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Daniel Libeskind. Ein Virtuose der Architektur

Daniel Libeskind am Tag der Eröffnung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, 2011.

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  • Abb. 1: Wohnhaus in Covington, USA - Wohnhaus in Covington, USA.
  • Abb. 2: Jüdisches Museum in San Francisco - Jüdisches Museum in San Francisco.
  • Abb. 3: Jüdisches Museum in San Francisco - Jüdisches Museum in San Francisco.
  • Abb. 4: Jüdisches Museum in San Francisco - Jüdisches Museum in San Francisco.
  • Abb. 5: Denver Art Museum, USA - Denver Art Museum, USA.
  • Abb. 6: Denver Art Museum, USA - Denver Art Museum, USA. 
  • Abb. 7: Denver Art Museum, USA - Denver Art Museum, USA. 
  • Abb. 8: Dänisches Jüdisches Museum in Kopenhagen - Dänisches Jüdisches Museum in Kopenhagen. 
  • Abb. 9: Dänisches Jüdisches Museum in Kopenhagen - Dänisches Jüdisches Museum in Kopenhagen. 
  • Abb. 10: Dänisches Jüdisches Museum in Kopenhagen - Dänisches Jüdisches Museum in Kopenhagen. 
  • Abb. 11: Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück - Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück.
  • Abb. 12. Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück - Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück.
  • Abb. 13. Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück - Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück.
  • Abb. 14. Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück - Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück.
  • Abb. 15. Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück - Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück.
  • Abb. 16: Imperial War Museum North, Manchester, England - Imperial War Museum North, Manchester, England.
  • Abb. 17: Imperial War Museum North, Manchester, England - Imperial War Museum North, Manchester, England.
  • Abb. 18: Imperial War Museum North, Manchester, England - Imperial War Museum North, Manchester, England.
  • Abb. 19: Imperial War Museum North, Manchester, England - Imperial War Museum North, Manchester, England.
  • Abb. 20: Imperial War Museum North, Manchester, England - Imperial War Museum North, Manchester, England.
  • Abb. 21: Imperial War Museum North, Manchester, England - Imperial War Museum North, Manchester, England
  • Abb. 22: Imperial War Museum North, Manchester, England - Imperial War Museum North, Manchester, England.
  • Abb. 23: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 24: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 25: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 26: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 27: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 28: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 29: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 30: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 31: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 32: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 33: London Metropolitan University. Graduate Center -  London Metropolitan University. Graduate Center.
  • Abb. 34: London Metropolitan University. Graduate Center - London Metropolitan University. Graduate Center.
  • Abb. 35: London Metropolitan University. Graduate Center - London Metropolitan University. Graduate Center.
  • Abb. 36: Gedenkstätte für die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001, Padua, Italien - Gedenkstätte für die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA, Padua, Italien.
  • Abb. 37: Gedenkstätte für die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001, Padua, Italien - Gedenkstätte für die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA, Padua, Italien.
  • Abb. 38: Gedenkstätte für die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001, Padua, Italien - Gedenkstätte für die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA, Padua, Italien.
  • Abb. 39: The Whole Center, Ramat-Gan, Israel - The Whole Center, Ramat-Gan, Israel. 
  • Abb. 40: The Whole Center, Ramat-Gan, Israel - The Whole Center, Ramat-Gan, Israel. 
  • Abb. 41: The Whole Center, Ramat-Gan, Israel - The Whole Center, Ramat-Gan, Israel. 
  • Daniel Libeskind am Tag der Eröffnung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, 2011 - Daniel Libeskind am Tag der Eröffnung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, 2011.
  • Abb. 43: Daniel Libeskind am Tag der Eröffnung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, 2011 - Daniel Libeskind am Tag der Eröffnung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, 2011.
  • Abb. 44: Militärhistorisches Museum der Bundeswehr in Dresden - Militärhistorisches Museum der Bundeswehr in Dresden.
  • Abb. 45: Militärhistorisches Museum der Bundeswehr in Dresden - Militärhistorisches Museum der Bundeswehr in Dresden.
  • Abb. 46: Aussichtsplattform des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden - Aussichtsplattform des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden.
  • Abb. 47: Freizeit- und Einkaufszentrum Westside, Bern, Schweiz - Freizeit- und Einkaufszentrum Westside, Bern, Schweiz.
  • Abb. 48: Freizeit- und Einkaufszentrum Westside, Bern, Schweiz - Freizeit- und Einkaufszentrum Westside, Bern, Schweiz.
  • Abb. 49: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 50: Jüdisches Museum Berlin - Jüdisches Museum Berlin.
  • Abb. 51: Warschau, Wohnhaus Złota 44 (rechts) - Warschau, Wohnhaus Złota 44 (rechts).
  • Abb. 52: Royal Ontario Museum, Kanada - Royal Ontario Museum, Kanada.
  • Abb. 53: Royal Ontario Museum, Kanada - Royal Ontario Museum, Kanada.
  • Abb. 54: Wohnanlage in Mailand - Wohnanlage in Mailand.
  • Abb. 55: Gebäude des Kö-Bogens in Düsseldorf - Gebäude des Kö-Bogens in Düsseldorf.
  • Abb. 56: Kö-Bogen-Terrasse in Düsseldorf - Kö-Bogen-Terrasse in Düsseldorf.
  • Abb. 57: Gebäude der University of Durham, England - Gebäude der University of Durham, England.
  • Abb. 58: „Wing“, Berlin - Plastik vor dem Eingang des Siemens-Gebäudes, Berlin.
  • Abb. 59: „Wing“, Berlin - Plastik vor dem Eingang des Siemens-Gebäudes, Berlin.
Daniel Libeskind am Tag der Eröffnung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, 2011.
Daniel Libeskind am Tag der Eröffnung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, 2011.

