Kasimir Zgorecki (1904–1980) – von Recklinghausen in den Pantheon der französischen Fotografie

Kazimierz Zgórecki: Autoportrait (Selbstportrait 1994), schwarz-weiß Fotografie, Print 2019, im Privatbesitz der Familie, veröffentlicht im Ausstellungskatalog Louvre-Lens
Kazimierz Zgórecki: Autoportrait (Selbstportrait 1994), schwarz-weiß Fotografie, Print 2019, im Privatbesitz der Familie, veröffentlicht im Ausstellungskatalog Louvre-Lens

Zeitzeuge der polnischen Diaspora


Kasimir schloss seine Ausbildung zum Kupferschmied ab und wanderte anschließend mit seinen Eltern und seinen Schwestern nach Frankreich aus. Dieser Schritt wurde durch die „Convention franco-polonaise“ vom 03.09.1919 verabschiedet, ein Abkommen, das die Massenimmigration von Polen und Ruhrpolen ermöglichte.[48] Es entstand drei Monate nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrags, was im darauffolgenden Jahrzehnt schätzungsweise 600.000 Arbeiter und Familienangehörige zur Einwanderung in Frankreich veranlasste.[49] Die Bergarbeiter unterschrieben Arbeitsverträge, welche sie dazu verpflichteten, für ein Jahr unter Tage zu arbeiten.[50] Die Sicherheit eines Arbeitsplatzes war Jahr für Jahr von der Nachfrage abhängig. Interessant ist dieses Detail im Hinblick auf Kasimir Zgoreckis vorzeitigen Abbruch seiner Tätigkeit in der Grube 10 de Billy-Montigny.[51]

Die Auswanderung seiner Familie in die Region Nord-Pas-de-Calais geschah im Zuge der Restauration Frankreichs, nachdem seine Familie wahrscheinlich durch das „Comité Central des Houillères de France“ (CCHF) in Duisburg angeworben wurde. Doch die Reise aus dem Ruhrgebiet erwies sich als problematisch, denn die Transportkolonnen mitsamt dem Hab und Gut der Familien wurden nicht selten an der weiterreise gehindert.[52] Die französischen Bergbaugesellschaften errichteten oftmals Städte für die Zuwanderer, daher bildeten sich nach der Ankunft erneut polnische Gemeinschaften.[53] Dabei entstanden ähnliche Lebensverhältnisse, wie sie auch schon im Ruhrgebiet existiert hatten. Viele ehemalige Nachbarn fanden sich in ihrem unmittelbaren Umfeld wieder. Vereine aus dem Ruhrgebiet wurden erneut gegründet. Es gab sozusagen einen Wiederaufbau der ehemaligen Gemeinschaft.[54] Schon bald machten sich erhebliche Unterschiede zwischen den „Westphaliens“ und den Polen aus dem Osten bemerkbar. Wer aus dem Ruhrgebiet kam, war mit moderner deutscher Arbeitstechnik vertraut, daher spaltete sich die polnischsprachige Gemeinschaft in vielen Punkten.[55] Die Ruhrpolen eröffneten zum Beispiel die ersten Geschäfte und führten Zeitungen wie den Narodowiec aus ihrer Heimat weiter.[56] Der Alltag der Väter und Söhne richtete sich nach ihrer Erwerbstätigkeit, während die Frauen für die Kinder und das Haus verantwortlich waren.

 

[48] Janine Ponty: Polonais méconnus, S. 681.

[49] Janine Ponty: Une intégration difficile, S. 51.

[50] Vgl. Janine Ponty: Une intégration difficile, S. 52.

[51] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S. 11.

[52] Diana Cooper-Richet: Les mineurs polonais, S. 46.

[53] Diana Cooper-Richet: Les mineurs polonais, S. 48.

[54] Henri Dudzinski: Les Polonais du Nord, S. 13.

[55] Janine Ponty: Une intégration difficile, S. 52.

[56] Janine Ponty: Une intégration difficile, S. 54.

Mediathek
  • Abb. 1: Selbstportrait, 1920er Jahre

    Kasimir Zgorecki: Selbstportrait, Fotografie, 1920er Jahre
  • Abb. 2: Geburtsurkunde, 1904

    Geburtsurkunde von Kasimir Zgorecki, Urkunde, 1904
  • Abb. 3: Meldekarte, 1907

    Meldekarte der Familie Zgorecki, Dokument, 1907
  • Abb. 4: Herner Adressbuch, 1912

    Adresse der Familie Zgorecki, Adressbuch, 1912
  • Abb. 5: Herner Adressbuch, 1914

    Adresse der Familie Zgorecki, Adressbuch, 1914
  • Abb. 6: Bahnhofstraße in Herne, Datum unbekannt

    Zentrum in Herne, Fotografie, Autor und Datum unbekannt
  • Abb. 7: Farbpostkarte der Bahnhofstraße in Herne, um 1912

    Zentrum in Herne, Postkarte, Autor unbekannt, um 1912
  • Abb. 8: Sokół, Datum unbekannt

    Sokół-Auftritt während eines Festes, Fotografie, Autor und Datum unbekannt
  • Abb. 9: Werbeanzeige „Kraft“, Datum unbekannt

    Werbeanzeige des Fotostudios „Kraft“, Anzeige, Datum unbekannt
  • Abb. 10: Adressbuch Herne, 1912

    Adressen in Herne, Adressbuch, 1912
  • Abb. 11: Parade in Herne, Datum unbekannt

    Parade im polnischen Viertel, Fotografie, Autor und Datum unbekannt
  • Abb. 12: Kundgebung in Herne, 1920

    Aufruf gegen das radikale Polentum, Zeitschriftenanzeige, 1920
  • Abb. 13: Familie Zgorecki in Frankreich, 1920er Jahre

    Kasimir Zgorecki und seine Familie, Fotografie, 1920er Jahre
  • Abb. 14: Frauenportrait, 1920er Jahre

    Portrait einer jungen Frau, Fotografie, 1920er Jahre
  • Abb. 15: Turnbewegung, 1930er Jahre

    Fotografie eines Vereins, Fotografie, 1930er Jahre
  • Abb. 16: Familienfeier, 1930er Jahre

    Fotografie einer Familienfeier, Fotografie, 1930er Jahre
  • Abb. 17: Straßenumzug, 1930er Jahre

    Festlichkeiten in den Straßen Nordfrankreichs, Fotografie, 1930er Jahre
  • Abb. 18: Krippenspiel, 1930er Jahre

    Fotografie eines Krippenspiels, Fotografie, 1930er Jahre
  • Abb. 19: Trauernde Familie, 1930

    Fotografie einer trauernden Familie, Fotografie, 1930
  • Abb. 20: Totenfotografie, 1930er Jahre

    Fotografie eines verstorbenen Kindes, Fotografie, 1930er Jahre