Marek Radke
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Ganz folgerichtig stellt Radke im weiteren Verlauf dann die Fläche als ultimative Bildebene in Frage. Er höhlt sie anfangs aus, kreisförmig oder rechteckig, überhöht mit Farbbändern räumliche Dimensionen und erzielt irritierende Tiefenwirkungen. Er spielt mit dem Trompe-l’oeil-Effekt, der Augentäuschung, und lässt höchst wirkungsvoll Körper auf und in der Fläche die Beziehung von Volumen und Raum definieren. In der Weiterentwicklung emanzipieren sich die konstruktiven Elemente gänzlich zunächst von der Bildfläche, dann von der Wandfläche, um als autonome Farbobjekte wahrgenommen zu werden. Diese Farbkonstrukte, diese im Dinghaften versammelten und verkörperten Farben machen Raum neu erfahrbar, etablieren sich neben dem Betrachter als dreidimensionale Dialogpartner und fordern zu einer Kommunikation unter geänderten Bedingungen heraus. Mehr noch: die Elemente laden zur direkten Beteiligung des Betrachters an der Komposition ein. Damit nicht genug: die nunmehr vier Elementarstufen der Radkeschen Kunst, nämlich Farbe, Form, Objekt und Raum interagieren in den jüngsten Arbeiten mit einer weiteren Komponente, dem Licht. Natürlich macht in jedem Fall erst die Reflektion des Lichts Gegenstände sichtbar. Der Einsatz von Schwarzlicht auf phosphoreszierenden Farben macht zum einen diese Selbstverständlichkeit erneut bewusst, erzeugt zum anderen aus den physikalischen Gesetzen Geheimnis und Staunen. Das Spielerische in der Inszenierung der Farbobjekte wandelt sich in Magie, und abermals bringt die gesteigerte Erfahrung der Lichteffekte auch weitere gestalterische Möglichkeiten mit sich, die Radke mit kreativer Verve nutzt.
Erneut macht er sich Räume zu eigen, wandelt sie durch Lichtfäden und -netze, durch Nutzung von Spiegeltiefen in farbige Wunderkammern. Er suggeriert, dass Farben fliegen können. Diese jüngsten Entwicklungen können oft nur angedeutet werden durch eine Versammlung von Einzelobjekten auf einer Schaufläche oder durch Fotografien von Installationen, weil die räumlichen Voraussetzungen nicht immer gegeben sind.
Sie ordnen sich aber ein in den Schatz der visuellen Erfahrungen, aus dem neue Bildvorstellungen im Künstler reifen. Daraus wachsen aufregende Herausforderungen für den Betrachter und ein Versprechen bestätigt sich, dass nämlich die Kunst, wie Rudolf Arnheim überzeugt war, „eine der Belohnungen ist, die uns zufallen, wenn wir denken, indem wir sehen“. Und um diese Duplizität – denken und sehen – geht es eigentlich immer in der Kunst.
Gisela Burkamp, November 2020