Jan Bresinski. Neue Wege zur Landschaftsmalerei
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Solche „Fallstudien“, künstlerisch-ästhetische Transformationen von landschaftlichen Kultur- und Siedlungsräumen, bearbeitete Bresinski in verschiedenen Serien und Einzelstücken bis 2007. Zunächst entstanden 2005 mittel- bis großformatige Acrylgemälde unter dem Titel „Geheimnis des Gärtners“ (Abb. 35-39), die an systematisch angelegte Gartenanlagen erinnern, mit unterschiedlichen Vegetationen und Höhenniveaus, Flussläufen und Wegenetz, denen – so lassen darübergelegte geometrische Schemata vermuten – eine vom Menschen geschaffene Planung zugrunde liegt. Sie zeigen die typischen Landschaftsfarben Grün, Blau, Rotbraun und Ocker und lebhaftes Oberflächenrelief. Entstanden ist die Serie in Nieborów westlich von Warschau, wo das Schloss/Pałac w Nieborowie mit seinem Barockgarten und dem romantischen Arkadia-Garten der Helena Fürstin Radziwiłł/Helena Radziwiłłowa aus der Zeit um 1800 sowie die im dortigen Archiv erhaltenen Pläne der Gartenanlagen Bresinski zu seinen Gemälden inspirierten.[26] Andere wie aus der Luft aufgenommene Landschaften des Künstlers sind von seinen Wanderungen in den italienischen Marken, dem Auffinden römischer Siedlungsspuren zwischen der Via Flaminia, dem Flüsschen Metauro und dem Ort Villa del Monte südwestlich von Fano am Adriatischen Meer beeinflusst, wo er seine Ferien verbringt. In ihnen teile sich, so Röhrig, „die Faszination dieser uralten Strukturen und Wege“ mit.[27]
In einer seit 2004 entstandenen Serie von schwarzen Tafeln brachte Bresinski verschlungene Wegenetze mithilfe von thermoaktiver Farbe und Heizdrähten zum Leuchten (Abb. 40-42). In Ausstellungen mit dem Titel „Leuchtpfade“ im Kunstverein Nümbrecht und im Kunst-Spektrum Krefeld in mehrteiligen Sets gehängt oder schräg an die Wand gelehnt, erinnern sie an gestische Arbeiten von Karl Otto Götz, an die Bilderschriften von Cy Twombly (1928-2011), die dem Action Painting nahestehen, oder an verschlungene Strukturen in Emil Schumachers Gemälden der 1990er-Jahre. Sie vereinen erneut informelle Malerei mit Bresinskis eigenem, aus der Landschaft gewonnenen Formrepertoire. Mit auf Wärme reagierender Farbe hatte der Künstler bereits 2002 bei einer Serie von „Thermopoetischen Objekten“ gearbeitet. Die Stehpulte mit buchartig geöffneten Oberflächen zeigten bei Berührung der oberen Farbschicht lineare Landschaftsstrukturen und Gedichte der polnischen Autoren Zbigniew Herbert (1924-1998), Czesław Miłosz (1911-2004) und Andrzej Stasiuk (*1960).[28]
Mit der Bildserie „Megapolis“ (Abb. 43-45) wandte sich Bresinski 2006 wieder städtischen Strukturen zu, die anders als die Vogelperspektive von „Krakau“ (Abb. 21-22) aus sehr viel größerer Entfernung wie Satellitenaufnahmen erscheinen und geographisch undefiniert bleiben. Die Siedlungsmuster, die sich um eine frei bleibende Mitte, vielleicht einen Meeresarm, ein Flussdelta oder Hafenanlagen gruppieren, lassen an alte, planlos gewachsene Megastädte wie Karatschi denken. Der Titel impliziert historische Siedlungsspuren, die bis in die Zeit der antiken griechischen Stadtstaaten zurückreichen und bis heute überdauert haben, oder auch zusammenwachsende Millionenstädte und Metropolregionen, die seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts als Megalopolen bezeichnet werden. In einem Text zu Bresinskis Bildern sah der Dichter und Essayist Piotr Piaszczyński (*1955) „Moloch-Städte, Riesengebilde, Labyrinthe, Geisterstädte – menschenleer, gespenstisch, verlassen“. Er vermutete „einen geometrischen Albtraum“: „eine urbane Landschaft nach einer Katastrophe; vielleicht nach einem atomkriegerischen oder zivilisatorisch-demographischen Desaster“: „Wer ist der Beobachter? Es scheint, es ist nicht einmal ein Vogel, der es in Jans früheren Arbeiten war. Eher der Pilot eines Bombers (nach dem Kampfeinsatz). Oder höchstwahrscheinlich – ein grausames ‚Auge‘ eines Satelliten (was eigentlich auf dasselbe hinauskommt). Diese Städte machen einem Angst, man ist erschrocken und beunruhigt.“[29]