Libeskind offenbarte in einem Interview: „Gebäude sind mehr als nur Wände. Sie müssen Geschichten erzählen.“[1] Dieser spezielle Ansatz des Architekten ist der Grund dafür, warum die von ihm erschaffenen Gebäude nicht nur die getreue Ausführung seiner zeichnerischen Entwürfe sind. In jedem Bauwerk stecken Emotionen, die dessen Einzigartigkeit bedeuten. Ebenso emotional ist auch die Rezeption der Werke des polnisch-amerikanischen Architekten, die von ihrer Bewunderung bis zu ihrer Ablehnung konträre Gefühle hervorrufen können, nie aber gleichgültig lassen. Daniel Libeskind gesteht, dass er sich in seinen Entwürfen von der Welt um ihn herum inspirieren lässt, nicht selten aber auch von seiner Biografie, was vielleicht auch erklärt, warum er die Sprache der Gefühle in der Architektur so gut wie kaum jemand sonst beherrscht. Zumal sein Leben wie das seiner Familie von vielen Grenzerfahrungen wie dem Holocaust, dem Überleben, der gesellschaftlichen Ausgrenzung, von Exil und dem daraus resultierenden Gefühl der Entwurzelung geprägt worden ist.

 

Anfänge in Polen
 

Der künftige Architekt wurde am 12. Mai 1946 in Lodz geboren. Seine Mutter Dora, geborene Blaustein, stammte aus Warschau (Warszawa) und war erklärte Zionistin. Vater Nachman kam aus Lodz und hatte obwohl er einer traditionellen jüdischen Familie aus der Kleinstadt Przedbórz [heute Woiwodschaft Łódź - Anm. d. Übers.] entstammte, eine säkulare Ausbildung genossen. Vor dem Krieg gehörte er dem Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland (kurz: Bund) an, der sich für die kulturelle Autonomie der Juden in Osteuropa verwandte, ein weltliches Schulwesen schaffen wollte und die jiddischsprachige Kultur gefördert hat. Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen 1939 beschlossen Dora und Nachman, die sich damals noch nicht kannten, vor den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten, die in ihrer Heimat zu erwarten waren, in die Sowjetunion zu fliehen. Dort wurden beide von den Rotarmisten verhaftet und in Lager in Sibirien bzw. an der Wolga deportiert, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen drei Jahre verbrachten. Im Sommer 1942 wurden Dora und Nachman dann auf Grund der zwischen Stalin und der polnischen Exilregierung geschlossenen Vereinbarung wie zig Tausende andere polnische Gefangene auch aus den Lagern entlassen. Da die Rückkehr in die vom Krieg geprägte polnische Heimat unmöglich war, kamen beide unabhängig voneinander in ein kirgisisches Flüchtlingslager, wo sie sich kennengelernt und schließlich geheiratet haben. Dort kam Doras und Nachmans Tochter Annette zur Welt. 1946, kurz nach ihrer Rückkehr nach Lodz, wurde Daniel geboren.

In Polen gelangten die Eheleute Libeskind bald zu der Überzeugung, dass ihre Flucht in die Sowjetunion trotz des Hungers, der Demütigungen und der schweren Sträflingsarbeit in den Lagern ein Segen für sie gewesen war: zur gleichen Zeit hatte die Nazi-Besatzung in Polen 85 Mitgliedern ihrer Familien das Leben gekostet. In den folgenden Jahren warf die Holocaust-Tragödie Schatten auf Daniels Kindheit sowie auf das Leben seiner Familie, die nach dem Krieg als eine von ganz wenigen jüdischen Familien in Lodz geblieben war. Die Libeskinds wohnten trotz den Schwierigkeiten in den Nachkriegsjahren, trotz den oft erlebten Ressentiments in der polnischen Bevölkerung und trotz antisemitischer Übergriffe elf Jahre in der Stadt und führten dort ein bescheidenes Leben. Ihre Entscheidung, nach Israel auszuwandern, haben sie erst 1957 getroffen. Der junge Daniel zeigte damals schon in Polen sein musikalisches Talent. Er lernte als Kind früh, Akkordeon zu spielen und begeisterte mit seinem Spiel ein wachsendes Publikum. 1953 trat er im Alter von sechs Jahren sogar in einem der ersten polnischen Fernsehprogramme nach dem Krieg auf.

