„Treu dem Vaterland, auch in der Fremde“. Patriotische Telegramme der Breslauer Polonia
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Die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Aufstands von Kościuszko wurden 1894 mit besonderer Inbrunst begangen. Sie fanden in allen drei [von Preußen, Russland, Österreich; Anm. d. Übers.] besetzten Landesteilen statt, erzielten jedoch im autonomen Galizien ihre stärkste Resonanz. In Lemberg wurde als besonderer Höhepunkt der Festivitäten das Rundgemälde „Panorama Racławicka“ (Panorama der Schlacht von Racławice) von Jan Styka und Wojciech Kossak enthüllt. „Für die Menschen in den besetzten Gebieten trug es zur ‚Aufmunterung der Herzen‘ bei, es weckte nationale Gefühle und es zeigte eine Vision des Kampfs um die Unabhängigkeit der Heimat, an dem Verbände aus der Bauernschaft teilnehmen würden, wovon Ideologen und Freiheitskämpfer im 19. Jahrhundert träumten.“[1]
Ebenfalls im Jubiläumsjahr 1894 brachte Tadeusz Korzon die erste wissenschaftlich fundierte Biografie Kościuszkos heraus.[2]
Ein noch ganz anderes Format nahmen die Feierlichkeiten zum 100. Todestag von Kościuszko im Jahr 1917 an. Die Veranstaltungen wurden mit Gottesdiensten, Umzügen und Festreden in mindestens 100 Ortschaften, selbst in Dörfern, begangen. So kam es am 14. Oktober 1917 auf den Feldern von Racławice, auf denen die erste Schlacht des Aufstands gewonnen wurde, zu einer heiligen Feldmesse und einer großen Kundgebung, an der fast 15.000 junge Menschen, Bauern und Einwohner der umliegenden Dörfer teilgenommen haben, sowie zu einem Gastspiel des Krakauer Teatr Ludowy (Volkstheater) mit einer Aufführung des Stücks „Kościuszko pod Racławicami“ (Kościuszko bei Racławice) von Władysław Anczyc.[3]
Mancherorts wurden auch äußerst spektakuläre Akzente gesetzt. So erschienen in Lublin zwei Militärflugzeuge über der Stadt, aus denen weiß-rote Blumensträuße und Visitenkarten der Piloten regneten, auf denen stand: „Kościuszko-Fest am 15. Oktober 1917“[4] Außerdem wurden 1917 im Ausland Feierlichkeiten zu Ehren Kościuszkos begangen, unter anderem in Paris, Berville, Solothurn und Rapperswil.
Anzumerken ist, dass auch im deutschen Breslau (Wrocław) gefeiert wurde. Das dortige Festkomitee war über ein halbes Jahr darum bemüht, dem Andenken des polnischen Nationalhelden würdevoll zu entsprechen. Das Kościuszko-Fest wurde mit einer heiligen Messe eröffnet, die am Sonntag, den 14. Oktober 1917, in der brechend vollen Kirche der Erziehungsanstalt Mariahilf in der Lehmgrubenstraße (heute ul. Gliniana) abgehalten wurde. Pfarrer Wilczewski hielt eine feurige, ausgesprochen patriotische Homilie. Dieser heiligen Messe wohnten Delegationen polnischer Organisationen mit ihren Bannern bei. Zum Schluss erklang das patriotische Lied „Boże coś Polskę“ (Gott, der Du Polen...). Anschließend wurde eine Laienaufführung des Stücks „Kościuszko w Petersburgu“ (Kościuszko in St. Petersburg) dargeboten, in der die Interpretation der Hauptrolle des Anführers besonders beeindruckt hat. Der Korrespondent der Tageszeitung „Dziennik Poznański“ unterstrich in seinem Resümee der Feierlichkeiten: „Die Breslauer Polonia hat trotz fremder Umgebung gezeigt, dass sie lebt, dass sie sich polnisch fühlt und immer aufrichtig polnisch bleiben wird.“[5]
In der unter preußischer Herrschaft stehenden Region Großpolen beging man die Feierlichkeiten in Posen (Poznań) und andernorts, etwa in dem kleinen Ort Pleszew [dt. Pleschen], wo man sich um Kościuszkos Büste auf dem in den Nationalfarben ausstaffierten Kinderspielplatz versammelte. Unter den Teilnehmern wurden weiß-rote Kokarden verteilt, patriotische Gedichte kamen zum Vortrag, Pfadfinder sangen die polnische Hymne und hundert Paare in Krakauer Trachten führten den Nationaltanz, eine Polonaise, auf.[6]
[1] K. Olszański, Panorama Racławicka – rys historyczny (1892 – 1946), in: Studia Historyczne, 24. Jg. 1981, Heft 2 , S. 227.
