Angelika J. Trojnarski. Auf der Suche nach einem tieferen Weltverständnis
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Eine Kindheit in der Natur Masurens
Ihre Leidenschaft für die Natur und die Begeisterung für Naturphänomene hat die Künstlerin aus ihrer Kindheit in Masuren, der größten Seenlandschaft Polens, mitgebracht, wo sie 1979–89 in einer noch intakten Landschaft aufgewachsen ist. Frühe Bilder, Gerüche und Stimmungen, die sich hier in ihre Erinnerung eingebrannt haben, tauchen in ihren Werken gemeinsam mit Erkenntnissen aus Recherchereisen in andere Gebiete immer wieder auf. Rund um die zahlreichen Gewässer gibt es in Masuren große Waldkomplexe als Überreste alter Urwälder und eine unvergleichliche Tier- und Pflanzenwelt, weswegen die Region auch heute noch geradezu als Paradies für ein Leben in und mit der Natur gilt. Sowohl diese Wälder als auch die Seen und Moorlandschaften waren für die Künstlerin in ihrer Kindheit Stätten unendlicher Entdeckungen.
Ihr eigenes Bild von der Umwelt hat Trojnarski dabei geformt, bei jeder Gelegenheit in die Natur hinauszugehen, am liebsten dorthin, wo es noch keine Pfade gab, beim Betrachten von Ameisenhügeln, die so hoch waren, dass sie ihren eigenen Körper damals fast überragten, oder beim Schwimmen in dunklen Seen, immer in Ehrfurcht vor Blutegeln und Wasserstrudeln.
Hier hat sie unter anderem stundenlang Fossilien versteinerter Kopffüßler gesammelt, sog. Belemniten, die aus vergangenen Zeiten überdauert hatten und partiell aus der Erde ragten. Diese auch „Donnerkeile“ genannten, etwa fingergroßen Skelette der ehemaligen Kopffüßler (Cephalopoden) sind Überreste einer Zeit, als in Masuren aus der Gletscherschmelze die heute über 3.000 Gewässer umfassende Seenplatte entstand. Sie hatte ursprünglich einen direkten Zugang zum Meer, denn die Cephalopoden hatten Ihren Lebensraum ausschließlich an den Rändern der Meeresküsten. Ohne all diese Hintergründe bereits zu kennen, haben die Relikte vergangener Zeiten eine unbestimmte Faszination auf Trojnarski ausgeübt, vermischten sich mit beiläufigen Beobachtungen und den Erinnerungen an Nachmittage am See, mit trockenen Graslandschaften, die sich in Kinderaugen unendlich ausweiten und mit verschiedenen Gerüchen der Natur, welche sich bei Sommerhitze oder nach einem Gewitterregen entfalten und bisweilen für immer abrufbar im Gedächtnis bleiben, um Jahre später prägend für ein künstlerisches Werk zu werden, das sich mit der Natur beschäftigt.
Künstlerische Erforschung von Naturphänomenen
Grundlegend für Angelika J. Trojnarskis Arbeit sind eine intensive Naturbetrachtung und die Beobachtung physikalischer Abläufe. Sie beschäftigt sich mit Stürmen, Polarlichtern, Blitzen oder Gewittern und untersucht, inwieweit die Natur ihre Kräfte entfaltet. In der Regel sind ja nicht die Kräfte selbst sichtbar, sondern ihre Spuren und Wirkungen. Angelika J. Trojnarski gibt diesen immateriellen Prozessen eine bildnerische Gestalt. Vom Wind getriebene Wolken, strömendes Wasser, aufscheinende Blitze oder das Licht der Sonnenstrahlen – sie alle sind Bilder natürlich fließender Energien.