 

[1] Alexandra Wolfe, Daniel Libeskind Thinks Buildings Should Tell Stories, The Wall Street Journal, 30.11.2018, https://www.wsj.com/articles/daniel-libeskind-thinks-buildings-should-tell-stories-1543611894 (letzter Zugriff: 14.03.2021).

Das gelobte Land
 

In Tel Aviv, wo sich Libeskinds Familie für eine kurze Zeit niederließ, blieb Daniel dem Akkordeon treu. Hier erhält er das prestigeträchtige Stipendium der America-Israel Cultural Foundation (AICF) und gibt mit renommierten Musikern Konzerte, die ihm ausschließlich positive Kritiken bescheren. Seine Begabung ist so außergewöhnlich, dass er als Wunderkind gilt. 1959, nach kaum zwei Jahren in Israel, beschließt die Familie, in die Vereinigten Staaten auszuwandern, wo sie in der New Yorker Bronx ansässig wird. In Amerika scheint Daniels musikalische Karriere zunächst eine ausgemachte Sache zu sein. Doch dann stellt sich heraus, dass der Teenager die Möglichkeiten seines Instruments ausgeschöpft hat, während es jedoch schon zu spät ist, um noch mit einer anspruchsvolleren Ausbildung am Klavier zu beginnen. In dieser Zeit tritt seine zweite Leidenschaft, das Zeichnen, der Daniel Libeskind schon in Israel frönte, indem er Darstellungen chassidischer Hochzeiten vorlagengetreu kopierte, politische Karikaturen anfertigte und Landschaften malte, immer mehr in den Vordergrund.

In New York besucht Libeskind die Bronx High School of Science, an der er einen Kurs für technische Zeichner besucht. „Da wir uns damals auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs befanden, haben wir fast ausschließlich Waffen und Flugzeuge gezeichnet. Mein erster Entwurf galt einem Bunker für den Fall eines Atomkriegs, ein düsteres, apokalyptisches Projekt“[2], erinnert sich Libeskind nach Jahren in einem Interview. Allmählich keimt in ihm die Idee, seine Leidenschaft zur Lebensgrundlage zu machen, obwohl die Mutter des künftigen Architekten mit einer Zukunft ihres Sohnes als freier Künstler nicht einverstanden ist. Sie rät ihm zum Studium der Architektur, indem sie ihn davon überzeugt, dass er seine künstlerische Ader in den Entwürfen von Gebäuden ausleben kann. Der Vorschlag drückt aber auch aus, dass ihr insbesondere ein vernünftiges Einkommen des Sohnes am Herzen liegt, da sie selbst aufgrund ihrer unzureichenden Sprachkenntnisse in Amerika für wenig Lohn in einer Pelzfärberei arbeiten muss.

1970 legt Daniel Libeskind an der New Yorker Privatschule Cooper Union sein Architekturdiplom ab. Zwei Jahre später schließt er an der University of Essex in Großbritannien sein Studium der Geschichte und der Architekturgeschichte ab. In den folgenden Jahren wirkt Libeskind als Architekturtheoretiker – er hält Vorlesungen und ist in den Jahren 1978 bis 1985 Dekan der Fakultät für Architektur an der Cranbrook Academy of Art in Bloomfield (Michigan). Von 1986 bis 1989 leitet Libeskind in Mailand das von ihm gegründete private Institut für Architektur und Stadtplanung „Architecture Intermundium“ und er wirkt als Gastprofessor an den Universitäten in Chicago, London, Kopenhagen, Yale und vielen anderen Hochschulen.

 

[2] Jens Tönnesmann, Du solltest keine Ziele haben, Zeit Online, 12.05.2016, https://www.zeit.de/2016/19/daniel-libeskind-architekt-juedische-einwanderer/komplettansicht (letzter Zugriff: 16.03.2021).

Das Füllen der Leere
 

Das Leben des Architekturwissenschaftlers nimmt im Sommer 1989 eine neue Wendung, als Libeskind mit seinem Entwurf „Between the Lines“ (Zwischen den Linien) den internationalen Wettbewerb für den Bau des Jüdischen Museums in Berlin gewinnt. Der 52-jährige Architekt überzeugt die Jury mit seinem mutigen, mehrdeutigen Konzept, das die deutsch-jüdische Geschichte in der räumlichen Anordnung erzählt. „Der offizielle Name des Projekts lautet ‚Jüdisches Museum‘, aber ich habe es ‚Between the Lines‘ genannt, weil es sich für mich dabei um zwei Linien, zwei Strömungen des Denkens, der Organisation und Beziehung handelt.“[3] – erklärt der Autor des Entwurfs. Die zwei Linien sind bereits im Grundriss des Objekts erkennbar: zum einen als Zick-Zack-Linie des Gebäudes, zum anderen als unsichtbare gerade Linie. Dort, wo sich die Linien kreuzen, entstanden die sogenannten „Voids“ – Leerräume, die sich vom Untergeschoss bis zum Dach erstrecken. „Das englische Wort Void ist in der Architektur normalerweise ein technischer Fachbegriff dafür, dass es darüber oder darunter nichts gibt. Die Leere auf Deutsch. Ich wollte keinen Raum schaffen im Sinne dieses Fachbegriffs für Unbekanntes, sondern einen Raum der Begegnung, der Abwesenheit, der allerdings ein realer, physischer Raum ist“, sagt Libeskind.[4] Auf diese Art und Weise hat der Architekt die Leere materialisiert, die durch die Zerstörung und die Vernichtung jüdischen Lebens entstand, allerdings wieder gefüllt werden kann. Das Gebäude, das Libeskind mit einem barocken Bauwerk verband, in dem sich der Haupteingang zum Museum befindet, ist voller Symbolik. Neben den beiden genannten Linien gibt es noch drei Achsen, die sich im Untergeschoss kreuzen und symbolisch für die Ereignisse und Prozesse stehen, die jüdische Lebensgeschichten in Deutschland dominierten: die Achse des Exils, die Achse des Holocaust und die Achse der Kontinuität.

