Kasimir Zgorecki (1904–1980) – von Recklinghausen in den Pantheon der französischen Fotografie
Zeitzeuge der polnischen Diaspora
Kasimir schloss seine Ausbildung zum Kupferschmied ab und wanderte anschließend mit seinen Eltern und seinen Schwestern nach Frankreich aus. Dieser Schritt wurde durch die „Convention franco-polonaise“ vom 03.09.1919 verabschiedet, ein Abkommen, das die Massenimmigration von Polen und Ruhrpolen ermöglichte.[48] Es entstand drei Monate nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrags, was im darauffolgenden Jahrzehnt schätzungsweise 600.000 Arbeiter und Familienangehörige zur Einwanderung in Frankreich veranlasste.[49] Die Bergarbeiter unterschrieben Arbeitsverträge, welche sie dazu verpflichteten, für ein Jahr unter Tage zu arbeiten.[50] Die Sicherheit eines Arbeitsplatzes war Jahr für Jahr von der Nachfrage abhängig. Interessant ist dieses Detail im Hinblick auf Kasimir Zgoreckis vorzeitigen Abbruch seiner Tätigkeit in der Grube 10 de Billy-Montigny.[51]
Die Auswanderung seiner Familie in die Region Nord-Pas-de-Calais geschah im Zuge der Restauration Frankreichs, nachdem seine Familie wahrscheinlich durch das „Comité Central des Houillères de France“ (CCHF) in Duisburg angeworben wurde. Doch die Reise aus dem Ruhrgebiet erwies sich als problematisch, denn die Transportkolonnen mitsamt dem Hab und Gut der Familien wurden nicht selten an der weiterreise gehindert.[52] Die französischen Bergbaugesellschaften errichteten oftmals Städte für die Zuwanderer, daher bildeten sich nach der Ankunft erneut polnische Gemeinschaften.[53] Dabei entstanden ähnliche Lebensverhältnisse, wie sie auch schon im Ruhrgebiet existiert hatten. Viele ehemalige Nachbarn fanden sich in ihrem unmittelbaren Umfeld wieder. Vereine aus dem Ruhrgebiet wurden erneut gegründet. Es gab sozusagen einen Wiederaufbau der ehemaligen Gemeinschaft.[54] Schon bald machten sich erhebliche Unterschiede zwischen den „Westphaliens“ und den Polen aus dem Osten bemerkbar. Wer aus dem Ruhrgebiet kam, war mit moderner deutscher Arbeitstechnik vertraut, daher spaltete sich die polnischsprachige Gemeinschaft in vielen Punkten.[55] Die Ruhrpolen eröffneten zum Beispiel die ersten Geschäfte und führten Zeitungen wie den Narodowiec aus ihrer Heimat weiter.[56] Der Alltag der Väter und Söhne richtete sich nach ihrer Erwerbstätigkeit, während die Frauen für die Kinder und das Haus verantwortlich waren.
[48] Janine Ponty: Polonais méconnus, S. 681.
[49] Janine Ponty: Une intégration difficile, S. 51.
[50] Vgl. Janine Ponty: Une intégration difficile, S. 52.
[51] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S. 11.
[52] Diana Cooper-Richet: Les mineurs polonais, S. 46.
[53] Diana Cooper-Richet: Les mineurs polonais, S. 48.
[54] Henri Dudzinski: Les Polonais du Nord, S. 13.
[55] Janine Ponty: Une intégration difficile, S. 52.
[56] Janine Ponty: Une intégration difficile, S. 54.