[2] M. Micińska, Gołąb i Orzeł. Obchody rocznic kościuszkowskich w latach 1894 i 1917, Warszawa 1997, S. 53-55.
[3] Ebenda, S. 111-112.
[4] „Kurier Lwowski“, Nr. 484 vom 16.10.1917.
[5] „Dziennik Poznański“, Nr. 239 vom 19.10.1917.
[6] A. Gulczyński, Harcerstwo pleszewskie do roku 1939, Pleszew 1986, S. 9.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Polen gerade in Großpolen mit verschiedenen Verboten der Besatzungsmacht unter Druck gesetzt, um die polnische Bevölkerung ultimativ zu germanisieren. Dort herrschte der „längste Krieg des modernen Europas“. Indessen konsolidierten sich die Polen im Geiste nationaler und wirtschaftlicher Solidarität. Ausdrucksformen dieser Bestrebungen waren die patriotische Erziehung und Bildung der Jugend sowie Vorbildlichkeit durch Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit in allen Lebensbereichen. Die polnische Bevölkerung in Großpolen opponierte in bemerkenswerter Weise, indem sie klug, gewitzt, kreativ und mit Widerstandskraft sowie frohgemut und treu zu ihren Idealen stand. Nur so konnte sie ihre ärgsten und entschlossensten, listigen, eingefleischten Feinde, den „eisernen Kanzler“ Otto von Bismarck und den Deutschen Ostmarkenverband, überstehen. Sie bewies, dass keine Kraft der Welt ihr Polentum aus ihren Herzen verdrängen konnte.
Der Kampf um die Erhaltung der nationalen Identität hatte viele Erscheinungsformen. Eine der originellsten war die Ausgabe dekorativer farbiger Lithographien mit historisch-patriotischen Motiven, die anlässlich familiärer, nationaler und religiöser Feiertage verschickt werden konnten. Sie wurden als „patriotische Telegramme“ oder als „Kościuszko-Telegramme“ bezeichnet, da die ersten Drucke mit dem Bildnis von Tadeusz Kościuszko versehen waren. Die ersten Blanko-Telegramme erschienen 1895 in Posen auf Initiative von Maria Łebińska, der Gattin des Schriftstellers und Chefredakteurs der Zeitung „Wielkopolanin“ Walery Łebiński[7], und von Teodora Kusztelan, der Gattin des Finanzexperten und Wirtschaftsaktivisten Józef Kusztelan. Die beiden Frauen gründeten ein Komitee zur Herausgabe von Gratulationskarten (Komitet do Wydawania Kart Gratulacyjnych), das auch „Frauen-Komitee“ (Komitet Pań) bzw. „Posener Komitee“ (Komitet Poznański) genannt wurde. Der Erlös aus dem Verkauf der Karten wurde für nationale, soziale und wohltätige Zwecke verwandt.[8]
Die „patriotischen Telegramme“ verbreiteten sich rasch, wobei sie eine Vielfalt von Bildnissen historischer Persönlichkeiten, von Helden im Kampf um die Unabhängigkeit sowie nationale Symbolen und Staatswappen zeigten. Um die Verwendung der Vordrucke zu erleichtern, wurden für jeden Anlass einfache, belustigende Wunschtexte vorbereitet, die in dem in Innowrocław [dt. Hohensalza] erschienenen Buch „Bukiet Dobranych Powinszowań wierszem i prozą, życzeń do Telegramów Kościuszkowskich“ (Ein Strauß passender Gratulationen für die Kościuszko-Telegramme in Prosa und Gedichten) nachzulesen waren.[9]