Luftaufnahmen der von den Deutschen zerstörten Stadt Warschau, in denen der gesprengte Stadtteil Muranów mit dem ehemaligen jüdischen Ghetto eine leere Mitte bildet, sind eine mögliche Assoziation. Angesichts der unregelmäßig und konzentrisch besiedelten Stadtstruktur in dem Bild „Megapolis 3“ (Abb. 45) kann man – zwölf Jahre nach dessen Entstehung – aber auch an eine Luftaufnahme der 2012 bombardierten syrischen Stadt Homs denken. Die Vorstellung, dass über Jahrtausende gewachsene Siedlungsstrukturen ebenso lang der Zerstörung schutzlos ausgeliefert sind und weiterhin das Bild der Erde prägen werden, bleibt also Gewissheit. Die Bildserie „Wüstenpolis“ (2007, Abb. 46-47) zeigt aus geringerer Entfernung aufgenommene architektonische Grund- und Aufrisse mit prägnanterer Farbigkeit, die dem Titel nach Situationen aus historischen Wüstenstädten wie etwa Awdat in der Negev-Wüste nachempfunden sein können. Ruinen oder auch immer wieder überbaute und weiterhin genutzte Zeugen zivilisatorischer Besiedlung erscheinen hier als prägnante Spuren individueller und kollektiver Identität. Im Zusammenhang mit den seit 2001 entstandenen Arbeiten, die Bresinski ab 2006 unter dem zusammenfassenden Titel „Atlas der Irrwege/Atlas bezdroży“ in Ausstellungen zeigte,[30] zitierte er das Gedicht „Bericht aus einer belagerten Stadt/Raport z oblężonego miasta“ (1983) von Zbigniew Herbert:
„geblieben ist uns nur der Ort
die Bindung an den Ort
noch halten wir die Ruinen der Tempel
die Gespenster der Gärten und Häuser
verlieren wir die Ruinen bleibt nichts
und fällt die Stadt und sollte einer überleben
wird er die Stadt in sich tragen
über die Straßen der Verbannung
er wird die Stadt sein.“[31]
[26] Bresinski reiste auf Einladung polnischen Nationalmuseums/Muzeum Narodowe w Warszawie nach Nieborów, das in Schloss Nieborów/Pałac w Nieborowie eine Dependance unterhält (Oddział Muzeum w Nieborowie i Arkadii). Die Bildserie „Geheimnis des Gärtners“ war anschließend (2005) im Haus des Gärtners von Schloss Nieborów ausgestellt.
[27] Jürgen Röhrig: „Sommerkunst“: Jan Bresinskis Werk „Atlas der Irrwege“. Spuren aus der Vogelperspektive, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 3.8.2007, Archiv Bresinski, online: https://www.ksta.de/spuren-aus-der-vogelperspektive-13361770
[28] Ausgestellt in der von Jan Bresinski kuratierten Kunstaktion SPIELART in Rheinbach vom 14.7. bis 27.10 2002, gemeinsam mit Arbeiten von Karl-Heinz Heming, Hermann J. Kassel, Anne Mangeot und Benoit Tremsal; Ausstellungs-Katalog SPIELART 2002 (siehe Literatur), Seite 3. Erneut ausgestellt unter dem Titel „Thermopoetische Bücher“ auf der Frankfurter Buchmesse, 2005
[29] Piotr Piaszczyński: Wüstenpolis, in: Ausstellungs-Katalog Atlas der Irrwege 2007 (siehe Literatur), Seite 1
[30] Ausstellungen Atlas der Irrwege: Galerie des Polnischen Instituts Leipzig (2006); Villa Decius/Willa Decjusza, Krakau (2007); Galeria Elektor, Mazowieckie Centrum Kultury i Sztuki, Warschau (2007); Ausstellungs-Katalog Atlas bezdroży/Atlas der Irrwege 2007 (siehe Literatur)
[31] Siehe Anmerkung 27