Nach der erfolgreichen Teilnahme an diesem Architektur-Wettbewerb zog Daniel Libeskind mit seiner Ehefrau Nina und den Kindern nach West-Berlin, um dort das Architekturbüro „Studio Daniel Libeskind“ zu gründen. Der Bau des Jüdischen Museums, der schon vor dem Mauerfall beschlossen wurde, erwies sich jedoch als äußerst zeitaufwendig. Außerdem wurde die Realisierung mehrfach in Frage gestellt. Der politische Umbruch führte dazu, dass sich die Prioritäten änderten und die Finanzierung umgeschichtet wurde, die nun für dringlichere Bedürfnisse eingesetzt werden sollte, die der Wiedervereinigung geschuldet waren. Aus diesen Gründen haben mehrere, aufeinander folgende Regierungen in Berlin und im Bund die Investition hinausgezögert oder die Mittel gekürzt. Der Grundstein des Museums wurde erst 1992 gelegt und der Bau Ende 1998 beendet. Ein paar Monate später fand die feierliche Eröffnung des Museums statt. Daniel Libeskind erinnert sich an diesen Moment in seiner Autobiografie wie folgt: „1999 öffnete das Jüdische Museum seine Pforten – ohne jedes Ausstellungsstück. Das leere Museum war ein perfekter Ort für eine Feier, an der die höchsten deutschen Politiker teilnahmen, darunter auch Bundeskanzler Gerhard Schröder. Nach dem Dinner kam Schröder an den Tisch, an dem mein Vater saß. Damit der neunzigjährige Nachman nicht aufstehen musste, kniete Schröder vor ihm nieder, nahm seine Hand und sagte: »Mr. Libeskind, Sie müssen sehr stolz sein. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.« Welch ein Moment für Nachman – und für mich! In den Jahren meiner polnischen Kindheit hätte ich mir nie träumen lassen, dass eines Tages der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der Sohn eines im Zweiten Weltkrieg gefallenen Wehrmachtsoldaten, vor meinem Vater knien und ihm dafür danken würde, dass er nach Deutschland gekommen war.[5]

Das Jüdische Museum in Berlin blieb noch lange Zeit leer. Trotzdem besuchten allein im ersten Jahr nach der Eröffnung 350.000 Menschen das noch gar nicht eingerichtete Gebäude. Erst am 9. September 2001 konnte die von langer Hand vorbereitete Ausstellung einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden.

 

[3] Zitat von der Internetseite des Jüdischen Museums Berlin: https://www.jmberlin.de/libeskind-bau (letzter Zugriff: 16.03.2021).

[4] Ebenda.

[5] Daniel Libeskind mit Sarah Crichton, Breaking Ground. Entwürfe meines Lebens, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, Seite 170.

Ground Zero
 

Kaum zwei Tage später, am 11. September 2001, wurde die Welt von terroristischen Anschlägen in den USA erschüttert, bei denen unter anderem die beiden Zwillingstürme des New Yorker World Trade Centers durch die Einschläge zweier entführter Flugzeuge zerstört wurden. Die brutalen Anschläge markierten den Beginn einer neuen Ära der Weltgeschichte, die von Angst, Misstrauen und Terror geprägt ist. Die Bilder der brennenden, kurz darauf einstürzenden Türme, die Daniel Libeskind auf einem Fernsehbildschirm in Berlin sah, schockierten den Architekten und weckten persönliche Erinnerungen an den Bau der Türme, den er als Architekturstudent aus der Nähe verfolgt hatte, an die Tatsache, dass sein Schwager mehrere Jahre in einem der Türme gearbeitet hatte und schließlich an die Druckerei in der Nähe der Zwillingstürme, in der sein Vater lange Zeit beschäftigt war. Die Euphorie über das erste eigenständig entworfene, gerade eben erst eröffnete Gebäude wich einer schmerzvollen Traurigkeit.