Seit 1912 wurden die patriotischen Vordrucke der Telegramme auch von der Towarzystwo Czytelni Ludowych (Gesellschaft der Volksbüchereien) herausgegeben.[10] Diese Institution trug wesentlich zur Förderung der Bildung der polnischen Einwohner in Preußen bei, indem sie Büchereien und Lesestuben mit polnischer Literatur unterhielt sowie Vorträge und Bildungsveranstaltungen organisierte. Die Arbeit dieser Gesellschaft ist durchaus als Weitergabe des geistigen Erbes von Juliusz Słowacki anzusehen, der in seinem Gedicht „Mój Testament“ (Mein Testament) inständig bittet:
„Lecz zaklinam – niech żywi nie tracą nadziei
I przed narodem niosą oświaty kaganiec“[11](Ich flehe aber, dass die Lebenden die Hoffnung nicht begraben
und vor dem Volk das Licht der Aufklärung tragen)
Die Entwürfe für die Vordrucke der Gesellschaft wurden von vielen Künstlern gestaltet, unter anderem von Jerzy Hulewicz, Kazimierz Kościański, Tadeusz Szafrański, Franciszek Tatula, Wiktor Gosieniecki und Paulin Gardzielewski. Besonders interessant sind die Entwürfe von Kazimierz Kościański (1899 – 1973), der 1933 die Posener Gruppe Twór (Das Werk) mitbegründet hat.[12] Seine Grafiken enthalten geometrische Linien, flache Farbareale und rhythmische Kompositionen, also Ausdrucksmittel, die für das Art déco charakteristisch sind. Seine Telegrammvordrucke mit den Bildnissen von Adam Mickiewicz und Ignacy J. Paderewski erreichen durchaus künstlerisches Niveau, was nicht für alle Vordrucke gilt.
[7] „Wielkopolanin“, Nr. 44 vom 24.02.1915.
[8] K. Matysek, Telegramy kościuszkowskie i narodowe świadectwem patriotyzmu Wielkopolan, in: Aksjosemiotyka karty pocztowej II, hrsg. von P. Banaś, Acta Universitatis Wratislaviensis, Nr. 2377, Prace Kulturoznawcze VIII, Wrocław-Warszawa 2004, S. 109.
[9] J. Aleksiński, Telegramy Kościuszkowskie, Antiquitates Minutae, Poznań 2003, S. 3.
[10] J. Sobczak, Wielkopolskie telegramy kościuszkowskie, in: Polski obyczaj patriotyczny od XVIII do przełomu XX/XXI w. – ciągłość i zmiana, hrsg. von A. Stawarz und W. J. Wysocki, Warszawa 2007, S. 119.
[11] J. Słowacki, Dzieła wybrane, Band 1: Liryki i powieści poetyckie, hrsg. von J. Krzyżanowski, Wrocław-Warszawa-Kraków- Gdańsk 1979, S. 44.
[12] „Nowy Kurier“, Nr. 128 vom 04.06.1933.
Das Gabinet Dokumentów Muzeum Narodowego we Wrocławiu (Dokumentationskabinett des Nationalmuseums Breslau) bewahrt ein Konvolut von zwölf „Kościuszko-Telegrammen“ aus den Jahren 1913 bis 1932 auf, die interessante und zugleich flüchtige Zeugnisse des gesellschaftlichen Lebens dieser Zeit sind. Sie alle stehen im Zusammenhang mit der Arbeit polnischer Organisationen in Breslau vor 1939. Ihre Empfänger und Absender waren nationale Aktivisten, also Menschen, die in der Fremde polnisch dachten und fühlten.
Vier dieser Telegramme betreffen die Familie Stache, fünf beziehen sich auf die Familie Hordyk.
Die beiden ältesten Telegramme enthalten Glückwünsche an Franciszka und Jan Stache anlässlich ihrer Vermählung am 22. Juli 1913 in Lubawa [dt. Löbau] in Pommern. Was wissen wir über die Empfänger?
