Adalbert und Elisabeth. Ein ruhrpolnisches Altarbild in Herne-Röhlinghausen
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Ruhrpolen in Röhlinghausen
Während des Deutschen Kaiserreichs brachten polnische Zuwander:innen die national akzentuierte Adalbert-Verehrung mit ins Ruhrgebiet. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür findet sich in Röhlinghausen, einer Ortschaft nordwestlich von Bochum, die 1926 nach Wanne-Eickel (und somit 1975 nach Herne) eingemeindet wurde.
Während der Industriellen Revolution erlebte Röhlinghausen einen fulminanten wirtschaftlichen Aufschwung. 1806 lebten hier erst 117 Menschen, 1830 immerhin 224. Nach dem Abteufen der ersten Tiefbauschächte ließ der Arbeitskräftebedarf des Steinkohlenbergbaus die Bevölkerungszahl seit 1870 (995 Einwohner:innen) immens anwachsen. Eine große Zahl der Zuwander:innen war polnischer Nationalität. Eine Volkszählung summierte am 1. Januar 1906 insgesamt 11.733 Einwohner:innen, darunter 4.731 Pol:innen und 1.334 Masur:innen. Die Belegschaften der Zechen Pluto-Thies und Königsgrube wiesen starke polnische Anteile auf. Manche Bergwerkskolonien waren fast komplett von ruhrpolnischen Familien bewohnt. Im Volksmund hieß der westliche Teil der Plutostraße „Polnischer Querschlag“.
In vorindustrieller Zeit wurden die wenigen Röhlinghauser Katholiken von der Eickeler Mariengemeinde mitbetreut. Infolge der starken Zuwanderung erfolgte 1898 die Gründung einer eigenen Kirchengemeinde. An der damaligen Moltkestraße wurde eine bescheidene Notkirche errichtet und der heiligen Barbara geweiht, der Schutzpatronin der Bergleute. Sie genügte bald den Anforderungen nicht mehr und wurde 1909–12 durch eine stattliche neugotische Hallenkirche ersetzt (Architekt: Herman Wielers, Wattenscheid). Zur Patronin wählte man wiederum die heilige Barbara.
In den Gremien der Kirchengemeinde – Kirchenvorstand und Gemeindevertretung – waren in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts zwischen 20 und 35 Prozent der Mitglieder polnischer Nationalität. Kirchliche Vereinsgründungen wandten sich gezielt an die ruhrpolnischen Katholik:innen. In Röhlinghausen gab es u. a. einen „St.-Adalbert-Verein“, der 1908 immerhin 370 Mitglieder umfasste und mindestens bis 1935 existierte. Für 1910 ist die Weihe einer Vereinsfahne aktenkundig, für 1912 ein Familienabend zur Erinnerung an den Priester Piotr Skarga (1536–1612), eine prominente Persönlichkeit aus dem Zeitalter der katholischen Gegenreformation in Polen.
Ein Stempel auf einer Ansichtskarte von ca. 1912-1920, die eine festlich gekleidete Personengruppe vor dem Portaleingang von St. Barbara zeigt, erwähnt für Röhlinghausen auch einen Verein der katholischen Polinnen. Auf der Karte sind aber nur wenige Frauen dargestellt. Mehrere Männer tragen eine bergmännische Paradeuniform, bei anderen deutet die Kopfbedeckung auf die Zugehörigkeit zu einem nationalpolnischen Verein hin. Zahlreiche Fahnen unterstreichen den festlichen Anlass der Zusammenkunft. Laut einer Bleistift-Beschriftung auf der Rückseite (N.M.P., Uroczystości Mariackie) handelt es sich hier um ein polnisches Marienfest.
An vielen Orten im Ruhrgebiet ist nachgewiesen, dass polnische Gemeindemitglieder für den Bau einer Kirche Geld spendeten oder polnische Vereine Ausstattungsstücke für ihr Gotteshaus stifteten, z. B. ein Missionskreuz (in Recklinghausen-Hochlarmark), einen Beichtstuhl (in Oberhausen-Osterfeld) oder einen Josefs-Altar (in Dortmund-Eving). In Röhlinghausen ist offenbar kein schriftlicher Beleg für ein solches Engagement überliefert. Die Darstellung des heiligen Adalbert auf dem Hochaltar der St.-Barbara-Kirche lässt allerdings vermuten, dass sich hier der St.-Adalbert-Verein finanziell beteiligt hat.