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Marek Radke

RauBild, 2006, Centrum Rzeźby Polskiej - Galeria Kaplica Orońsko / Polen

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  • 23/04/17 - 23/04/17, 2017, Acryl auf Karton, 30 x 40 cm
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  • 17/09/16 - 17/09/16, 2016, Acryl auf Holz, 18,8 x 29,7 cm
  • 15/09/16 - 15/09/16, 2016, Acryl auf Leinwand, 40 x 60 cm
  • 16/09/16 - 16/09/16, 2016, Acryl auf Leinwand, 40 x 60 cm
  • 11/02/20 - 11/02/20, 2016, Acryl auf Leinwand, 18 x 24 cm
  • 21/09/20 - 21/09/20, 2020, Acryl auf Leinwand, 14,7 x 21,5 cm
  • 23/09/20 - 23/09/20, 2020, Acryl auf Leinwand, 17,7 x 24,5 cm
  • Marek Radke - 60plus - MICA Institute for Contemporary Art, Lansing/Michigan / USA
RauBild, 2006, Centrum Rzeźby Polskiej - Galeria Kaplica Orońsko / Polen
RauBild, 2006, Centrum Rzeźby Polskiej - Galeria Kaplica Orońsko / Polen

Wie aus Bildern Objekte werden und sie doch Bilder bleiben – wie Farbtöne sich zu einer komplexen und vielstimmigen Tonfolge reihen – wie geometrische Elemente selbst die Strenge konstruktiver Berechenbarkeit aufbrechen und in eine spielerische Inszenierung wechselnder Sinnerlebnisse überführen – das sind nur einige der unmittelbaren Seherfahrungen, die Marek Radkes Arbeiten vermitteln können. Sie sind das Resultat von Konsequenz und Kreativität, das in der großen Tradition des Konstruktivismus verankert ist, der mit Strzemiński und Stażewski – um nur diese zu nennen – bedeutende polnische Protagonisten ausweist, aber auch heute, allen zeitgeistigen Unkenrufen zum Trotz, höchst lebendig ist. Radke wiederum gelingt es in seinem Bildschaffen, mit einer individuellen, in Jahren gewachsenen Bildsprache ein eigenständiges Formenarsenal zu artikulieren.

Das gilt es zu beweisen und auch verständlich zu machen. Und darum muss ganz kurz erinnert werde an die malerischen Anfänge Radkes im Polen der frühen 1980er Jahre. Warum? Ob Malewitsch vor seinem schwarzen Quadrat, Mondrian vor der rot-schwarz-gelben linearen Quadratur auf weißem Feld oder Kandinsky vor der ersten abstrakten Komposition nach seinen Figuren aus russischen Märchenwelten – immer führte der Entwicklungsweg aus der Gegenständlichkeit heraus in einen von allen realen Abhängigkeiten entleerten Umgang mit Farbe und Form in der absoluten Freiheit der Fläche und des Raumes. So auch bei Marek Radke.

Man sprach und spricht von der neuen Autonomie der Bildelemente, was ich auch immer getan habe, aber das stimmt natürlich nur begrenzt. Übergeordnet bleibt der Künstlerwille als die entscheidende Institution, die eine neue Bildordnung erfindet und eigene Gesetzmäßigkeiten formuliert. Diese können ihren Ursprung in der Mystik haben, wie bei Malewitsch, in der neoplatonischen Denkweise wie bei Mondrian, oder im Geistigen, wie bei Kandinsky – oder in einer sensiblen, aber konkreten Erzählkunst, aus der Marek Radke einst aufgebrochen ist.

Die freie, informelle Abstraktion ebenso wie der streng gebundene Konstruktivismus entwickeln sich auf unterschiedlichen Böden, erhalten eine je eigene Prägung, sind aber nicht per se als Setzung vorhanden. Dazu kommt der Unterschied in der Entstehung zwischen gewachsener Genese und der praktischen Verfügbarkeit über entwickelte Formen und Methoden etwa im Bereich Design und Kunsthandwerk. Die Erinnerung an die frühen Jahre Radkes soll diese Anmerkung begründen. Die Arbeiten aus jenen Jahren zeigen einen Künstler, der das traditionelle Handwerk erlernt hat und der bereits spielerisch-bewusst – ein gewolltes Paradoxon – von der ersten Bedeutungsebene abstrahierend mit den Inhalten umgeht. Denn diese Bilder sind eine politisch kritische, satirische Abrechnung mit der Zeit und waren – nebenbei bemerkt – durchaus nicht ungefährlich. Vaterlandsverrat hat man ihm vorgeworfen von offiziöser Seite. Stolz war man dann 20 Jahre später, als dieselben Bilder jüngst in Danzig wieder gezeigt wurden.