Franciszka, geborene Kaślewska, stammte aus Lubawa und empfing dort am 20. September 1903 ihre erste heilige Kommunion.[13] Zehn Jahre später heiratete sie Jan Stache, dessen Familie aus Schlesien stammte. Jan und Franciszka ließen sich in Breslau nieder, wo sie sich im Kultur- und Bildungswesen der lokalen polnischen Gemeinschaft engagierten. Jan Stache leitete als Organist den Chor der Martinskirche, des Versammlungsorts der Breslauer Polonia. Außerdem war er Mitglied im Towarzystwo Śpiewu „Harmonia“ (Gesangskreis „Harmonie“). Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens war er von 1925 bis 1927 im Konsulat der Republik Polen in Breslau tätig. Er starb 1931.[14] Seine Frau Franciszka, die ebenfalls in den polnischen Organisationen in Breslau mitgewirkt hat, wurde am 2. September 1939, also direkt nach Kriegsausbruch, verhaftet und in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, wo sie bis zum Juni 1940 inhaftiert blieb.[15] Aus dieser Zeit stammt der erhaltene Brief, den sie im Lager an ihre Tochter Helena Stache in Breslau schrieb.[16] Franciszka Stache hat den Krieg glücklicherweise überlebt und anschließend noch einige Jahre im polnischen Wrocław gelebt.
Das erste Hochzeitstelegramm für Franciszka und Jan Stache zeigt eine patriotisch anmutende Landschaftsszene mit Figuren und Symbolen vor einer Architekturstaffage. Zwei Männer in Nationaltrachten halten eine Kartusche mit einem weißen Adler in den Händen, unter der eine Steintafel mit den Jahreszahlen der Teilungen und der Aufstände zu sehen ist. Im Hintergrund sind Ansichten einer Stadt und eines Dorfes zu sehen. In der Überschrift steht „Na cele narodowe!“ (Für gemeinnützige Zwecke) und unten „Świadomość ludu – dokona cudu!“ (Volkes Bewusstsein schafft Wunder). Die Komposition schließen zwei Maste mit weiß-roten Bannern ab, auf denen links die Losungen „Oświata“ (Bildung) und „Pilność“ (Fleiß) sowie rechts „Praca“ (Arbeit) und „Trzeźwość“ (Besonnenheit) zu lesen sind. In dem freien Feld darunter wurden die Glückwünsche „Sto lat, sto lat beczkę wina, najpierw córkę potem syna“ (Hundert Jahre, hundert Jahre, ein Fass voll Wein, erst eine Tochter, dann ein Sohn) formuliert und von „Jabłoński mit Frau“ unterschrieben. Diese Wünsche der Jabłońskis, die das Brautpaar zu seiner Vermählung erhielt, sind in Erfüllung gegangen: 1914 kam das erste Kind der Eheleute Stache zur Welt, Tochter Helena, ein paar Jahre später, 1920, Sohn Józef.[17]
Das zweite Hochzeitstelegramm stellt einen Bogen auf zwei Kapitellen dar, in dessen Mitte ein Engel mit den Wappenschildern Polens, Litauens und Rutheniens abgebildet ist. Die Archivolte enthält die Aufschrift „Cel narodowy i dobroczynny“ (Für gemeinnützige, wohltätige Zwecke).
Zwei weitere Telegramme überbrachten Glückwünsche zum Namenstag von Jan Stache. Das eine ist aus dem Jahr 1928, das zweite ist von 1930. Das erste Telegramm ist mit einer von zwei Amorfiguren gehaltenen ovalen Kartusche verziert, in der das Porträt von Fürst Józef Poniatowski eingelassen ist. Am oberen Abschluss der Kartusche ist ein Adler mit Krone zu erkennen. Darunter befindet sich das polnische Staatswappen auf roten Hintergrund. Die Komposition schließen zwei Schärpen (links und rechts) ab, auf denen die erste Zeile des „Rota“-Liedes zu lesen ist: „Nie rzucim ziemi skąd nasz ród“ (Unser Vaterland geben wir nicht auf). Die Glückwünsche wurden von den Vertretern folgender Breslauer Organisationen unterschrieben: Towarzystwo Szkolne Polskie (Polnische Schulgesellschaft), Kółko Śpiewackie „Harmonia“ (Gesangskreis „Harmonie“), Biblioteka Ludowa (Volksbücherei) und Związek Polaków w Niemczech Oddział Wrocław (Bund der Polen in Deutschland, Niederlassung Breslau).
[13] Das Andenken der ersten heiligen Kommunion für Franciszka Kaślewska (verheiratete Stache) vom 20.09.1903 befindet sich im Gabinet Dokumentów Muzeum Narodowego we Wrocławiu (im Folgenden: GD MNWr.), Inv. Nr. XX – 797.
[14] Do nich przyszła Polska… Wspomnienia Polaków mieszkających we Wrocławiu od końca XIX w. do 1939 r., Auswahl und Bearbeitung von A. Zawisza, Wrocław 1993, S. 313.
