Sławomir Elsner. Präzision und Unschärfe
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Diese Arbeit ist so diffizil aufgeführt, dass die neu entstandenen Werke aus der Ferne und in Reproduktionen wie Fotografien oder Siebdrucke wirken. Erst am Original und in der Nahsicht offenbart sich ihre Zusammensetzung aus unendlich vielen differenzierten farbigen Linien. Elsner schafft durch seine künstlerische Arbeit eine Distanz zum Bildmotiv, die Fragen nach dessen Authentizität und emotionaler Wirkung provoziert und die gleichzeitig den Übergang von einem Medium zum anderen, also von der Fotografie zu einem völlig neu geschaffenen Kunstwerk, der Farbstiftzeichnung, ermöglicht. Mit seiner langwierigen, geradezu meditativ ausgeübten Zeichentechnik und den lapidaren, zu Serien verbundenen Werktiteln tritt er in größtmögliche Distanz zu Bildthemen, die tief im kulturellen Gedächtnis verankert sind, und bewirkt damit Möglichkeiten zu deren Neubewertung und Analyse. Vor allem appelliert die hohe ästhetische Wirkung seiner Arbeiten, die aus dem Gegensatz zwischen tiefem Dunkel und gleißenden Lichtern und der präzisen Zeichentechnik resultiert, an die in unserer Erinnerung gespeicherten Emotionen und Bewertungen der jeweiligen Katastrophen. Vielleicht verstärkt sie sie auch nur: „Die Schönheit der Atomexplosion“, schreibt Anne-Marie Bonnet im Wiesbadener Katalog, „mindert nicht deren erschreckende Zerstörungsgewalt, im Gegenteil, sie verschärft deren unfassbare Grausamkeit“.
„Bilder vermitteln Vorstellungen, transportieren Emotionen, sind sinnlich aufgeladen“, schreibt Lea Schäfer in ihrem Beitrag und meint die nach Vorlagen gezeichneten Arbeiten von Elsner. Dies gilt jedoch nicht weniger für die ungegenständliche Kunst, so Niels Ohlsen in seinem Text über Elsners nächste große Werkgruppe, die abstrakten Aquarelle mit dem Serientitel „Just Watercolors“ (Abb. 16-24 . ), bei denen „das Kunstwerk vom narrativen Objekt zum Teil der erlebten Realität“ wird. Aus diesem Grund konfrontiert die Wiesbadener Ausstellung, die Andreas Henning und Lea Schäfer kuratiert haben, die gegenständlichen Zeichnungen und die abstrakten Aquarelle direkt nebeneinander, da sich so Kongruenzen und Unterschiede bei farblichen Differenzierungen, Verläufen und Strukturen, bei der Kontrastfindung zwischen tiefer Dunkelheit und strahlendem Licht, der Bewältigung der großen Formate und der Papiertexturen anhand der verschiedenen Themen und Techniken studieren lassen.
„Hauchdünne Schichten, tiefe Farbräume, die uns zum Eintauchen einladen, scharfe Trocknungsränder, unmerkliche Verdichtungen der Pigmente sind das, was uns beim Betrachten von Slawomir Elsners Aquarellen sogleich auffällt und nicht mehr loslässt“, schreibt Ohlsen im Katalog. Der Künstler spannt feuchte Bögen des großformatigen Büttenpapiers auf und streicht die wässrige Pigmentlösung der jeweiligen Farben in breiten Schichten mit einem Flachpinsel auf. Beim Auftragen weiterer Lagen der lasierenden, also durchscheinenden Farben auf das immer wieder angefeuchtete Papier in häufig mehr als einhundert Durchgängen wird eine immer intensivere und tiefere Sättigung erreicht. Das gesamte Verfahren erfordert eine intensive Kenntnis der Papiere, der Farblösungen, der Trocknungsprozesse und der mechanischen Arbeitsvorgänge, da sich Fehler wie Risse im Papier oder Tropfen auf bereits getrockneten Schichten nicht mehr rückgängig machen lassen. Das Resultat sind Bildtafeln von immer noch durchscheinender, zugleich aber hoher Strahlkraft, wie man sie sonst von der aus vielen Schichten bestehenden Lasurtechnik der altmeisterlichen Ölmalerei kennt.