine besondere Bedeutung, waren wie eine Art Refugium. Hinzu kam es, dass die geordnete Bildfläche unglaublich viel Energie bündelte. Hier lag der Ursprung der Inspiration für mein eigenes Schaffen.”[1]
Alles beginnt mit dem Quadrat. Diese perfekte geometrische Form verkörpert zum einen Harmonie und Ausgewogenheit, zum anderen bietet sie einen begrenzten, scheinbar ruhigen und sicheren Schauplatz für allerlei malerisches Geschehen. Doch die festen Grenzen schließen nicht ein, sondern locken eher an, sie zu durchbrechen, über sie hinauszugelangen, ohne dabei die harmonische Ordnung zu zerstören. In diesem Sinne experimentiert Andrzej Nowacki in seiner ersten Schaffensperiode. Die einfachsten geometrischen Figuren, aus Holzplatten ausgeschnitten, bebauen in gewisser Freiheit die quadratische Grundfläche: eine Vielfalt von kleineren und größeren Quadraten und Kreisen, die manchmal halbiert oder gebrochen erscheinen, von Linien, die das Bild zerschneiden oder sich als leere Rahmen verselbstständigen. Die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen scheinbar bewegten Figuren bestimmen die innere Dynamik der Bilder, verstärkt durch immer freizügigeren Einsatz von Farben. Der Künstler verwendet dabei Acrylfarben, die er selbst mischt, so dass eine einzigartige Palette entsteht. Die Welt seiner damaligen Quadrate wird von einem Zusammenspiel von Formen und Farben geprägt, wobei beide Elemente gleichberechtigt sind und manchmal ihre Rollen wechseln: die Farbe wird zur Form, die Form zur Farbe. (Abb. 03, 04, 05, 06)
1992 schrieb der Kunsthistoriker und Kurator Hubertus Gaßner im Katalog zur Nowackis ersten Ausstellung in Krakau: „Das Zusammenwirken von Gebundenheit und Freiheit, Stabilität und Labilität, Ruhe und Schwankungen verleiht […] den Reliefs von Andrzej Nowacki den Grundtenor kontemplativer Gespanntheit. Von Leisten in rechte Winkel gefasst, liegt das pulsierende Herz im Inneren dennoch nicht in Ketten. Der Herzschlag bringt die Quadrate zum Tanzen. Sein Sinn: die Beseelung des Geometrischen, zur rückwirkenden Klärung des unübersichtlichen Seelenlebens. Um Ordnung ins Chaos der Seele zu bringen, führt der Künstler ein heilsames Chaos ein in die streng geordnete Geometrie der Quadrate. Ein auch therapeutischer Schaffensakt. Sein Tanzboden: das Quadrat, die ausgeglichenste aller Formen. Dann, im Schaffensvorgang, gerät das zunächst entspannt in sich ruhende Feld in Bewegung. Doch nicht die Formen tanzen im Rahmen, der Rahmen selbst setzt sich in Bewegung, fächert sich auf, vervielfältigt sich gleichsam wie Nachbilder im Auge bei Bewegungseindrücken.“[2]
Die Variationen jener Formen-und-Farben-Spiele scheinen sich ins Unendliche zu entwickeln. Sie wirken sehr emotionsgeladen, expressiv, und jedes Relief scheint seine eigene Geschichte zu verkörpern. Fast jede Arbeit dieser Phase wird mit einem poetischen Titel versehen, als wollte der Künstler sich noch einmal ausdrücklich von den kühlen Prinzipien der Geometriesprache distanzieren, über sie hinausgehen und die lyrischen Inhalte des Bildes zutage fördern.
[1] Andrzej Nowacki im Gespräch mit der Autorin, Berlin, Juli 2018.
[2] Hubertus Gaßner, Auf Stelzen tanzend, in: Ausstellungskatalog, Andrzej Nowacki, Kraków 1992.