[15] Ebenda, S. 315.
[16] Befindet sich im GD MNWr., Inv. Nr. XX-795.
[17] Die Erinnerungen des Józef Stache, Typoskript [um 1969] befinden sich im GD MNWr.
Das zweite Namenstagstelegramm für Jan Stache, datiert auf den 24. Juni 1930, enthält Glückwünsche vom Gesangskreis „Harmonie“, von der Polnischen Schulgesellschaft und der Breslauer Nebenstelle des Bundes der Polen in Deutschland. Der Vordruck, der von der Posener Gesellschaft der Volksbüchereien ausgegeben wurde, zeigt ein stilisiertes Portal, in dessen Mitte die Silhouette des Posener Rathauses und darunter, im Vordergrund, Symbole für Bildung, ein offenes Buch und eine brennende Öllampe, zu sehen sind. Dieser Vordruck gehörte zu den beliebtesten der von der Gesellschaft der Volksbüchereien herausgegebenen Glückwunschtelegramme. Die Symbolik der Darstellung bezieht sich auf die Idee der „organischen Arbeit“ [ein von polnischen Positivisten geprägter Begriff; Anm. d. Übers.], der die Bildung und Erziehung der Massen ein wichtiges Element im Kampf um die Erhaltung der nationalen Identität war.
Weitere Telegramme, die sich im Breslauer Dokumentationskabinett befinden, betreffen die Familie Hordyk. Gabriela Marchwicka und Jan Hordyk heirateten am 3. Februar 1894 in Breslau.[18] Beide wirkten in polnischen Organisationen mit: sie im Towarzystwo Polek (Verein der Polinnen), er, der Schuhmacher von Beruf war, in der Towarzystwo Przemysłowców Polskich (Gesellschaft der Polnischen Unternehmer) in Breslau, in der sich vor allem polnische Handwerker organisierten.[19] Als der wiedergeborene polnische Staat entstand, verließen die Eheleute Hordyk Breslau und gingen 1920 nach Gnesen (Gniezno).
Das früheste Telegramm an Mitglieder der Familie Hordyk ist von 1919 und wurde anlässlich der silbernen Hochzeit der Eheleute Gabriela und Jan von der Gesellschaft der Polnischen Unternehmer verschickt. Jan Hordyk war langjähriges Mitglied der Gesellschaft und einige Zeit auch ihr Geschäftsführer.
Auf diesem Exemplar befinden sich ein Bildnis von Tadeusz Kościuszko und ein Adler, der in seinen Fängen einen Lorbeerkranz mit einer weiß-roten Schärpe der Gesellschaft der Volksbüchereien hält, sowie das folgende Zitat von Kościuszko: „Wzbudzić potrzeba miłość kraju w tych, którzy dotąd nie wiedzieli nawet, że Ojczyznę mają“ (Die Liebe zum Land der Väter ist bei denen zu wecken, die bisher nicht einmal wussten, dass sie ein Vaterland haben).
Vier Telegramme sind an das Brautpaar Jan Hordyk und Gerta, geborene Zaremska, gerichtet, dessen Hochzeit am 6. September 1932 in Mrocza [dt. Mrotschen] in Pommern stattgefunden hat. Der Bräutigam war vermutlich der erstgeborene Sohn von Gabriela und Jan Hordyk. Drei dieser Telegramme enthalten ein Porträt von Tadeusz Kościuszko, das vierte ist mit den Konterfeis des polnischen Königspaars Jadwiga und Władysław Jagiełło versehen.
Auf einem dieser Telegramme sind außer dem Bildnis Kościuszkos nur noch die Nationalfarben zu sehen, die anderen stellen dieses Bildnis flankiert von einem Adler mit gesprengten Ketten dar. Es sind typische Hochzeitstelegramme, da sie die Aufschrift „Niech żyje Para Młoda!“ (Hoch lebe das Brautpaar) bzw. „Szczęść Boże Młodej Parze“ (Gott segne das Brautpaar) tragen.
Das Telegramm mit den beiden ovalen Porträts von Königin Jadwiga und König Jagiełło sowie dem Wappen der Republik Polen auf roten Hintergrund ist mit dem Schriftzug „Nie rzucim ziemi skąd nasz ród“ (Unser Vaterland geben wir nicht auf), der ersten Zeile des „Rota“-Liedes, versehen.