Unter dem Eindruck dieser Ereignisse beschließt Libeskind, nach New York zurückzukehren. Bei dem einige Monate später ausgeschriebenen Wettbewerb zur Bebauung von Ground Zero hat er zunächst nicht vor, teilzunehmen: die Planungsgesellschaft LMDC hat ihn zum Mitglied der Jury ernannt, deren Aufgabe darin bestand, die eingereichten Projekte zu bewerten. Doch als die Sitzungstermine der Jury und seine beruflichen Verpflichtungen nur noch schwer miteinander in Einklang zu bringen waren, entscheidet er sich, aus der Jury auszutreten und am Wettbewerb teilzunehmen. Seine Botschaft soll erneut darin bestehen, „die Leere zu füllen“. Libeskinds ursprüngliche Absicht ist, anstelle der zerstörten Türme einen Gebäudekomplex zu errichten, der unter anderem aus einer Gedenkstätte für die Anschlagsopfer, aus Museen und Kultureinrichtungen sowie aus Hotels, Bürogebäuden, Läden und Restaurants bestehen soll. Dieses Konzept wird von der Idee getragen, das Leben in all seinen Aspekten wieder herzustellen. Doch alles ändert sich, als Libeskind den Ort der Katastrophe besucht, an dem die Reinigungskräfte noch immer damit beschäftigt sind, die aufgetürmten Trümmer wegzuräumen. „Es ist schwer zu erklären, aber je weiter wir in das tiefe Loch hinabstiegen, desto intensiver konnten wir die Gewalt und den Hass spüren, die diese Bauwerke zum Einstürzen gebracht hatten; der Gedanke an diesen enormen Verlust machte uns auch körperlich zu schaffen. Aber wir spürten auch die Anwesenheit anderer mächtiger Kräfte: Freiheit, Hoffnung, Glaube – die menschliche Energie, die das Gelände nach wie vor durchdrang.[6]

Dieses direkte Erlebnis vor den Ruinen des World Trade Centers trug zu einer neuen Konzeption für die Bebauung der Ground Zero Zone bei – diesmal zu einer siegreichen, wie sich im Februar 2003 herausstellte. Libeskinds Idee überzeugte die Jury, da sie seinen Respekt vor den Opfern des Anschlags zum Ausdruck brachte und zeigte, dass das Leben in New York und in Amerika trotz der unermesslichen Tragödie immer noch pulsierte. An der Stelle der zerstörten Türme entstanden zwei riesige, viereckige Wasserfälle mit einer Länge von jeweils 60 Metern, was der Breite der einzelnen Wände der Zwillingstürme entsprach. Der neue Wolkenkratzer One World Trade Center wurde zu einem Symbol der Hoffnung und es ist kein Zufall, dass er 541 Meter, also 1776 Fuß, hoch ist, da sich dieses Detail auf das Jahr der Unabhängigkeitserklärung der Vereinten Staaten bezieht. Doch der Entwurf von Daniel Libeskind konnte nicht vollständig umgesetzt werden. Beispielsweise wurde die Spitze des Bauwerks, die nach seinem Plan an die Freiheitsstatue erinnern sollte, verworfen (ursprünglich sollte das Hochhaus Freedom Tower heißen, also Freiheitsturm – Anm. d. Autorin). Die Investoren warfen dem Architekten unter anderem eine zu geringe Rentabilität der Idee vor, obwohl er die Stadtverwaltung von New York mit dem prominenten Bürgermeister Michael Bloomberg an der Spitze auf seiner Seite hatte. Letztlich wurde Libeskinds preisgekrönte Konzeption nach langen Debatten und vielen Kompromissen den Vorstellungen der Investoren angepasst und von David Childs, seinem größten Konkurrenten im Wettbewerb, umgesetzt. Diese Zusammenarbeit hat Libeskind in seiner Autobiographie als „Zwangsehe“ bezeichnet.

 

[6] Breaking Ground..., Seite 25.

Spuren der Anwesenheit
 

Daniel Libeskind setzt sich in seinen architektonischen Arbeiten mit dem Thema der Erinnerung an das von den Nazis ausgelöschte jüdische Erbe in Deutschland auseinander. Krönendes Beispiel dafür ist, neben dem Jüdischen Museum in Berlin, das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück, das zum größeren Komplex des „Museumsquartiers“ gehört. In dem Museum werden Werke des jüdischen Malers Felix Nussbaum gezeigt, der kurz nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten von Deutschland nach Brüssel floh. Dort wurde er im Juni 1944 denunziert, verhaftet und an die Nazis ausgeliefert, die ihn zwei Monate später im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau umgebracht haben. Das Felix-Nussbaum-Haus zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass Daniel Libeskind auf eine Reihe von Symbolen zurückgegriffen hat. Die Symbolik spielt in diesem Fall, wie auch bei seinen anderen Projekten, eine tragende Rolle. Das Gebäude besteht aus drei Kuben aus verschiedenen Materialien wie Holz, Beton und Zink, die den Schaffensperioden des Künstlers zugeordnet sind: Das Holzhaus beherbergt Werke aus der Zeit, als Nußbaum in Deutschland lebte. In dem Betongebäude werden Arbeiten gezeigt, die im Exil und in der Zeit, als der Maler sich vor den Nazis versteckte, entstanden, während im letzten Gebäude, das mit Zink verkleidet wurde, früher unbekannte Werke des Künstlers zu sehen sind.

