Danuta Karsten – „In meinen Arbeiten wird der Raum materialisiert“
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Obwohl die Mehrzahl der Professoren an der Düsseldorfer Akademie während der Studienzeit von Danuta Karsten den Fokus auf die Konzeptkunst legt, konzentriert sie sich auf die Ausdruckskraft des Materials. Studien mit Ton, Stroh, Nessel, Quark, geflochtenen Pflanzen, Papier, Wasserglas und Erdpigmenten, teils auf dem Boden, teils schwebend im Innenraum oder auf Metallständern installiert,[3] sind noch von der an der Akademie in Danzig erlernten Ehrfurcht vor dem Material geprägt. In ihren ersten öffentlich in Deutschland in Kirchen und Galerieräumen gezeigten Installationen weichen diese Anklänge an die Arte Povera jedoch einem objekthaften Zugriff und einer hoch ästhetischen Inszenierung des Materials, wie wir sie zum Beispiel aus der polnischen Textilkunst seit den Siebzigerjahren von Magdalena Abakanowicz oder den Papier- und Textilobjekten des aus Rumänien stammenden Künstlerehepaars Ritzi und Peter Jacobi kennen. Karstens Installationen aus mit Wasserglas getränktem Papier, in Form von gefalteten Spitztüten 1994 in der Philip-Nicolai-Kirche in Recklinghausen aufgehängt,[4] 1997 in großen, flachen Blättern zu einem Eckkegel im Kunsthaus Essen aufgeschichtet,[5] zeigen noch dieses ursprünglich bei Künstlerinnen aus Osteuropa ausgeprägte raue, handwerkliche und naturverbundene Materialempfinden. Es charakterisiert auch Karstens ebenfalls in Essen gezeigten Raumteiler aus zweihundert mit Kartoffelstärke gefestigten, schwarz gefärbten Röhren aus Nesselstoff (Abb. 1).
Dies ändert sich, als die Künstlerin 1996 beginnt, mit Kunststofffolien, ‑bändern und ‑schnüren und anderen meist weißen oder durchscheinenden Materialien zu arbeiten. Zu diesen gehören neben häufig eingesetztem weißem Papier auch weißer Zwirn, Zündhölzchen, Latex und Kernseife, die sie meist in geometrischen Rastern anordnet. Von den „armen“ Materialien der Arte Povera ist sie zu alltagstauglichen Werkstoffen gewechselt, wie auch eine Installation aus Hunderten von Luftpolstern im Oktogon des Foyers im Museum Ostdeutsche Galerie in Regensburg 1999 belegt (Abb. 3). Die früheste Installation dieser Art besteht aus sechzig Pyramiden aus genähter PVC-Folie, die allein durch die statischen Möglichkeiten des Materials aufrecht stehen und die 1996 in der psychiatrischen Klinik Bedburg-Hau zu sehen sind.[6]
Im Unterschied zu den vor 1996 entstandenen Arbeiten, in denen der Raum lediglich zur Präsentation der künstlerischen Objekte dient, bezieht sie ihre Arbeit von nun an auf das gesamte zur Verfügung stehende Raumvolumen, das durch die installierten Materialien selbst zum gestalteten Kunstwerk wird. Material und Raum gehören in ihren Installationen seitdem untrennbar zusammen. Die PVC-Pyramiden verwendet sie für weitere Installationen, 1999 und 2000 in Nordkirchen und Antwerpen, 2000 in der Installation „Lichtatem“ in der Galerie Koło in Danzig[7] und schließlich in der auf zweihundertfünfzig Stück angewachsenen gleichnamigen Installation 2010 in der Zeche Zollverein in Essen (Abb.11). Die geometrischen Module richtet die Künstlerin immer wieder neu auf den jeweiligen Raum aus und interpretiert ihn damit neu. Dieses Prinzip zieht sich durch ihr gesamtes Werk: Einen einmal gefundenen und in die serielle Form gebrachten Werkstoff dekliniert sie durch verschiedene Räume bis zu einem finalen Projekt, nach dem alle Möglichkeiten ausgeschöpft scheinen. Dass sie auch Materialien nach ihrer Optik und der handwerklichen Verwendbarkeit durchdekliniert, zeigt die Installation „Kleider“ 2001 in Hattingen, in der sie viermal die gleiche fallend-fließende Figur abwechselnd mit den Werkstoffen Hanf, Metallwolle, Sisal und Kunststoff realisiert (Abb. 4).
[1] Danuta Karsten im Interview „Materialisierung von Raum“ mit Kamila Wielebska (Danzig 2007), in: Danuta Karsten, Bönen 2012, S. 49
[2] Eine Vita der Künstlerin sowie Listen der Einzel- und Gruppenausstellungen finden sich auf ihrer Webseite danutacarsten.com
[3] Abbildungen der zwischen 1987 und 1990 entstandenen Arbeiten im Aufsatz von Jacek Barski: Ein anderes Gefühl. Zum Werk von Danuta Karsten, in: Ausst.-Kat. Lovis-Corinth-Preis 1998, S. 71-81
[4] Abbildung ebd., S. 82
[5] Abbildung ebd., S. 85
[6] Abbildung ebd., S. 88
[7] Abbildungen im Katalog Bochum 2001, S. 9, 10, 33