Józef Szajna in Maczków
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Józef Szajna - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch
Verurteilt zum Leben. Józef Szajna in Maczków an der Ems 1945-1947
Józef Szajna wurde am 13. März 1922 in Rzeszów in Ostpolen geboren. Zu diesem Zeitpunkt war Polen nach über einhundertzwanzig Jahren Abwesenheit von der Karte Europas und der Wiederherstellung des Staates durch den Versailler Vertrag gerade vier Jahre unabhängig. Als die vom Deutschen Reich ausgehenden schwarzen Wolken der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft mit dem Überfall auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 ihr größtes Ausmaß erreichten, war Szajna siebzehn Jahre alt. „Man sollte wissen“, schrieb sein Sohn Łukasz 2015, „dass mein Vater kurz vor dem Ausbruch des Krieges im August 1939 an den polnischen Meisterschaften im Schwimmen teilgenommen hat. Er war polnischer Jugendmeister im Trampolinspringen und polnischer Vize-Meister im Langstreckenschwimmen (damals waren es 400 m).“[1] Neben der Athletenkarriere war Szajna in den traditionell patriotisch geprägten Verbänden der polnischen Pfadfinder aktiv. Als bereits Mitte September 1939 absehbar war, dass die schnell voranschreitenden deutschen Truppen trotz des erbitterten polnischen Widerstands nicht aufzuhalten waren und der Einmarsch der Roten Armee vom Osten her die Niederlage Polens besiegeln würde, wurde Szajna Mitglied der militärisch ausgerichteten Pfadfinder-Organisation „Szare szeregi“ (Graue Formationen) und beteiligte sich aktiv am Aufbau des konspirativen Widerstands sowie an diversen Sabotageakten unter dem Decknamen „Esjot 25“.
Nachdem seine Inhaftierung unmittelbar bevorstand, entschloss er sich nach Ungarn zu fliehen, um sich von dort aus polnischen Exilkampfverbänden anzuschließen. Mehrere Gänge über die „grüne Grenze“ scheiterten jedoch. Er wurde in der Slowakei interniert und am 13. März 1941, an seinem 19. Geburtstag, auf dem Gebiet des sogenannten Generalgouvernements, das die Deutschen in den okkupierten polnischen Gebieten eingerichtet hatten, an diese ausgeliefert. Anschließend wurde er unter anderem im Gestapo-Gefängnis von Muszyna und nach der Einstufung als politischer Gefangener unter unmenschlichen Bedingungen in Tarnów inhaftiert. Nach nur vier Monaten reduzierte sich sein Körpergewicht von 78 auf 46 Kilogramm. Am 25. Juli 1941 wurde er in das Konzentrationslager Auschwitz überführt. Hier erlitt er die schlimmsten Erlebnisse seines Lebens. Später schrieb er über diese Zeit: „Ich bin jetzt 43 kg schwer, habe Durchfall und heiße Nummer 18729“[2].
Nach einem misslungenen Fluchtversuch wurde er 1943 in Auschwitz zum Tode verurteilt. Die erste Etappe der offenbar als Abschreckung gedachten Strafe war die Unterbringung in der sogenannten „Stehzelle“, einem Raum von 90 x 90 Zentimetern ohne Fenster und Schlafmöglichkeit. Die meisten Häftlinge überstanden diese Tortur nicht und mussten nicht mehr vor das Erschießungskommando treten. Szajna verbrachte dort zwei Wochen und überlebte. Kurz vor dem Erschießungstermin erfuhr er, dass die Todesstrafe ausgesetzt worden war. Körperlich ausgezehrt und psychisch abgestumpft wurde er unmittelbar danach bei verschiedenen Arbeitskommandos des Lagers eingesetzt. Er wurde Zeuge der wohl barbarischsten Todesmaschinerie in der Geschichte der Menschheit und litt angesichts der täglichen Konfrontation mit dem Tod der Anderen zunehmend an jenem Überlebens-Komplex, den er später oft als „Verurteilung zum Leben“ bezeichnete.