Neben den Telegrammen an die Mitglieder der Familie Stache und der Familie Hordyk befinden sich in unserem Dokumentationskabinett noch drei weitere Telegramme.
Eins, das auf den 24. Januar 1920 datiert, ist ein Kondolenztelegramm vom Breslauer Verein der Polinnen an Mateusz Sentek zum Tode seiner Frau Józefa, die ein langjähriges Mitglied des Vereins gewesen war. Ihr Mann, der Konditor Mateusz Sentek, arbeitete viele Jahre in der Konditorei Niklaus in der Ohlauer Straße (heute ul. Oławska) in Breslau.[20] Diesen Telegrammvordruck kennen wir schon. Er zeigt das Bildnis von Tadeusz Kościuszko und einen Adler, der in seinen Fängen einen Lorbeerkranz mit einer weiß-roten Schärpe der Gesellschaft der Volksbüchereien hält.
Das interessanteste Telegramm in dem Konvolut der „Kościuszko-Telegramme“, das in unserem Dokumentationskabinett aufbewahrt wird, ist das Hochzeitstelegramm an ein Brautpaar aus der Familie Grajkowski vom 7. November 1925. Es wurde von der Familie Wardzyński verschickt, die damals in Bochum lebte. Władysław Wardzyński war ein bekannter polnischer Aktivist in Westfalen. Nachdem er in den 1930er Jahren mit seiner Familie nach Breslau zog, wirkte er auch hier in polnischen Sozialorganisationen mit.
[18] Die Heiratsurkunde von Jan Hordyk und Gabriela, geborene Marchwicka, vom 03.02.1894 befindet sich im GD MNWr., Inv. Nr. XX-234.
[19] Ein Diplom für Jan Hordyk von Towarzystwo Przemysłowców Polskich befindet sich im GD MNWr., Inv. Nr. XX-231.
[20] Zitat nach: Do nich przyszła Polska…, S. 287.
Das Telegramm schmückt eine Farblithographie als Allegorie auf die Wiederauferstehung Polens sowie die Aufschrift: „I na obczyźnie wierni Ojczyźnie!“ (Treu dem Vaterland, auch in der Fremde!)[21] Im Zentrum der Komposition steht Polonia. Sie ist in einen königlichen Hermelinmantel gewandet, wird von der Muttergottes von Tschenstochau und einem weißen Adler beschützt, und empfängt in Begleitung von Freiheitskämpfern und Vertretern des Volkes Opfergaben. Die polnische Nationalfahne in der oberen rechten Ecke verleiht dem Telegramm ausdrücklich nationalen Charakter. Der Vordruck wurde vom Komitet Narodowy (Polnisches Nationalkomitee) in Berlin ausgegeben. Die großzügige Komposition zeichnet das Telegramm als eindrucksvollste Arbeit im gesamten Konvolut aus, wobei es leider sehr stark beschädigt ist.
Das jüngste Telegramm stammt aus dem Jahr 1932 und steht, wie die anderen auch, sehr im Zusammenhang mit den Aktivitäten polnischer Organisationen in Deutschland. Es wurde im November 1932 anlässlich der Eröffnung des polnischen Privatgymnasiums in Beuthen (Bytom) aus Breslau versandt. Dieses Gymnasium war die erste polnische Schule, die in Deutschland gegründet wurde. Die Eröffnung fand am 8. November 1932 statt.[22] An diesem klassischen Gymnasium wurden die Altertumssprachen Latein und Griechisch unterrichtet. Man war sich dessen bewusst, dass: „Die Sicherung der nationalen und kulturellen Bedürfnisse einer so großen Anzahl von Polen in Deutschland das Hauptanliegen der polnischen Gesellschaften darstellt und dass die nationale und staatsbürgerliche Erziehung sowie die Ausbildung der jungen Generation äußerst wichtig sind.“[23] Die Schule erfreute sich in kürzester Zeit bei Polen in ganz Deutschland großer Beliebtheit. Die polnische Gemeinschaft schätzte diese Einrichtung. Die Gymnasiasten brachten unter dem Titel „Idziemy“ (Lasst uns gehen) ihre eigene Schülerzeitung heraus.[24]
