Anatol Gotfryd
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Im Studio von RBB COSMO Radio po polsku, 5.02.2018
Jürgen Tomm und Anatol Gotfryd, Buchhändlerkeller
Für Danuta, deren große Leidenschaft die Natur ist, ist das Zusammenspiel zwischen den Raumfunktionen, also dem Innen, und dem Außen wichtig. Sie hat mehrere Jahre Parks in England besichtigt, um einen englischen Garten in Berlin wiedererstehen lassen zu können. Sie meint, dass es in der Gartenkunst darum gehe, Außenanlagen in jeder Jahreszeit attraktiv aussehen zu lassen. Für diese stilechte Erhaltung wurde Danuta Gotfryd mit einer Medaille der Denkmalschutzbehörde geehrt. Bilder dieses Gartens publizierte der Architekt Günter Mader in seinem Buch über die Garten- und Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland. „Wenn man in ein fremdes Land reist, muss man dort ein Stück eigenen Grund und Boden besitzen, um sich wie zu Hause zu fühlen. Das schafft Verbindung zur Welt“, bekennt Danuta Gotfryd.
In den langen Jahren der Emigration verloren die Gotfryds nie ihre Bindung zu Polen und zur polnischen Sprache. Sie empfingen gern polnische Intelektuelle, die nach Berlin kamen, so auch Zbigniew Herbert, der mit seiner Ehefrau bei ihnen wohnte. Eine herzliche Freundschaft verband sie mit Stanisław Mrożek, den sie auch in Paris besuchten. In ihrem Hause weilten Stanisław Lem, Władysław Bartoszewski, Ryszard Kapuściński und Roman Opałka. 1994 organisierte Anatol Gotfryd eine Ausstellung des letztgenannten Künstlers in der Nationalgalerie Berlin.
Die legendäre Praxis der polnischen Zahnärzte gab es bis zum Jahr 2000. Als Tolek, wie Anatol Gotfryd von seinen Freunden bis heute genannt wird, in den Ruhestand tritt, setzt er sich ein neues Ziel. Er will alle Menschen vor dem Vergessen bewahren, denen er auf seinem Lebensweg begegnet ist. Aus dem Zahnarzt wird ein Schriftsteller, der zwei erfolgreiche autobiographische Bücher herausgebracht hat. In ihnen offenbart er zum ersten Mal, während der Verfolgungen durch die Nazis mit dem Leben davon gekommen zu sein.Bis dahin wollte er nicht davon sprechen, „denn die Tatsache, verfolgt worden zu sein, hat etwas Entwürdigendes und Intimes (...)“[7] Seine Leseabenden in Berlin ziehen Scharen von Lesern, Freunden und Patienten an.
Trotz der 60 Jahre, die Anatol Gotfryd in Berlin lebt, spricht er tadellos Polnisch, auch wenn er seine Bücher lieber in deutscher Sprache verfasst. Die besondere Leichtigkeit für Fremdsprachen hat er nach eigener Aussage aus Galizien mitgebracht und er fügt hinzu: „Als Kind habe ich ein paar Sprachen – Polnisch, Ukrainisch und Jiddisch – wie von selbst gelernt. Zu Hause sprachen die Eltern teilweise Deutsch. Meine Sprachkenntnisse habe ich mit der Muttermilch aufgesogen. Multikulti hat mich geprägt.
Auf ein multikulturelles, kosmopolitisches Umfeld trafen die Gotfryds auch in Berlin, was die Integration und das Leben in der Fremde sicher erleichtert hat. Ab und zu empfindet Anatol immer noch eine Sehnsucht nach dem „fernen, polnischen Galizien“, doch er entschied sich, nie mehr dorthin zurückzukehren, da er die Welt, die er in seinen Erinnerungen bewahrt, nicht wiederfinden würde. Die Atmosphäre seiner Kindheit entdeckte er für sich im italienischen Ligurien, wo er jedes Jahr mit seiner Frau sechs Monate verbringt.
Danuta und Anatol Gotfryd sind über 60 Jahre verheiratet. „Wir sind vollkommen verschieden. Ich denke mit dem Bauch, Danka hingegen mit dem Kopf. Aber alle, die uns kennen, glauben, dass es umgekehrt ist.”[8] Wenn man sie nach dem Rezept für eine gelungene Ehe fragt, setzen sie auf Vertrauen, Freiheit und Individualismus. Weil sie immer anderer Meinung sind, langweilen sie sich nie. Anatol bringt seiner Frau jeden Morgen einen Tee ans Bett und liest ihr aus Büchern vor. Beide stimmen darin überein, dass Kunst und Literatur seit eh und je ihre Parallelwelt sind.
Monika Sędzierska, August 2018
[7] Anatol Gotfryd, Der Himmel in den Pfützen ... , S. 182.