Ferdinand Matuszek. Erinnerungen an einen polnischen Zwangsarbeiter
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2. Akt: Stationen der Deportation
Bereits im November 1941 kursierten in Czołhańszczyzna erste Gerüchte, dass Jungen aus den Schulen in den Westen geholt würden, erinnert sich Matuszek. Er habe sich aber kaum Gedanken darüber gemacht – bis zum 1. April 1942, als er selbst als Zwangsarbeit in das Dritte Reich deportiert wurde. Der 15-Jährige war nicht der Einzige: Aufgrund des kriegsbedingten Fachkräftemangels sowohl in der kriegswirtschaftlich relevanten Industrie als auch in der Landwirtschaft sahen sich die Nationalsozialisten gezwungen – den Rassegesetzen[11] zum Trotz – Zwangsarbeiter[12] einzuziehen und in Nazideutschland arbeiten zu lassen.
So wurden zwischen September 1941 und November 1942 100.000 Menschen ins Reich verschleppt. Diese Deportationswelle wurde als sog. „Landarbeiteraktion“ bezeichnet. Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren wurden weggebracht. Ob sie körperlich geeignet für die anstrengende Arbeit waren, war nicht relevant.
Ferdinand Matuszek wurde am Tag des 1. April zuhause bei der Erledigung von Hausaufgaben überrascht. Seine Mutter versuchte die Männer abzuhalten, ein SS-Mann schlug ihr zwei Mal ins Gesicht. Matuszek, der sich daraufhin auf diesen gestürzt hat, wurde in eine Ecke gestoßen. Mit Matuszek wurden an diesem Tag insgesamt acht jugendliche Polen aus dem Dorf deportiert. Der Blick in die entsprechende Forschungsliteratur zeigt, dass der Ablauf der Festnahme Matuszeks vergleichsweile gewaltarm ablief. Die Polizei umstellte zum Teil ganze Dörfer, um die Flucht der zu Deportierten zu verhindern. Ab 1942 zeichneten sich die Deportationen durch steigenden Terror aus – und auch Wahllosigkeit. Wer sich im Rahmen von spontanen Razzien der Polizei und der SS nicht ausweisen oder bezeugen konnte, eine Arbeit zu haben, wurde direkt mitgenommen.
Noch am selben Tag wurden die Jugendlichen in das benachbarte Tarnopol gebracht. Die weitere Deportation erfolgte mittels eines Zugs über Lemberg, Krakau und Liegnitz. Die Fahrt wurde durch jeweils mehrtägige Aufenthalte in den Städten unterbrochen.
In Krakau und Liegnitz kam es zu körperlichen Untersuchungen. Matuszek, der vergleichsweise schmächtig war, hatte bis zu diesem Moment gehofft, zurückgeschickt zu werden. Die körperliche Untersuchung umfasste auch eine Entlausung. Ein Prozess, den Matuszek als besonders erniedrigend in Erinnerung behielt:
„Dann mussten wir uns in einer Reihe aufstellen und bücken und da kriegten wir von hinten mit so einer Flitsche etwas draufgepustet. Die sagten nur: ‘Läuse.’ Ich sagte: ‘Ich habe keine Läuse.’ Das kann man gar nicht beschreiben, so etwas Diskriminierendes. Das wollte mir einfach nicht in den Kopf.“[13]
Wie andere Zwangsarbeiter auch gelangte Matuszek im April 1942 in ein sogenanntes Durchgangslager in Soest. Diese funktionierten als Verteilungszentren: Von dort aus sollten die eingezogenen Arbeitskräfte in der Region verteilt werden. Bevor dies geschah, wurden die Menschen desinfiziert, durch das Arbeitsamt registriert und schließlich den interessierten Betrieben präsentiert. Diese konnten sich an vorher festgelegten Tagen „ihre“ Zwangsarbeiter selbst auswählen.
Da Matuszek so mager war, wurde er zunächst von der Behörde zu einer Familie nach Rehme-Babbenhausen geschickt und nach kurzem Aufenthalt schließlich auf den Bauernhof der Familie Körtner aus Rehme[14] weitergeschickt – dort sollte er seine neue Heimat finden.
[11] Die Nationalsozialisten unterteilten die Menschen in verschiedene Rassen, je nach Einordnung hingen Status, der Umgang und der angebliche Wert ab. Polen galten als Slawen nur etwas mehr als Juden oder Sinti und Roma.
[12] Zwangsarbeiter sind Menschen, die unter Zwang für das Deutsche Reich arbeiteten. Darunter fielen Kriegsgefangene, Häftlinge sowie unfreiwillige, ausländische Zivilisten aus Staaten, die weder mit dem Dritten Reich befreundet noch neutral waren.
[13] Schäffer/Nickel, Matuszek, S. 97.
[14] Rehme ist seit 1973 Stadtteil von Bad Oeynhausen im Kreis Minden-Lübbecke und liegt in Nordrhein-Westfalen. Zuvor war es eine eigenständige Gemeinde.