[1] Łukasz Szajna, briefliche Mitteilung an Porta Polonica vom 15. September 2015
[2] Józef Szajna, Dno (dt. Abgrund), in: Teatr, nr 4-6, Warszawa 1992 (erschienen zuerst als Gespräch mit K. Tarasiewicz in: Miesięcznik pracy twórczej „Radar“, 1970, nr 2-4). Alle folgenden Zitate nach der Ausgabe von 1992.
Im Winter 1944 wurde er in das KZ Buchenwald verlegt und in das Außenlager Schönebeck bei Magdeburg gebracht. Dort entstanden seine ersten Wandzeichnungen, die er mit abgebrannten Streichhölzern anfertigte. Am 15. April 1945 gelang ihm auf einem von der Lagerleitung angesetzten Todesmarsch die Flucht.
Unmittelbar nach der Befreiung dachte er an die Rückkehr nach Polen, wollte vorher jedoch noch sein Abitur machen. In der zerstörten Heimat schien ihm das unmöglich. So wurde er auf Maczków an der Ems aufmerksam, eine polnische Enklave im Nordwesten Deutschlands, die er bald darauf ansteuerte.
Dort blieb er über zwei Jahre und erlebte offenbar das, wonach sich die meisten Polen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gestrandet waren, sehnten: ein Aufatmen in der Freiheit, ein Gefühl, das nach den Entbehrungen, Grausamkeiten und Absurditäten des von Deutschland ausgegangenen Krieges nur allzu verständlich war, vielleicht auch gerade deswegen, weil in der neu entstandenen Nachkriegsordnung Europas kein freies Polen vorgesehen war. Die Konsequenzen dieser neuen Ordnung dürften den in Deutschland verbliebenen polnischen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen und Mitgliedern der alliierten Kampfverbände aus der Geschichte Polens mit den drei Teilungen des Landes bekannt vorgekommen sein: das Fehlen einer freien Heimat und das damit verbundene Dilemma, entweder zurückzukehren oder auszuwandern, was unweigerlich zu einer inneren Zerrissenheit führte.
Unter diesen Voraussetzungen kam es in Haren an der Ems zu einem kleinen Wunder, das sich unter den Polen in Deutschland schnell herumsprach und nach nur wenigen Monaten bereits den Charakter einer Legende annahm. Im April 1945 beschlossen die britischen Behörden der Alliierten die vollständige Räumung der Stadt zugunsten der in der Umgebung gestrandeten Polen. Die ursprünglichen rund dreitausend Einwohner hatten nur wenig Zeit ihre persönlichen Sachen mitzunehmen und wurden meist in den umliegenden Bauernhöfen untergebracht. In ihre Häuser und Wohnungen zogen dann etwa fünftausend Polen ein. Der Großteil von ihnen waren junge Soldatinnen und Soldaten, die sich unter dramatischen Umständen im benachbarten Kriegsgefangenenlager Oberlangen begegnet waren. Dorthin waren mehr als 1.700 Teilnehmer des Warschauer Aufstands vom August/September 1944 deportiert und in ihrer Funktion als ehemalige Soldatinnen und Offiziere gefangen gehalten worden. Es waren meist jüngere Mädchen und Frauen, die während des Aufstands in den Bereichen der Kommunikation und des Sanitätsdienstes gegen die Deutschen gekämpft hatten. Oft hatten sie ihre Geburtsdaten gefälscht, um als volljährig zu gelten und damit am Aufstand teilnehmen zu können. Sie waren nach der grausamen Niederschlagung des Aufstands, begleitet von Massenerschießungen der Aufständischen und der Zivilbevölkerung und der beispiellosen Vernichtung der polnischen Hauptstadt, ins Emsland deportiert worden. Die Fälschung der Geburtsdaten hatte sich bei der Inhaftierung als Segen erwiesen, da die Deutschen Minderjährige nicht als Soldaten anerkannten und in den meisten Fällen direkt auf die Konzentrationslager verteilten.