Auf elektromagnetischen Vorgängen basierende Lichtphänomene stellen dabei eine anhaltende Faszination der Künstlerin dar, sie beschäftigt sich ausgiebig damit, indem sie die Elektrizität in der Atmosphäre studiert und sich intensiv mit der Forschung des kroatischen Wissenschaftlers Nikola Tesla auseinandergesetzt hat. Energie, Spannung und Emotionalität des Lichtes erscheinen in ihren Bildern dann in einer geladenen Verbindung (Fiat Lux, 2018/19) und sie schafft es, eine geradezu phänomenale Kraft auftreten zu lassen: Polarlichter vereinen sich mit Blitzen und Feuer, gemeinsam bilden sie einen Wirbel aus blendend weißen und violetten Lichtstrahlen, die mit fast spürbarer Wucht auf den Boden treffen. In ihrem Bild Petrichor (2019) hingegen zeigt sich ein starkes, mit Schraffuren aufgeladenes Sommergewitter, ein lichtgefluteter Wolkenbruch, der Sonne und violette Blitzentladungen vereint. Der Titel bezieht sich auf den Geruch des Sommerregens, wenn die Tropfen auf den heißen, sehr trockenen Boden auftreffen und evoziert damit eine Stimmung, welche die Künstlerin an ihre Kindheit erinnert und die wir alle kennen. Immer häufiger jedoch sind wir inzwischen mit Naturereignissen konfrontiert, die uns nicht mehr vertraut sind.
Das Anthropozän
Die Künstlerin möchte mit ihren Werken für Naturphänomene sensibilisieren, nicht nur, weil diese Ereignisse besonders und außergewöhnlich schön sind, sondern weil sie unsere Verantwortung für die Natur und deren zum großen Teil inzwischen durch uns gestörte Prozesse erkennt. Sie verweist auf die Fragilität und die ökologische Krise unseres Planeten, indem sie sich mit Spuren des Anthropozäns beschäftigt. Ohne uns bewusst zu machen, wie stark alle Phänomene und Ereignisse miteinander in Verbindung stehen, versuchen wir in einer ganz eigenen destruktiven Dynamik seit geraumer Zeit, physikalische Kräfte und Prozesse auszuhebeln, laugen mit unserem Konsum die Erde aus und erschöpfen sie. Auf diese Weise haben wir einen Zustand errichtet, in dem die Natur, die seit jeher ein eigenes, einzigartiges Selbst-Regulationssystem besitzt, erstmals und in zum Teil unerwarteter Heftigkeit auf uns reagiert. Diese Reaktionen zeigen die enorme Komplexität der Erde.
Im Jahr 2000 haben Eugene Stoermer und Paul Crutzen das sog. Anthropozän ausgerufen, um damit den dominanten geophysikalischen Einfluss des Menschen auf das Erdsystem zu benennen.[1] Lange davor jedoch hat der Chemiker James Lovelock in Zusammenarbeit mit der Mikrobiologin Lynn Margulis bereits die vielschichtigen und verschlungenen Zusammenhänge von Menschlichem und Nicht-Menschlichem untersucht. Sie bezeichneten das Ökosystem unseres Planeten als Gaia, und übernahmen damit einen Begriff aus der griechischen Mythologie, wo Gaia die personifizierte große Erdmutter ist, die direkt aus dem Chaos geboren wurde und damit dem geordneten Kosmos entgegengesetzt ist. In der heutigen Naturwissenschaft dient der Chaos-Begriff, der in der Antike den Urzustand der Welt benannte, passenderweise wieder zur Bezeichnung der Unvorhersehbarkeit von Prozessen. Die Gaia-Hypothese von Lovelock und Margulis aus den 1970er Jahren besagte,[2] dass die Erde als sich selbst organisierendes System wie ein Lebewesen behandelt werden muss – und nicht als totes Ressourcenlager, aus dem der Mensch sich nach Belieben bedienen kann. Mit der Untersuchung einer als lebendiges Gefüge verstandenen Erde, hat man diese als eine kraftvolle und lebendige Gesamtheit aller Organismen erkannt und festgestellt, dass gerade die Naturgewalten eine ganz eigene Prozesshaftigkeit bergen, die das Handeln des Menschen am Ende weit in den Schatten stellen werden, oder, wie Lovelock konstatierte: „Wenn wir uns nicht um die Erde kümmern, wird sie sich mit Gewissheit um sich selber kümmern, indem sie uns nicht länger willkommen heißt.“[3]
Das Pyrozän
Angelika J. Trojnarski gelingt es, da wo uns die Nachrichten vielleicht schon nicht mehr berühren, Bilder für die Kraft der Natur zu finden, einen ästhetischen Ausdruck für die zunehmend spür- und sichtbare Eigenständigkeit des Planeten, die sich darin manifestiert, dass er sich in gesteigerten Naturkatastrophen wie ein kranker Patient aufbäumt, um die nimmersatten Parasiten von seinem Leib zu schütteln.
