Kasimir Zgorecki (1904–1980) – von Recklinghausen in den Pantheon der französischen Fotografie
Zusätzlich zur Siedlung entstand kurz vor der Geburt Kasimirs die katholische St. Michaelskirche, welche 1900 erbaut wurde.[15] Die Wahl von heiligen Schutzpatronen war aber auch für Vereine sicher nicht zufällig. Seit 1888 gab es in Recklinghausen-Süd den polnischen Verein des heiligen Michael.[16] Dieser oder ein gleichnamiger Verein organisierte Fahrten zum Wallfahrtsort Neviges in Nordrhein-Westfalen.[17] Generell war die Gründung von Vereinen für Ruhrpolen durch ihre bessere Rechtsstellung auf preußischem Gebiet im Gegensatz zu Bergarbeitern aus anderen Ländern einfacher.[18] Die Vereine vermittelten Werte aus der Heimat und schafften somit Orientierung in einer fremden Umgebung. Sie gaben das Gefühl von Zusammenhalt in der Fremde und konnten durch ihr breites Spektrum in vielen Lebensbereichen Hilfe leisten. Familie Zgorecki lebte also in einem fluorierenden Stadtteil mit neuen Baumaßnahmen, in dem es viele polnische Vereine gab und katholische Messen gehalten wurden. So gab es auch ab 1903 in Recklinghausen den ersten Kaplan für eine polnischsprachige Seelsorge.[19] Der Gesangsverein „Róża Leśna“ veranstaltete Familien- und Stiftungsfeste sowie Gesangswettbewerbe mit polnischen Volksliedern in Hochlarmark.[20] In allen Stadtteilen wurden „Sokół“-Sportvereine gegründet, deren Mitglieder sich nach Statuten richteten, um eine positive Atmosphäre im Vereinswesen zu schaffen.[21] Andere, wie der Lotterieverein „Dobra Nadzieja“ teilten ihren Staatslosgewinn unter den Mitgliedern auf, um diesen für die Eigentumsbildung in der Heimat zu verwenden.[22] Weitere Vereine gestalteten die Freizeit der Ruhrpolen, wie zum Beispiel der Radlerverein „Gwiazda“.[23] Obwohl die Vereine alle offiziell darauf plädierten, unpolitisch zu agieren, wurden sie dennoch von der ortsansässigen Polizei unter Beobachtung gestellt.[24]
Die vom Amt Recklinghausen ausgestellte Meldekarte für Familie Zgorecki bescheinigt, dass diese am 01.10.1907 nach Herne verzog (siehe Abb. 3). Die genaue Anschrift in Herne ist nur schwer leserlich und konnte während der Recherche zu diesem Artikel leider nicht entziffert werden. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Familie bei ihrem Umzug bereits aus vier Personen bestand – Vater Casimir, Mutter Marianna, die gemeinsame Tochter Jadwiga (geb. 1902 in Hochlarmark) und Kasimir. Der Umzug, welcher höchstwahrscheinlich auf die Zechenwanderung zurückzuführen ist, war kein seltenes Phänomen im Ruhrgebiet, was auch der Herner Historiker Ralf Piorr bestätigt.[25] Grund dafür waren die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und Löhne in den Zechen, die durch aktive Abwerbung zu vielen Arbeitswechseln führten.[26] Im Fall von Familie Zgorecki handelte es sich nur um wenige Kilometer, die zu einem neuen Lebensumfeld führten.
[15] Matthias Kordes: Wohnen, Leben und Arbeiten von Fremden im Revier, S. 287.
[16] siehe: https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/polnischer-v… (zuletzt abgerufen am 01.07.2020)
[17] Werner Burghardt: Die polnischen Arbeiter sind…fleißig und haben einen ausgeprägten Erwerbssinn, S. 413.
[18] Werner Burghardt: Die polnischen Arbeiter sind…fleißig und haben einen ausgeprägten Erwerbssinn, S. 403.
[19] Werner Burghardt: Die polnischen Arbeiter sind…fleißig und haben einen ausgeprägten Erwerbssinn, S. 408.
[20] Vgl. Werner Burghardt: Die polnischen Arbeiter sind...fleißig und haben einen ausgeprägten Erwerbssinn, S. 413.
[21] Sokół-Vereine waren populäre Turnbewegungen, dessen Fokus auf sportlichen Aktivitäten lag. Ihr Ziel war es aber auch, die polnische Kultur und Tradition zu bewahren.
[22] Werner Burghardt: Die polnischen Arbeiter sind… fleißig und haben einen ausgeprägten Erwerbssinn, S. 413.
[23] siehe:https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/polnischer-r… (zuletzt abgerufen am 01.07.2020)
[24] Werner Burghardt: Die polnischen Arbeiter sind…fleißig und haben einen ausgeprägten Erwerbssinn, S. 413.
[25] Telefonat am 19.06.2020 zum Thema Ruhrpolen in Herne.
[26] Werner Burghardt: Die polnischen Arbeiter sind…fleißig und haben einen ausgeprägten Erwerbssinn, S. 406.