Solidarni zza Muru – Für Solidarność. Hinter der Mauer
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„Versuch in der Wahrheit zu leben“ (Vaclav Havel – tschechischer Schriftsteller, Oppositioneller und Politiker)
(Vaclav Havel – czeski pisarz, opozycjonista, polityk)
Ein Protagonist der Ausstellung mit Fotos von Marian Stefanowski[*] ist der Mathematiker Ludwig Mehlhorn (1950 - 2011), ein früherer Bürgerrechtler in der DDR. Er inspirierte die Stiftung Kreisau, und er war ein Freund Polens und der Solidarność.
Warum beginne ich mit ihm? Weil die Ausstellung ebenso gut „Für Solidarność. Auf BEIDEN Seiten der Mauer“ heißen könnte.
„Für Solidarność. Hinter der Mauer“ stellt also nur eine Momentaufnahme dessen dar, was im geteilten Berlin geschah, die zudem oft schwach belichtet, unscharf und unvollständig ist. Eine einzige Szene in einem Film, der ganz sicher kein zweites Mal entstehen wird ... „Es gab sehr viele Menschen guten Willens. Sie alle haben einen kleinen oder größeren Stein aus der Mauer herausgebrochen. Um Bilder all dieser Menschen zeigen zu können, bedürfte es tausende von Räumen“ – zitierte die Gazeta Wyborcza Stefanowski anlässlich der Ausstellung in Łódź (Lodsch). Die 58 schwarz-weißen Fotogramme sind nur ein winziges Feld in dem Riesenpuzzle, das Historiker seit geraumer Zeit zusammensetzen. Die Zeitzeugen der damaligen Ereignisse, die mit dieser Ausstellung konfrontiert werden, können die Fragmente nur mit ihren eignen Erlebnissen und Geschichten komplettieren, und was noch viel wichtiger erscheint – vor allem mit Erfahrungen, die „anders“ sind als die Erfahrungen des Fotografen, der Mitwirkenden und des Kurators, so dass Tiefenschärfe entsteht. Dies wiederum war unser Ziel, und zwar seit die Idee zu dieser Ausstellung geboren wurde. Die Sichtung abertausender Negative, von denen noch mehr in feuchten Wohnungen, bei Umzügen oder wegen der schlechten Filmqualität unwiederbringlich verloren gingen, diente ebenfalls diesem Ziel.
Ich habe in einem meiner Interviews darauf hingewiesen, dass uns der Fotograf in die Stimmung der 1980er Jahre in West-Berlin versetzen und sie anderen näherbringen wollte. Vor allem aber wollte er die Menschen, die auf beiden Seiten der Mauer lebten und solidarisch auf der Seite der Wahrheit standen, in diese Stadt hineinversetzen. Insofern ist die Ausstellung ein Dank an alle Privatpersonen sowie an alle Institutionen und Organisationen, die geholfen haben, die sich an Hilfen beteiligt haben, und zwar von Anfang an oder auch nur sporadisch; zumindest, soweit dies möglich war, und zwar immer unter dem Aspekt der Solidarität der Menschen oder auch nur aus Sympathie für Polen, unabhängig von politischen Überzeugungen, Religion und Hautfarbe ...
Die Ausstellung „Für Solidarność. Hinter der Mauer“ besteht aus drei Themenblöcken und endet mit einem Epilog unter dem Titel „Up @ Down“. Die erste Abteilung unter der Überschrift „Berlin Zachodni – zachodni Berlin/ Berlin (West) - Westberlin“ erzählt von der Geschichte der geteilten Stadt, ihrer spezifischen Atmosphäre und von der Grenze zwischen zwei fremden, feindlichen Welten. Aber sie handelt auch von der Mauer und davon, wie sich die Einwohner Berlins dem eigentümlichen Charakter der Stadt angepasst haben: die Einen in ihrem „goldenen Käfig“ – die Anderen in der Hauptstadt des Arbeiterparadieses ...
Im zweiten Themenblock „Solidarni / Für Solidarność“ sind in alphabetischer Reihenfolge zehn Porträts von Personen zu sehen, die den Fotografen seit dem Dezember 1981 bis zur Wende auf seiner Solidarność-Wanderschaft durch Berlin begleitet haben. Scheinbar individuelle Charaktere, aus ganz verschiedenen Berufen und oft auch ganz verschiedenen politischen Überzeugungen. Philologe, Arzt, Graphiker, Trainer oder Buchhändler – alle geeint in einem Ziel: Polen und der Untergrundbewegung Solidarność zu helfen.