In den letzten Jahren schüren Hitzewellen eine enorme Trockenheit, einhergehend mit verdorrten Böden, ausgetrockneten Flüssen und überall brennenden Wäldern, die inzwischen so alltäglich geworden sind, dass die Künstlerin vom Fieber der Erde spricht und den Begriff des Pyrozäns aufgreift[4], nach welchem sie eine Werkreihe von Collagen benennt. Indem sie echtes Feuer einsetzt, mit dem sie die Ränder ihrer Collagen anbrennt und Rußspuren erzeugt, wirken ihre Kunstwerke wie Zeugen einer Feuersbrunst, sie sind Ausdruck ihres Weltverständnisses, Zeichen und Gezeichnete zugleich. Trojnarskis Bilder handeln von Risiken und der Bedrohung unseres Planeten, aber auch von überraschender Schönheit. Von einer poetischen Ästhetik, die sich entfaltet, indem Dinge einfach geschehen und Paradoxe zulassen. Auf diese Weise kann eine Wolke, statt barocken Glanz auszustrahlen, ein infernalisches Himmelsgebilde werden, voll mit Staub und Ruß (Stress, 2020), sie kann aber auch den Blick auf eine Unstimmigkeit lenken, indem sie ihre zarte Leichtigkeit durch stachelige Kletten erhält, kleine widerborstige Kugeln, die sich überall festhaken, wenn man ihnen zu nahe kommt, und die dennoch eine spröde, aber feine Eleganz ausstrahlen (Risk and Wonder, 2022). Auch im Material vereint sich also scheinbar Gegensätzliches. Angelika J. Trojnarski wählt es nie willkürlich, ihre intensive Beschäftigung mit der Natur und ihr Forschen lassen sie vollständig in die Materie eintauchen und auf einem künstlerisch-wissenschaftlichen Weg nach einem tieferen Weltverständnis suchen. In ihrem Atelier in Düsseldorf-Reisholz, das sie auch als Labor benutzt, finden sich diverse Fundstücke, die sie von ihren Reisen mitgebracht hat: Magnetiten, selbstgezüchtete Salzkristalle, verkohlte Pflanzen und Baumrinden. Sie alle sind ebenso aus den Kräften der Natur hervorgegangene Formen, wie die Bilder, die hier entstehen, Zeugen einer fragilen erdgeschichtlichen Epoche und Hinweise darauf, was es zu bewahren gilt.
Ann-Katrin Günzel, April 2024
Die Website von Angelika J. Trojnarski:
https://trojnarski.com/
[1] Paul J. Crutzen und Eugene F. Stoermer: The “Anthropocene”, in: IGBP Global Change Newsletter, Nr. 41, Mai 2000, S. 17–18.
[2] James Lovelock: Gaia. A New Look at Life on Earth, Oxford 1979.
[3] James Lovelock: Gaias Rache. Warum die Erde sich wehrt. Berlin 2007, S. 10/11.
[4] Der US-amerikanische Umwelthistoriker Stephen J. Pyne hat 2015 diesen Begriff geprägt, um deutlich zu machen, dass wir in einem neuen Zeitalter angekommen sind, in dem die Macht des Feuers, angeheizt durch den Klimawandel, unsere Lebensgrundlage prägen wird. Pyne, Stephen J.: The Pyrocene. How We Created an Age of Fire, and What Happens Next, Oakland (Cal.) 2021.