Die größte Aufmerksamkeit der Museumsbesucher findet die besondere Raumaufteilung des Hauses, eines wahren Labyrinths, das seine Gäste mitunter in Sackgassen führt. Diese klaustrophobische Anordnung der Räume wurde von den Kritikern als meisterhafte Widerspiegelung des Lebens im Versteck, auf der Flucht und in Bedrängnis, so wie auch im Fall von Nußbaum, interpretiert. Die Orientierungslosigkeit im musealen Raum, die zunimmt, je mehr man das Museum durchwandert, macht die Werke des verfolgten jüdischen Künstlers umso eindringlicher.

 

Das geordnete Formchaos
 

Libeskinds Architekturstil ist ein Beispiel für den Dekonstruktivismus, für die Bewegung, die geltende Normen sowie die räumliche Harmonie und das Gleichgewicht in Frage stellt und stattdessen eine andere Sichtweise auf die Raumstruktur bietet. Libeskind gehörte zu den sieben handverlesenen Architekten, die das New Yorker Museum of Modern Art 1989 zur Teilnahme an der Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ eingeladen hat. Die in diesem Stil errichteten Bauten überraschen durch ihre Formen, sie sind „unvorhersehbar“, auch wenn sich hinter dem Chaos der Formen gewisse Ordnung verbirgt. Ein ausdrückliches Beispiel dafür ist das Imperial War Museum North in Trafford, in der Nähe von Manchester, das nach Libeskinds Entwurf errichtet und 2002 eröffnet wurde. Das Gebäude besteht aus drei sich voneinander absetzenden Baukörpern, die für die drei Elemente – Wasser, Luft, Erde – stehen. Das Museum widmet sich den modernen kriegerischen Konflikten und ihren Auswirkungen auf die Menschheit. Die vom Architekten gewählten Formen, die „einerseits an das Oval der Erde erinnern und andererseits zerfetzt und auseinandergesprengt [wirken] wie nach einer Explosion“, symbolisieren die zerstörerischen Kräfte, die das Leben in den verschiedenen Teilen der Welt verwüsten.[7]

Auch beim Umbau des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden setzte sich Daniel Libeskind mit den Themen Krieg und Moral auseinander und auch hier fällt es schwer, die Kühnheit des Projekts zu leugnen: der Architekt hat die Fassade des ursprünglichen Gebäudes erhalten, während er es zugleich buchstäblich zerschnitt, indem er einen spitzen Keil einfügte, in dem sich eine Aussichtsterrasse befindet. Von dort aus fällt ein wunderbarer Blick auf Dresden, insbesondere auf die wieder aufgebauten oder besser gesagt, auf die neu errichteten Stadteile, die nach den alliierten Luftangriffen in Schutt und Asche lagen. Dieser in das ehemalige Waffenarsenal der Königlich Sächsischen Armee getriebene Keil zitiert die Bombardements von Dresden. Die Aussichtsterrasse wiederum grenzt an die Ausstellung über die Zerstörung europäischer Städte im Zweiten Weltkrieg an. Dadurch wird Dresden selbst Teil dieser Exposition, eine Manifestation der Zerstörung und des Wiederaufbaus. Der halb transparente Keil, durch den die neoklassizistische Fassade des Arsenals hindurch scheint, symbolisiert die Transparenz einer reifen, demokratischen Gesellschaft, die zu ihrem historischen Erbe steht, selbst wenn ihre Geschichte auch dunkle Kapitel kennt. Dieses nach seiner Idee umgebaute Museum der Bundeswehr bezeichnet Daniel Libeskind selbst als den „reinsten“ Bau unter allen Objekten, die er bisher realisiert hat: „Ein avantgardistischer Gebäudekeil aus Stahl, Beton und Glas durchbricht heute den Prunk des vormals einheitlich neoklassizistischen Arsenalgebäudes aus dem Jahr 1877. Einer Zeit, in der man weniger zimperlich mit der Frage nach der Moral des Krieges umging.“[8]

 

[7] Najsłynniejsze budynki autorstwa Daniela Libeskinda (Daniel Libeskinds berühmteste Bauwerke), https://www.bryla.pl/bryla/56,85301,21520109,kontekst-i-symbol-top-10-daniela-libeskinda.html (letzter Zugriff: 01.04.2021).

[8] Militärhistorisches Museum, Dresden, Daniel Libeskind, Beitrag über den Architekten auf der Internetseite der FSB GmbH, https://www.fsb.de/de/aktuelles/architektouren_referenzen/militaerhistorisches-museum-dresden/ (letzter Zugriff: 01.04.2021).