Selten hat das, was man als „Ironie der Geschichte“ bezeichnet, eine solche Bedeutung erfahren: Das Lager Oberlangen wurde ausgerechnet von Polen befreit, und zwar von der unter den alliierten Verbänden kämpfenden Ersten Panzerdivision des Generals Stanisław Maczek. Die Verblüffung und die Freude müssen geradezu dramatisch gewesen sein, als die polnischen Soldaten völlig unerwartet auf junge polnische Mädchen und Frauen stießen und gemeinsam mit ihnen das Kriegsende feiern konnten. Nur einige Monate später fand eine Massenhochzeit mit über achtzig Paaren statt, nach der später zahlreiche Kinder geboren wurden. Die Stadt erhielt zu Ehren des Generals Maczek den polnischen Namen Maczków sowie eine komplette polnische Verwaltung und Infrastruktur. Auch die Straßennamen wurden ins Polnische geändert. Es gab Kindergärten, Schulen, ein Gymnasium, an dem Szajna Abitur machte, zwei Theater, polnische Bibliotheken und Zeitschriften. Handwerksbetriebe sorgten für den täglichen Bedarf. Das gesellschaftliche Leben war rege. Die Menschen schienen dort glücklich zu sein, und Maczków, für kurze Zeit ein polnisches Paradies in der Fremde, wirkte auf die anderen Polen in Deutschland wie ein Magnet.
Auch Józef Szajna hat hier eine Atmosphäre angetroffen, die er später als seine Wiedergeburt bezeichnete. Bereits nach einem Jahr Aufenthalt in „Klein-Polen“ an der Ems fand er zu seiner alten athletischen Erscheinung zurück, worauf er, betrachtet man die Fotografien von seiner Zeit an der Ems, stolz war. Hier, im polnischen Paradies auf Zeit auf dem Gebiet der Täter, entstand sicherlich auch seine Lebensmission, die auf dem niemals wirklich überwundenen Komplex des eigenen Überlebens basierte. „Wenn ich schon unter solchen unglaublichen Bedingungen überlebt habe“, berichtete er später in zahlreichen Gesprächen und Interviews, „dann möchte ich meine Erfahrungen als Mahnung weiterreichen“. Er wählte dazu die Mittel der bildenden Kunst und des Theaters. Bereits 1947 begann er mit dem Studium an der Krakauer Kunstakademie. Rasch wurde er zu einem der bekanntesten Künstler und Theatermacher der Moderne in Polen und in einem Atemzug mit Jerzy Grotowski sowie Tadeusz Kantor genannt, mit dem er sich persönlich jedoch nie verstand.
Sein Gesamtwerk erreichte Ende der 1970er-Jahre internationale Bedeutung. Seine Gemälde, Theaterstücke und Installationen wurden weltweit, auch in Deutschland, präsent. Aus heutiger Perspektive ist dabei bemerkenswert, dass Szajna in seiner Kunst niemals direkt über den Tod sprechen wollte, sondern sich auf eine „Hinwendung zur Zukunft“ konzentrierte, „zu Begriffen, die mit dem durch den Krieg unterbrochenen Paradigma der Moderne in Verbindung standen, die das Dunkel der jüngsten Erfahrungen vergessen ließen“[3]. Dabei hat er sich stets gegen die Vereinfachung und Schematisierung des Blicks auf die Täter und auf die Lebenswelten nach dem Krieg eingesetzt, ohne freilich sein Überlebenstrauma jemals endgültig hinter sich lassen zu können. Józef Szajna ist am 24. Juni 2008 in Warschau gestorben.
Jacek Barski, Oktober 2016
Weiterführende Informationen zum Werk von Józef Szajna (polnisch):
http://teatr-rzeszow.pl/project/szajna-galeria/
http://culture.pl/pl/tworca/jozef-szajna
[3] Anda Rottenberg, Der Künstler blickt auf den Krieg, in: Tür an Tür, Katalog zur Ausstellung „Polen-Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte.“, Berlin, Warszawa, Köln 2011, Seite 621