Der Absender des Telegramms, der Schneider Franciszek Juszczak, war damals Geschäftsführer der Breslauer Niederlassung des Bundes der Polen in Deutschland und insofern das Oberhaupt der in Breslau lebenden Polen. „Er war ein geborener Sozialarbeiter und ein überzeugter Patriot. Die polnischen Belange in Breslau haben sein ganzes Leben bestimmt.“[25] Juszczak war ein Charismatiker, dem die Breslauer Polonia zu verdanken hatte, dass sie bestehen konnte. Er hat unermüdlich gepredigt, dass „das Vaterland und das polnische Volk von höchstem Wert sind, dem man mit voller Kraft dienen soll. Die Billigkeit der polnischen Frage in Deutschland darf niemals angezweifelt werden“.[26]
Das Telegramm, das aus Breslau nach Beuthen versendet wurde, enthält eine ovale Kartusche mit dem Porträt von Karol Marcinkowski, über der die Aufschrift „Karol Marcinkowski“ angebracht ist. Oberhalb der Aufschrift befindet sich das Stadtpanorama von Posen.[27] Marcinkowski verkörperte die Idee der „organischen Arbeit“ und des Kampfes mit dem Besatzer durch patriotische Erziehung der jungen Generation, durch Bildung und durch vorbildliche Rechtschaffenheit in allen Lebensbereichen.
Grafisch hat der Posener Maler Franciszek Tatula (1889 – 1946) das Telegramm gestaltet, der in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts einer von rund einem Dutzend Künstlern war, die mit der Ausschmückung des polnischen Transatlantik-Passagierschiffs MS Piłsudski beauftragt wurden.[28] Außerdem war Tatula auch als Gebrauchsgraphiker tätig, unter anderem im Hinblick auf die „Kościuszko-Telegramme“ für die Gesellschaft der Volksbüchereien.
Die Urheber der übrigen Telegrammvordrucke aus der Sammlung des Dokumentationskabinetts sind uns leider nicht bekannt, wobei besonders bedauerlich ist, dass der Autor der Komposition mit der Allegorie Polens bis heute anonym geblieben ist.
Die umfangreichsten Konvolute der „Kościuszko-Telegramme“ befinden sich in den Universitätsbiblioteken in Warszawa und Poznań. Das Posener Konvolut ist auf der öffentlichen Internetseite der Wielkopolska Biblioteka Cyfrowa (Großpolnische Digitale Bibliothek) unter www.wbc.poznan.pl als eigene Sammlung zugänglich.
Die Telegramme, die sich auf die Aktivitäten der Breslauer Polonia beziehen, vermitteln Erinnerungen an Personen und Ereignisse, die eng mit den fundamentalen Werten wie Vaterland, Unabhängigkeit und Sprache zu assoziieren sind.
Die vorgestellten Telegramme aus der Sammlung des Muzeum Narodowe (Nationalmuseum) in Wrocław belegen als Zeugnisse der Bemühungen um die Erhaltung der Muttersprache und der nationalen Traditionen die Identität der Polen, die vor 1939 in der Oderstadt lebten. Das Phänomen der „patriotischen Telegramme“ ist ein Element des Erbes, das die Komplexität der polnischen Identität illustriert.
Beata Stragierowicz, August 2019
[21] A. Zawisza, Gdy mowa polska znaczyła przetrwanie. Działalność kulturalna-oświatowa Polaków we Wrocławiu w latach 1918 – 1939. Katalog zachowanych archiwaliów, Band 2, Wrocław 1983, S. 60.
[22] W. Kosiecki, Polskie Gimnazjum w Bytomiu, Opole 1937, S. 6.
[23] Ebenda, S. 3.
[24] Die Nummer 11 der Schülerzeitung befindet sich im GD MNWr., Inv. Nr. XX-580.
[25] A. Zawisza, Franciszek Juszczak, in: Kalendarz Wrocławski 1986, S. 155.
[26] Zitat nach: Do nich przyszła Polska… , S. 11.
[27] Kolekcjonerzy i miłośnicy, hrsg. von M. Starzewska, Wrocław 1988, S. 50, Illustr. 32.
[28] Polskie życie artystyczne w latach 1915-1939, hrsg. von A. Wojciechowski, Wrocław, Warszawa, Kraków, Gdańsk 1974, S. 332.