Kasimir Zgorecki (1904–1980) – von Recklinghausen in den Pantheon der französischen Fotografie
Weitere Werke stellen den traditionellen Alltag der polnischen Familien dar. Sie zeigen Sportveranstaltungen, Familienfeste wie Hochzeiten oder Taufen und katholische Feste (siehe Abb. 15, 16, 17, 18). Seit 1901 erleichterte ein französisches Gesetz die Gründung von ausländischen Vereinen, aufgrund dessen Zgorecki auch noch 20 Jahre später die Möglichkeit hatte, diese abzulichten.[66] Seine Fotos spiegeln insgesamt das Leben der Ruhrpolen im Ausland wider – und halten auch traurige Ereignisse fest. Die sogenannten Post-Mortem-Fotografien gehörten ebenso zu Zgoreckis Arbeiten und waren im 20. Jahrhundert besonders gefragt.[67] Er lichtete vor allem verstorbene Kinder ab und folgte dabei bestimmten Regeln der Bildkomposition und Inszenierung (siehe Abb. 19). Die Kinder wurden liegend in ihren Betten dargestellt, manchmal umgeben von ihrer Familie oder auch einem symbolischen Gegenstand wie einer Puppe (siehe Abb. 20). Oft wurde im Hintergrund ein Tuch aufgehängt, um das Licht zu reflektieren.[68] Auch diese Fotografien dienten nicht nur den Hinterbliebenen vor Ort, sondern auch der Familie in der polnischen Heimat, um die Erinnerung an ein verstorbenes Kind aufrecht zu erhalten, welches sie nie kennenlernen durften. Das Musée d’Orsay stellte 2002 Zgoreckis Post-Mortem-Fotografien aus, diese können im Ausstellungskatalog „Le Dernier Portrait“ und online eingesehen werden.[69]
Am 04.07.1930 heiratete Kasimir Léocadie Parysz, die auch in seinem Studio tätig war. Seine Kinder Alfred und Jacques wurden 1931 und 1938 geboren.[70] Während des Zweiten Weltkriegs fotografierte er höchstwahrscheinlich Besatzer und Soldaten, es gibt jedoch keine Spur von diesen Arbeiten mehr.[71] Insgesamt war er mit seinem Fotostudio sehr erfolgreich, denn ein hinterbliebenes Dokument der Société Gevaert bestätigt ein Jahreseinkommen von 2.456 Francs.[72] Durch die Kontaktaufnahme mit Zgoreckis Nachlassverwalter Frédéric Lefever stellte sich heraus, dass dieser während des Krieges und der deutschen Besetzung Frankreichs seiner Arbeit weiter nachgehen konnte – wenn auch mit weniger Aufträgen – und nicht als Soldat eingezogen wurde.[73] Nach Kriegsende vernachlässigte Zgorecki seine Tätigkeit, ging aber nicht in Rente, bevor er seine beiden Söhne in die Fotografie einführte.[74]
[66] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S. 52.
[67] Post-Mortem-Fotografie (Totenfotografie) ist das Ablichten von verstorbenen Personen als Andenken an ein Familienmitglied. Diese Form von Fotografie wurde hauptsächlich im späten 19. und 20. Jahrhundert praktiziert.
[68] Emmanuelle Héran: Le Dernier Portrait, S. 127f.
[69]siehe:https://www.musee-orsay.fr/fr/evenements/expositions/aux-musees/present… (zuletzt abgerufen am 26.06.2020)
[70] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S. 11.
[71] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S. 11.
[72] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S. 7.
[73] Emailkontakt mit Lefever im Mai und Juni 2020.
[74] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S. 11.