Symbolische Rückkehr
 

Zerstörung und Wiedergeburt sind zwei Motive, die Daniel Libeskind in seinen Arbeiten häufig nutzt. So war es auch beim Bau des Wohnhochhauses Złota 44 [der Name leitet sich von der Anschrift des Bauwerks ab – Anm. d. Übers.] in Warschau – dem bisher einzigen Projekt des Architekten in Polen (der früher einmal geplante Bau eines Wolkenkratzers in Danzig/Gdańsk und des sogenannten City Gates in Lodz kamen nicht zustande). Das Hochhaus mit seinen 192 Metern Höhe und den 52 Etagen wurde 2016 im unmittelbaren Zentrum von Warschau errichtet, unweit der Emilia-Plater-Straße (ulica Emilii Plater), in der Daniels Mutter vor dem Krieg wohnte. Das Objekt steht für die symbolische Rückkehr des Architekten in die Stadt, die Libeskind aus seiner Kindheit als graue, vom Kommunismus geprägte Metropole in Erinnerung hatte. „Dank Złota 44 hat sich der Kreis der Geschichte geschlossen. Wer hätte das gedacht, dass ich nach so vielen Jahren hierhin zurückkehren werde, um diesen imposanten Bau zu errichten, noch dazu so nahe der Straße, in der meine Mutter wohnte? Einen Bau, in dem man Polen spürt. Es ist nicht irgendein Hochhaus, vielmehr geht es hier um den Boden, auf dem es entstanden ist, um die wunderschöne Stadt, die im Laufe der Geschichte so gelitten hat und die in unvorstellbarer Weise wiedererstanden ist. Das alles hat mich inspiriert“, gestand der Architekt in einem Interview.[9]

Die Warschauer nennen den Wolkenkratzer „Segel“, obwohl Libeskind für die Gestaltung des Objekts den erhobenen Flügel eines zum Flug ansetzenden Adlers als stilisiertes Element wählte. Das exklusive Appartementhaus ist mit neuesten Technologien ausgestattet, die der Architekt liebt. Bestes Zeugnis dieser Vorliebe ist die „Libeskind-Villa“ im nordrhein-westfälischen Datteln, ein Fertighaus, das im Auftrag der Firma Rheinzink entstand und als Empfangsgebäude der Firma dient. Das Einfamilienhaus wurde als Prototyp für intelligente Häuser, sogenannte „Smart Homes“, entwickelt und mit größtem Respekt für die Umwelt gebaut. Die Erdwärmepumpe, die Solaranlage, die Regenwasseraufbereitung und viele andere moderne Features, die in diesem Gebäude angetroffen werden, erlauben es, es mit Fug und Recht als „Öko-Haus“ zu bezeichnen. Doch die horrenden Preise dieser zukunftsorientierten Lösungen sind der Grund dafür, dass sich der 500 Quadratmeter große Bau eher als Anschauungsobjekt für die neusten Technologien eignet, denn als Prototyp für Häuser, die in Serie errichtet werden sollen.

Mehr Glück hatte Libeskind mit dem Projekt „Verve“ in Frankfurt am Main, das insgesamt sieben luxuriöse Stadtvillen umfasst und das im Sinne nachhaltiger Entwicklung realisiert wurde. Zwar finden sich auch hier die extravaganten Gebäudeformen wieder, an die Libeskind mittlerweile gewöhnt hat, doch der gesamte Wohnkomplex wurde so harmonisch in den Stadtteilentwicklungsplan integriert, dass der Eindruck entsteht, die Häuser fügten sich in die Natur ein, und nicht umgekehrt. Die Einzigartigkeit dieser Anlage besteht auch in ihren Ausführungsdetails, etwa in Badezimmerfliesen, die Daniel Libeskind speziell und exklusiv für dieses Projekt entworfen hat und die es sonst nirgendwo im Handel gibt. Der Architekt befasst sich schon lange mit der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen, die es ihm nach eigener Aussage ermöglichen, eine intimere Beziehung zu den Nutzern seiner „Produkte“ einzugehen. Libeskind entwirft unter anderem Türen, Klinken, Möbel und Leuchten, manchmal sogar ganze Innenräume, wie auch für das Hochhaus Złota 44, in dem er die repräsentative Lobby des Gebäudes gestaltet hat.

 

[9] Złota 44 – wywiad z Danielem Libeskindem (Złota 44 – Interview mit Daniel Libeskind), https://www.youtube.com/watch?v=JZlFqQQXRtY (letzter Zugriff: 01.04.2021).

Der Architekt vertritt die Ansicht, dass das Entwerfen von Wohngebäuden die höchste Form der Architektur sei. Diese Überzeugung hat er schon oft unter Beweis gestellt, unter anderem in dem Projekt Reflections at Keppel Bay in Singapur, das sechs Hochhäuser in der Bucht am Eingang zum historischen Hafen von Singapur umfasst und als einer der weltweit beeindruckendsten Wohnkomplexe gilt. Die sich zueinander neigenden Wohntürme erwecken den Eindruck, als wären sie mitten im Tanz erstarrt, während die gläsernen Konstruktionen das Licht reflektieren, um den Bewohnern eine optimale Besonnung zu bieten. Im Gegensatz zu Libeskinds Museumsobjekten ordnen diese Bauten alles ihren Nutzungsfunktionen unter, um den Mietern bestmögliche Lebensbedingungen zu bieten.