[*] Marian Stefanowski: Solidarni zza Muru. Für Solidarność. Hinter der Mauer. Fotografie – Fotografien. Berlin – Warszawa 2014. Veranstalter: Verband Polnischer Journalisten in Deutschland e.V. Unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Republik Polen Bronisław Komorowski. Kooperation und Koordinierung des Projekts: Ewa Maria Slaska und Joanna Trümner et al. Kuratiert von W. Drozdek. Vernissage am 25.06.2014 im Haus der IG Metall in Berlin. Ausstellungsorte außerhalb von Berlin: Warszawa, Dom Polonii, 22.08.2014 (die Ausstellung wurde ohne Angabe von Gründen nach zwei Wochen beendet), Toruń, Galeria Wejściówka, 12.12.2014, Łódź, Dom Literatury, 25.04.2015, Darłowo, Zamek Książąt Pomorskich, 13.12.2016.
„...zza Muru / ...hinter der Mauer“ heißt der dritte Themenblock, der Impressionen aus West-Berlin und Menschen zeigt, die diese hochmütige Stadt nicht nur geprägt, sondern ihr auch in zehn Jahren ein „polnisches“ Gesicht verliehen haben, das mit den gängigen Stereotypen und Vorurteilen bricht. Dieser Teil ist ein Dank an die vielen namenlosen (und oft vergessenen) freiwilligen Helfer, ohne die unsere Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Dazu schrieb Dr. Piotr Olszówka in seiner Laudatio: „(...) Stefanowskis Fotographien zeigen (...) Menschen, die in einer feindlichen und verängstigtem Umgebung den Geist der Gemeinschaft, der Solidarität entdeckt haben. Es waren Polen und Deutsche, Menschen aus drei Ländern und zwei Nationen.“ Dies ist eine wichtige Aussage, die nicht vergessen werden darf. Besonders heute. In einem Europa voller nationaler Konflikte und neofaschistischer Dummheit.
Der Epilog mit der Überschrift „Up @ Down“ greift nur scheinbar über den Rahmen der Ausstellung hinaus. Er beginnt mit Foto ohne Motiv (in den Ausstellungen in Łódź und Darłowo – einem Spiegel), das all jenen gewidmet ist, die sich am 4. Juni 1989 nicht nur in der Polnischen Militärmission in West-Berlin, sondern auch in Polen für Freiheit und Demokratie ausgesprochen haben. Die weiteren Bilder sind Porträts von Persönlichkeiten, die diese Werte mit der Bildung einer neuen Regierung gefestigt haben. By the way: der Epilog, seine Inhalte und die Art der Präsentation (scheinbar ungeordnet gehängte Fotografien, die erst aus einer gewissen Entfernung betrachtet die Form einer Sinuskurve erkennen lassen) weckten große Emotionen bis hin zur Zensur, wie im Fall der Ausstellung im Dom Polonii in Warszawa (Warschau), als es hieß: „Den Geremek hängt woanders hin – nicht neben Wałęsa“. An einem anderen Ausstellungsort wurden wir sogar aufgefordert, auf den Epilog zu verzichten, da er mit dem Konzept der Gastgeber nicht vereinbar wäre ... Dort hat die Ausstellung dann gar nicht erst stattgefunden.
„Vor dem Vergessen bewahren“ – darin waren sich alle einig, die seit 2012 an der Ausstellung mitgewirkt haben. Wie zeitgemäß klingt dies in einer Zeit, in der man vergisst, dass es zwei deutsche Staaten gegeben hat und eine Mauer, die nicht nur die Stadt, sondern auch die Familien teilte.
Abschließend noch ein Zitat von Dr. Piotr Olszówka: „Sie [die Berliner] unterstützten die Gesellschaft, die nach sechs Monaten Freiheit erneut gezähmt wurde. Ihre Solidarität hat gesiegt. Für 25 Jahre. Ob dauerhaft?“
Last but not least: Die IG Metall stellte nicht nur die Räumlichkeiten ihrer neueröffneten Galerie zur Verfügung: Sie gewährte auch technische Unterstützung. Sie war eine der wenigen Branchengewerkschaften, die der Untergrundbewegung Solidarność aktiv Hilfe zukommen ließen. Auch das sollte man nicht vergessen.
Wojciech Drozdek, Juni 2018
PS: Nach Jahren schrieb meine Bekannte Jadzia Konopacka aus Łódź im April 2018: „Ich erinnere mich an die LKWs mit Hilfsgütern von Euch. Der Theatersaal, in dem unter anderem Mikołajska, die Grabowskis, unser Vetter Edek Wende auftraten, voller Spendenpakete (...). Ich teilte dies den Familien der Internierten mit, damit sie sich dort meldeten, um die Dinge zu bekommen, die sie brauchten. Es wimmelte von Menschen. (...)“