Artur Brauner
Als Artur Brauner, der erfolgreiche Filmproduzent polnisch-jüdischer Herkunft, 1992 nach Łódź fährt, um als Ehrenbürger dieser Stadt geehrt zu werden, fährt er an den Ort, an dem seine Liebe zum Film begann. Łódź ist eben nicht nur seine Heimatstadt, sondern hier besuchte der junge Artur leidenschaftlich gern und manchmal ohne das Wissen der Eltern die Kinos Luna, Casino, Splendid oder Bajka. Nach seinen eigenen Angaben ging er acht Mal wöchentlich ins Kino, ein Mal täglich und sonntags immer zwei Mal. Jahrzehnte später kann Artur Brauner auf über 250 selbst produzierte Filme zurückblicken, die allerdings nicht in Łódź, sondern in Berlin produziert wurden.
Artur Brauner kam 1918 als Sohn polnischer Juden, Moshe und Brana Brauner, in Łódź zur Welt. Sein Vater war ein erfolgreicher Holzgroßhändler. Artur hieß ursprünglich Abraham, aber schon früh, noch in der Grundschule, wünschte er sich Artur genannt zu werden. Er war ein aufgeweckter Junge, lernte gerne und viel, spielte Geige, komponierte Lieder. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg begann er ein Studium an der Technischen Hochschule in Łódź. Der Krieg bereitete seinem Studium ein Ende. Im September 1939 begann in Polen der deutsche Besatzungskrieg. Schnell war auch die multikulturelle Stadt Łódź besetzt. Die Juden wurden im „Ghetto Litzmannstadt“ zusammen gepfercht. Artur Brauner sah das Elend und den Tod. Doch noch vor der endgültigen Abriegelung des Ghettos am 30. April 1940, floh Artur Brauner mit seiner Familie aus der Stadt in den sowjetisch besetzten Teil Polens. Dort, in abgelegenen, vergessen Dörfern und Wäldern, gelang es ihm den Krieg unerkannt zu überleben. Doch 49 Verwandte Artur Brauners wurden im Holocaust ermordet.
Nach dem Krieg wollte er zusammen mit seinem Bruder eigentlich nach Nordamerika. Doch aus dem als Zwischenstopp geplanten Aufenthalt in Berlin sind inzwischen fast 70 Jahre geworden[1]. Denn in Berlin gründete Artur Brauner 1946 die Filmproduktionsfirma Central Cinema Company (CCC-Film). Die nötige finanzielle Unterstützung kam von seiner Familie, vor allem aber von seinem Schwager Joseph Einstein.
Drei Jahre später, 1949, kaufte er das Gelände einer ehemaligen Giftfabrik in Berlin-Haselhorst und errichtete dort die CCC Filmstudios. Im Laufe der Jahre wurden hier über 700 Filme produziert, knapp 270 davon sind Selbstproduktionen von Artur Brauner. Auch wenn die meisten Filme eher Unterhaltungsfilme waren, Artur Brauner widmete sich auch den Themen, die ihn prägten und begleiteten: Die Judenverfolgung und NS-Deutschland. Diese Themen sind in über 20 seiner Filme vertreten. Zu den wichtigsten gehören „Morituri“, „Bittere Ernte“, Hitlerjunge Salomon“, „Eine Liebe in Deutschland“, „Babij Jar“, aber auch „Die weiße Rose“, „Mensch und Bestie“ oder „Der 20. Juli“. Seit 2009 werden in Yad Vashem Artur Brauners Filme mit Bezug zum Holocaust gezeigt, seit 2010 sind sie dort in einer eigens für sie eingerichteten Mediathek zugänglich.
[1] Uns beschäftigte die Frage, warum Artur Brauner sich nach dem Krieg ausgerechnet in Deutschland niederließ. Wir erhielten von ihm am 05.11.2015 die schriftliche Antwort: „Als ich nach Beendigung des Krieges auf den Stroh- und Heuwagen eines polnischen Bauern kletterte, um mit diesem nach Berlin zu ziehen, denn von dort sollte ich mit der gesamten Familie nach Israel emigrieren. Ich fuhr also mit dem Bauern über die Feldstraßen und plötzlich wich der Kutscher aus, er wollte plötzlich diesen Weg, der sowieso provisorisch gesperrt war, nicht mehr benutzen, sondern er wollte einen Umweg nehmen. Daraufhin fragte ich ihn, warum er dies täte meinte er, wir sollten dort nicht hineinfahren, da wäre etwas Schreckliches geschehen. Ich habe mir bereits gedenken können, was er meinte und bin dann aus dem Wagen gestiegen und bat ihn, rund 30 Minuten auf mich zu warten und ging alleine in den Wald.
Und dort bin ich sofort mit den toten Leibern der Opfer, zusammengescharrt auf einem Haufen konfrontiert worden. Und besonders die offenen Augen eines getöteten ca. 12-jährigen Jungen haben meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er lag oben auf dem großen Grab, welches vollgestopft war mit den Leichen als Überbleibsel der SS, die es scheinbar nicht mehr geschafft hatte, die Getöteten zu verscharren oder zu verbrennen.
Die offenen Augen des toten Jungen haben mich so sehr in den Bann gezogen, dass ich minutenlang wie auf den Boden festgenagelt und reglos stand, und dann mir selbst das Gelübde auferlegte: Du darfst die Opfer des Nationalsozialismus niemals in Vergessenheit geraten lassen, Du musst alles was Dir möglich ist unternehmen, um ihnen ein Denkmal zu setzen.
Diese Aufgabe schien mir der getötete Junge, der noch gar nicht richtig gelebt hatte, aufzubürden und ich war, dort im Wald stehend, bereit mich der Verpflichtung zu stellen. Seine Augen lassen mich bis heute nicht ruhen. Und eigentlich nur Dank dieses Geschehens sind bis heute 25 Filme um die Opfer des NS von mir produziert worden. Der erste Film seiner Art entstand unter dem Titel „Morituri“, die Geschichte war von mir erfunden.
Diese Filme, die ich allen Opfern die den Nazis zum Opfer fielen, weltweit vom Goethe Institut verbreitet, sowie in Israel von Yad-Vashem, in Frankfurt vom DIF und in Berlin vom Jüdischen Museum.“ (Artur Brauner am 05.11.2016)