Auf den zweiten Blick. Roland Schefferski in der Galerie Bernau
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Hier ein Vorhang, dort ein Mantel, Sakkos, ein Bündel geknäulter Stoffe. Textilien, auf dem Boden liegend, beiläufig arrangiert oder unter einer Glasglocke auf einem Podest ruhend erhaben präsentiert. Eines wird hier schnell deutlich: Roland Schefferski arbeitet mit Stofflichkeit, mit dem vermeintlich Greifbaren und Alltäglichen. Doch der erste Blick trügt. Greifbar scheint dem Betrachter vorerst nur eine Offensichtlichkeit, die sich neben der Stofflichkeit in allen Arbeiten wiederfindet. In den Stickereien, die filigranen Zeichnungen gleich, in die plane Oberfläche des Stoffes ein- und vordringen. Zum Vorschein kommen schattenähnliche Umrisse menschlicher Porträts. Doch wessen Umrisse sind zu erkennen? Oder gilt es gar mehr dahingehend zu fragen, ob es überhaupt um die Anwesenheit des Porträtierten geht?
Der ursprünglich aus der Malerei und Bildhauerei kommende Künstler, wandte sich in den frühen 1980er Jahren der Objektkunst zu. Sein künstlerischer Schaffensbereich pendelte, stets unter Einbeziehung unterschiedlicher Medien, zwischen Environments, Installationen, Aktionen und Interventionen. Inspiriert von Objekten des täglichen Lebens begann Roland Schefferski seine Konzepte an die Orte anzupassen, an denen sie präsentiert wurden. Besondere Aufmerksamkeit kam dem Aufspüren marginaler Aktivitäten im Öffentlichen Raum zu. Seine Beobachtungen sind dabei stets geprägt von der Wahrnehmung als zeit- und raumgebundenem Prozess, der den Zugang zu dem künstlerischen Grundgedanken – dem konzeptionellen Teil des Werkes – überhaupt erst ermöglicht.
Roland Schefferski macht es dem Ausstellungsbesucher nicht leicht. Unausgesprochen fordert er den Rezipienten zu einem zweiten Blick auf. Einen zweiten analytischen Blick, der mehr in der Auseinandersetzung der existentiellen Idee des Werkes ruht als in dem augenscheinlich Erkennbaren. Zentral ist dabei der Verweis auf den Kontext, also die Konstruktion und Struktur des Systems „Kunst“ an sich. Eine spielerische Form von Institutionskritik, könnte man sagen. Ferner eine philosophisch anmutende Auseinandersetzung, die die Abhängigkeit der Kunst innerhalb des gezeigten Kontextes als Frage in den Raum stellt, somit gleichermaßen die Perzeption des Betrachtenden beeinflusst und geradezu entblößt, um bewusst gewollte Assoziationen zu schaffen und neue Denkprozesse zu aktivieren und zu provozieren. Künstlerisch strategisch schafft Schefferski einen Moment, in dem die Betrachtenden die Auseinandersetzung mit dem Werk als solches suchen. Verkleidet, in Stoff mit aufgestickten Umrissen gebettet, kommen sie daher, nicht offensichtlich aber grundlegend gestellt, dem Betrachter beim zweiten Hinsehen glaubend als eigene Fragen erscheinend: Was eigentlich ist die Kunst? Was ein Kunstwerk?
Indem er den Ausstellungsbesuchern das Angebot macht, sich in das Werk hineinzubegeben, es sich überzustülpen, es körperlich zu erfüllen, zu erfühlen und wahrnehmbar zu erfahren, geht der Künstler noch einen Schritt weiter. Die die Ausstellung begleitende Interaktion „Die Berliner“ lädt dazu ein, für den Zeitraum des Ausstellungsbesuches mit schattenartig markierten Umrissen bestickte Jacken, Sakkos und Mäntel im Tausch gegen die eigene Oberbekleidung zu tragen. Das auf Bewegung und Dynamik basierende partizipative Konzept „Die Berliner“ als Angebot, mit dem Werk bekleidet, den Ausstellungsraum zu begehen. Diesen aber auch zu verlassen, wodurch das ursprünglich institutionsgebundene Werk eine Erweiterung zu einer Form von Kunst im Öffentlichen Raum erfährt. Ein partizipatives Konzept, das die Arbeiten dynamisiert und die getrennten Sphären von Kunst und Leben – zumindest momenthaft zusammenführt. Ein Versuch, der ganz offensichtlich auf die Relation zwischen Kunstwerk und Ausstellungsort verweist. In institutionellem Kontext gezeigte Arbeiten werden als Kunstwerk nicht in Frage gestellt. Ob und wie ein Kunstwerk aber außerhalb dessen stehen kann, ist die Herausforderung, der sich der aktiv involvierte Rezipient, spätestens beim temporären Verlassen des Gebäudes, gegenübergestellt sieht.
Seine Werke außerhalb des institutionellen Kunstbetriebs anzusiedeln, treibt Schefferski seit den frühen 1980er Jahren an. In den 1990ern ging er so weit, seine Arbeiten in einen Berliner Second Hand Shop oder auch in Kommission eines Danziger Antiquitätengeschäfts zu geben. Damit zielte er auf eine zeitgenössische Aktualisierung jener Verschmelzung zwischen Kunst und Leben ab, wie sie bereits Walter Gropius und die Avantgarde der Moderne mit der Grundidee des Bauhauses in der Vereinigung von Kunst und Handwerk propagierten. Eine Praxis, die sich auf andere Weise und in noch radikalerer Ausprägung in den 1960er Jahren mit der Zerschlagung des Tafelbildes und den performativen Schritten hin zu einer Assimilation von Kunst und Leben manifestierte.