Kasimir Zgorecki (1904–1980) – von Recklinghausen in den Pantheon der französischen Fotografie
1980 verstirbt Kasimir Zgorecki in Nordfrankreich, nachdem er dort viele Jahre als erfolgreicher Fotograf tätig war. Seine Leidenschaft für die Fotografie gab er auch an seine beiden Söhne Jacques und Alfred weiter. Auch sie leiteten ihre eigenen Fotostudios, dabei übernahm Jacques das seines Vaters in Rouvroy, in dem bereits viele Jahrzehnte lang Fotos entstanden waren.[1] Der historische Wert von Zgoreckis langjähriger Leidenschaft wurde erst nach seinem Tod in den 1990er Jahren bewusst wahrgenommen, nachdem der Ehemann seiner Enkelin, Frédéric Lefever, im Nachlass der Familie an die 4.000 Negative entdeckte, bestehend aus alten Glasplatten, die auf dem Dachboden der Wohnung über dem Studio lagen.[2] Seine Gesamtkollektion muss dabei noch viel größer gewesen sein, da der Krater eines Bombenanschlags während des Zweiten Weltkriegs im Garten des Studios mit Negativen zugeschüttet wurde.[3] Weitere Negative wurden nach dem Anschlag, der auch einen Teil des Fotolabors zerstörte, von der Polizei beschlagnahmt.[4]
Die von Lefever wiederentdeckten Fotografien entstanden zwischen 1924 und 1939 und bewahren als Dokumente der Zeitgeschichte ein Stück polnischer Tradition außerhalb des freien polnischen Staates. Viele polnische Bürger strebten auch in der Nachkriegszeit nach besseren Lebensbedingungen im Ausland und zogen die Repatriierungsoption nicht in Erwägung. Daher zeigen die Motive Zgoreckis den Alltag polnischer Emigranten in einer französischen Bergbauregion, die ihre Kultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufrechterhielten.
Kasimir Zgoreckis Familie stammt ursprünglich aus der Region um Posen, in der sein Vater 1876 geboren wurde.[5] Diese gehörte damals zum preußischen Staatsgebiet, die dortigen Arbeitsmöglichkeiten lagen überwiegend in der Landwirtschaft.[6] Der seit Mitte des 19. Jahrhunderts anhaltende Bevölkerungswachstum und die Ausdehnung des Großgrundbesitzes brachte insbesondere in Posen eine Vielzahl verarmter Landarbeiter hervor, die als Saisonarbeiter oder Tagelöhner angestellt waren.[7] Die Lebensumstände führten daher zur Landflucht, die teils ungelernten Arbeiter zog es in Städte, die in Bergbauregionen lagen, was unter anderem zu einem erheblichen Bevölkerungsverlust in und um Posen führte.[8] Die Migrationsbewegungen fallen auf die Zeit der Ansiedlung von Zgoreckis Vater im Ruhrgebiet, der die sogenannte Binnenwanderung in Preußen auf sich nahm, um vermutlich als ungelernter Arbeiter neu Fuß zu fassen.
[1] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S.11.
[2] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S. 5.
[3] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S. 7.
[4] siehe: https://fr-fr.facebook.com/pg/KasimirZgorecki/about/?ref=page_internal (zuletzt abgerufen am 02.07.2020)
[5] Frédéric Lefever: Kasimir Zgorecki, S. 7.
[6] Matthias Kordes: Wohnen, Leben und Arbeiten von Fremden im Revier, S. 285.
[7] Frank Braßel: Die polnische Hauptstadt Westfalens, S. 24.
[8] Matthias Kordes: Wohnen, Leben und Arbeiten von Fremden im Revier, S. 285.