Andrzej Nowacki. Erkundung des Quadrats
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Lebenswege 2
Um die Jahrtausendwende lernte Andrzej Nowacki zwei Menschen kennen, die er bis heute als wichtige Bezugspersonen, ja Mentoren und nicht zuletzt als vertraute Freunde bezeichnet: Bożena Kowalska, die unbestritten bedeutendste Kunstkritikerin im Bereich geometrischer Kunst in Polen (Abb. 42) und Heinz Teufel, den berühmten deutschen Galeristen und feinen Kenner der europäischen konkreten Kunst (Abb. 43). Die über viele Jahre hindurch geführten Diskussionen und Auseinandersetzungen mit den beiden profilierten Betrachtern seines Schaffens gaben ihm die Möglichkeit, das künstlerische Bewusstsein zu erweitern und die Kontexte der Gegenwart zu vertiefen. Dank Bożena Kowalska fand er Anschluss an die polnischen Geometrikern (Jerzy Kałucki, Koji Kamoji, Stanisław Fijałkowski, Zbigniew Dłubak, Jerzy Grabowski), beteiligte sich an vielen Workshops und Ausstellungen. Heinz Teufel ermöglichte ihm wiederum Präsenz in den Kreisen von Sammlern und Künstlern in Deutschland (Horst Bartnig, Manfred Mohr, Andreas Brandt, also die zweite Generation der konkreten Kunst in Deutschland). (Abb. 44, 45) Die Freundschaft mit dem Galeristen bot auch die Gelegenheit, mit Werken großer Künstler wie Max Bill, Bridget Riley, Paul Lohse oder Antonio Calderara in Berührung zu kommen – eine Inspirationsquelle, zugleich aber auch eine Art Spiegel für eigene Werke.
Zum Werdegang des Künstlers gehören natürlich die Ausstellungen, so in Berlin, u.a. in der heute nicht mehr existenten Galerie Avantgarde, zusammen mit dem polnischen Plakatkünstler Jan Lenica, mit dem er befreundet war (Abb. 46). Aber auch in Polen, um nur zwei wichtige Schauen in Krakau (1992, 2001) zu erwähnen, in Stettin (1996, 2004) oder Posen. Dann kamen Japan, USA, Deutschland, Schweden – lang ist die Liste der Ausstellungen. Jede bedeutete eine Herausforderung, fast jede war eine Art Abschluss.
Zu erwähnen sind auch die weiten Auslandsreisen: in die USA und nach Japan. Sie bedeuteten neue Erfahrungen und die Konfrontation mit einem anderen Blick auf seine Reliefs. Höchst interessant war die Begegnung mit dem japanischen Publikum, das die „reinen“ Streifenbilder mit gespannter Aufmerksamkeit wahrnahm. Man muss um die Tradition der japanischen gestreiften Stoffe für Kimonos wissen, um den Grund dieses besonderen Interesses verstehen zu können. „Was die geometrischen Muster angeht, nichts gibt das Beziehungshafte so gut wieder wie die parallelen Linien. Indem sie in Richtung Unendlichkeit ziehen und nie zusammentreffen, bedeuten sie die reinste visuelle Objektivierung des Beziehungshaften. [...] Die vertikalen Streifen haben die Leichtigkeit eines Sprühregens oder der Weidenzweige, die alleine durch die Schwerkraft zur Erde neigen“, schrieb ein japanischer Philosoph[7]. Daher war die Rezeption der Reliefbilder in Osaka etwas Einmaliges und Besonderes.
Positiv für den Künstler verliefen auch seine USA-Reisen. Dort begegnete er vielen interessierten Galeristen und Sammlern, er arbeitete und stellte aus. Nun, abgesehen von den mittlerweile unzähligen Privatsammlungen in der ganzen Welt, gehören seine Bilder zu den Beständen etlicher Museen für Gegenwartskunst: in Miami, aber auch in Radom, Chełm, Stettin sowie in Stuttgart oder Ostrava.
Von den vielen Ausstellungen, die Andrzej Nowacki organisierte oder an denen er beteiligt war, soll eine hervorgehoben werden: Es war die Exposition in Sopot, wo Nowacki Reliefs zusammen mit den abstrakten Bildern von Wojciech Fangor präsentiert wurden. Im Ausstellungskatalog schreibt Marta Smolińska: „Die Arbeiten beider Künstler stellen ‚die Dichte‘ der Bildgrenzen in Frage und treten desto intensiver in den Dialog mit dem umgebenden Raum, […] und in Falle einer so seltenen Begegnung auch mit sich selbst. Das unvermeidliche Resultat jener besonderen, perspektivreichen Wechselwirkung sind Emotionen, die in den Gemütern und der Phantasie der Betrachter hervorrufen werden.”[8] Ähnlich wichtig waren auch andere Ausstellungen, so in Bratislava (2015) oder Stuttgart (2017), wo seine Reliefs neben Bilder von großen Meister hingen, etwa von Max Bill, Bridget Riley, Josef Albers, und sich in dem besonderen Dialog von neuem behaupten mussten.
Seit 1984 arbeitet Andrzej Nowacki vorwiegend in Berlin. Eine vorläufige Änderung stellte sich in den Jahren 2015–2016 ein, als er zusätzlich in ein Atelier in Tschechen einzog. Ostrava ist die Heimatstadt von Jan Svetlik, Industrieller, aber auch Kunstliebhaber und Sammler, der dem Künstler renovierte Räume auf dem Gebiet der ehemaligen Vitkovicer Hütte zur Verfügung stellte. (Abb. 47) Hier experimentierte der Künstler mit der reduzierten Farbigkeit der Reliefs in Schwarz und Weiß, hier begann er auch an großformatigen und mehrteiligen Werken zu arbeiten: an Bildern, in denen sich zwei, drei, vier, sechs oder gar neun Elemente zu einem neuartigen Ganzen zusammensetzen.
Ein Höhepunkt der neuesten Schaffensperiode war die großartige Ausstellung, die „An der Schwelle der Unendlichkeit“ hieß und 2017 in Sopot gezeigt wurde. In der Staatlichen Kunstgalerie präsentierte der Künstler über 30 Reliefs, darunter einige mehrteilige, und einen Zyklus von Pastellen auf Papier. Der Raum füllte sich mit vibrierender, leuchtender Energie, die Kontemplation anregte. „Der Rhythmus der Dichtung, der Rhythmus der Malerei, darin ist die Persönlichkeit des Künstlers präsent, aber nicht indem sie etwas über sich erzählt, sondern indem sie durch die Vibration und das Pulsieren wie das Herzklopfen wirkt“, sprach Hubertus Gaßner. (Abb. 48–52).
2018 bezog Andrzej Nowacki ein neues, großes Atelier in Berlin, in dem er bereits viele neue Reliefs, auch die großdimensionalen schuf. Der Raum und die Zeit scheinen ihn zu fördern. (Abb. 29) Doch die Erkundung des Quadrats ist noch nicht abgeschlossen. Der Künstler sucht ständig nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die der inneren Vorstellung dessen entsprächen, „was gesehen werden kann“ (Riley).
[7] Shūzō Kuki, Struktura iki, übers. von Henryk Lipszyc [aus d. Poln. von d. Autorin], Kraków 2017.
[8] Marta Smolińska, Tętno barwnej wibracji, czyli uwagi o tym, jak prace Fangora i Nowackiego wzajemnie mierzą sobie puls, in: Ausstellungskatalog „Widzieć jasno w zachwyceniu”. Fangor – Nowacki, Staatliche Kunstgalerie Sopot, Sopot 2011.