Die von Libeskind geschaffenen Bauwerke verändern oft das Gesicht ganzer Viertel einer Stadt. So geschah es in Singapur und so war es auch in Düsseldorf, wo der Architekt an der Entstehung eines Gebäudeensembles aus Büros, Einzelhandel und gastronomischen Konzepten, dem sogenannten „Kö-Bogen“, beteiligt gewesen ist. Das für diese Baumaßnahme vorgesehene Gebiet zeichnete sich vor dem Zweiten Weltkrieg durch dichte Bebauung aus, die im Krieg zerstört wurde; nach dem Krieg entstand dort ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt der Stadt, der jedoch mit der Zeit an Bedeutung verlor. Daniel Libeskind steuerte zu diesem Projekt die Entwürfe zweier Bauten bei, die als „Haus Hofgarten“ und „Haus Königsallee“ bezeichnet werden, und die durch Objekte anderer Architekten ergänzt wurden. Die beiden wellenförmigen Bauwerke nach dem Entwurf von Libeskind markieren seit 2013 das neue Zentrum Düsseldorfs. Das Projekt der Wiederbelebung dieses Stadtquartiers wurde 2014 in Cannes mit dem renommierten MIPIM Preis in der Kategorie „Best Urban Regeneration Project“ (bestes Stadterneuerungsprojekt) ausgezeichnet.

Die Auftragsbücher von Daniel Libeskind sind immer gut gefüllt. Im August 2020 stimmte der Stadtrat von München dem Bau einer Synagoge im Zentrum der Stadt nach einem Entwurf von Libeskind zu. Die vollständige Finanzierung des Projekts ist noch nicht gesichert, doch die jüdische Gemeinde Beth Shalom hofft darauf, dass die erforderlichen Mittel beschafft werden können. Der Architekt spricht auch offen darüber, dass er in Polen weitere Objekte realisieren möchte. Über das Land, in dem er geboren wurde, äußert er sich voller Sympathie: „Ich bin Pole, bin hier geboren und aufgewachsen. Ich gehöre der polnisch-jüdischen Kultur an. Ich bin mit der Musik von Chopin und Moniuszko, mit „Pan Tadeusz“, mit polnischer Malerei und polnischen Traditionen aufgewachsen“[10], sagt er in einem Interview. Libeskind spricht immer noch recht gut polnisch, rezitiert auswendig Gedichte von Wisława Szymborska und zieht es dennoch vor, Interviews auf Englisch zu geben. Über Polen spricht er wie folgt: „Ich fand großes Gefallen an der Arbeit in Polen, einem Land, das meiner Meinung nach über unausgeschöpftes Potenzial verfügt. Nach so vielen Jahren des Kommunismus wird in Polen eine neue Architektur gebraucht, die den modernen Erwartungen und Trends entspricht. Ich habe nie vergessen, dass ich von hier komme, und ich hoffe, dass ich die Chance haben werde, hier ein weiteres Bauwerk zu errichten.“[11]

 

[10] Ebenda.

[11] Melodia architektury (Die Melodie der Architektur, Mateusz Żurawik im Gespräch mit Daniel Libeskind, https://ladnydom.pl/budowa/7,167217,19641465,melodia-architektury-rozmowa-z-danielem-libeskindem.html (letzter Zugriff: 01.04.2021).

Die Sprache der Emotionen
 

Die zickzackförmigen Umrisse der Bauwerke, das Spiel mit dem Licht, die Verwendung von Formen, die an Kristalle erinnern – all das macht Daniel Libeskinds Arbeiten so einzigartig, dass man sie nicht mit anderen Arbeiten verwechseln kann. Die Anhänger seiner Architektur sind von seinen unkonventionellen Lösungen fasziniert, da es beispielsweise vorkommt, dass seine Objekte, wie das Jüdische Museum in Kopenhagen, keinen einzigen rechten Winkel haben. Bewunderung weckt auch die Verbindung von Skulpturen mit Architektur, wobei Statuen und Kunstwerke weder Beiwerk noch nur dekorativ zu verstehen sind. Vielmehr handelt es sich um eine Art Koexistenz, bei der die Exponate den architektonischen Rahmen ergänzen, in den sie eingebettet sind, und umgekehrt. Kritische Stimmen werfen dem Architekten hingegen vor, seine Objektentwürfe stützten sich auf der Wiederholbarkeit der Formen und wären von Symbolen überfrachtet. Ein weiteres Argument der Kritiker zielt auf die übersteigerte Klarheit der Bauformen ab, die von den darin präsentierten Exponaten ablenke.

Unabhängig davon, wofür sich Betrachter von Libeskinds Werk entscheiden, ist eines sicher: in erster Linie handelt es sich um eine Architektur, die ihre eigene Sprache spricht und der gegenüber es schwerfällt, unentschlossen zu bleiben. Daniel Libeskinds unkonventionellen Formen spiegeln sein spezifisches Motto in der Gestaltung der Objekte wider, das da lautet: „Wenn Architektur versagt, wenn sie langweilig ist und ihr Phantasie und Kraft fehlen, dann erzählt sie nur eine Geschichte, und zwar die ihrer eigenen Entstehung: wie das Bauwerk finanziert, errichtet und im Detail gestaltet wurde. Aber ebenso wie großartige Literatur oder Poesie oder Musik kann großartige Architektur die Geschichte der menschlichen Seele erzählen.“[12]

 

Monika Stefanek, April 2021

 

[12] Breaking Ground..., Seite 14.