Überprüft man nun die Forderungen der Komposition nach Gewichtung, nach den Vorgaben des Goldenen Schnitts, nach Verankerung der Elemente in der Fläche, nach der Korrespondenz der Farben untereinander, der warmen, der kalten, der bewussten Dissonanzen oder Harmonien, dann unterscheiden sich die ersten konstruktiven Arbeiten nicht von ihren figürlichen Vorläufern. Allerdings verzichten sie nun auf benennbare Dinglichkeit. Sie bevorzugen ab jetzt einen minimalistischen Formenkanon. Linien, Rechtecke und Kreise stehen im Mittelpunkt. Ohne die Unterstützung von aufgestülpter Bedeutung sind sie allein auf sich gestellt, bilden Fläche und werden Bild, aber nur, weil eine tragfähige Konstruktion zu Grunde liegt.

Es ist dies die erste Zäsur im Schaffen Radkes, die er meistert und zwar glaubwürdig durch eine persönliche Entwicklung, die trotz des erratischen Blocks an herausragender konstruktiver Malerei innerhalb der künstlerischen Moderne des vergangenen Jahrhunderts einen eigenen Ausdruck findet. Ich muss in diesem Zusammenhang immer an das wunderbare Kleebild denken mit dem Titel „Hauptweg und Nebenwege“. Darauf wird die Differenzierung der Nuancen zum Fest vieler Möglichkeiten, zu einer Topographie des Schöpferischen schlechthin, wie sie auch für die Gesamtheit der konstruktiven Kunst gelten kann.

Sehr früh entschließt sich Marek Radke in einem neuen Entwicklungsschub die Umfassungslinien der geometrischen Figuren gleichsam nach außen zu schieben und sie als Grenzen von Flächen einzurichten, die von monochromer Farbe besetzt sind, also zu einem roten Kreis werden, einem orangenen Rechteck, einem blauen Quadrat. Form und Farbe gehen eine Einheit ein und streiten zugleich um die Deutungshoheit im Bild. Diese Spannung um die beiden alleinigen Bildgrößen nutzt Radke zu sehr konkreten Flächenkompositionen, die er als intellektuelle Spielräume für das Auge einrichtet.

Er erfindet eine Vielzahl von raffinierten Spielzügen aus Farbsetzungen und formalen Herausforderungen und fügt in der Folge ein Drittes hinzu. Er macht die Zeichen des Werdens sichtbar, die Spur des Pinsels und der Hände. Er hebt die Strenge der Form durch die Gestik der Struktur auf, bzw. setzt eins gegen das andere und erzielt eine Summe mit wechselnden Vorzeichen. Intellekt begegnet Emotion, Geometrie trifft Rhythmik, Statik und Dynamik sind in fruchtbarer Balance. Das ist auch ein Grund dafür, warum man bei Radkes Arbeiten zwar von minimalistischen Mitteln, aber niemals von Minimal Art sprechen kann, auch wenn seine Raumbilder in seriellen Reihen und mit den sogenannten Modulen in die Nähe von digital generierten Zeichen gerückt werden können. Der homo ludens experimentiert, und die Grenzen von Schein und Sein werden fließend.

Ganz folgerichtig stellt Radke im weiteren Verlauf dann die Fläche als ultimative Bildebene in Frage. Er höhlt sie anfangs aus, kreisförmig oder rechteckig, überhöht mit Farbbändern räumliche Dimensionen und erzielt irritierende Tiefenwirkungen. Er spielt mit dem Trompe-l’oeil-Effekt, der Augentäuschung, und lässt höchst wirkungsvoll Körper auf und in der Fläche die Beziehung von Volumen und Raum definieren. In der Weiterentwicklung emanzipieren sich die konstruktiven Elemente gänzlich zunächst von der Bildfläche, dann von der Wandfläche, um als autonome Farbobjekte wahrgenommen zu werden. Diese Farbkonstrukte, diese im Dinghaften versammelten und verkörperten Farben machen Raum neu erfahrbar, etablieren sich neben dem Betrachter als dreidimensionale Dialogpartner und fordern zu einer Kommunikation unter geänderten Bedingungen heraus. Mehr noch: die Elemente laden zur direkten Beteiligung des Betrachters an der Komposition ein. Damit nicht genug: die nunmehr vier Elementarstufen der Radkeschen Kunst, nämlich Farbe, Form, Objekt und Raum interagieren in den jüngsten Arbeiten mit einer weiteren Komponente, dem Licht. Natürlich macht in jedem Fall erst die Reflektion des Lichts Gegenstände sichtbar. Der Einsatz von Schwarzlicht auf phosphoreszierenden Farben macht zum einen diese Selbstverständlichkeit erneut bewusst, erzeugt zum anderen aus den physikalischen Gesetzen Geheimnis und Staunen. Das Spielerische in der Inszenierung der Farbobjekte wandelt sich in Magie, und abermals bringt die gesteigerte Erfahrung der Lichteffekte auch weitere gestalterische Möglichkeiten mit sich, die Radke mit kreativer Verve nutzt.

Erneut macht er sich Räume zu eigen, wandelt sie durch Lichtfäden und -netze, durch Nutzung von Spiegeltiefen in farbige Wunderkammern. Er suggeriert, dass Farben fliegen können. Diese jüngsten Entwicklungen können oft nur angedeutet werden durch eine Versammlung von Einzelobjekten auf einer Schaufläche oder durch Fotografien von Installationen, weil die räumlichen Voraussetzungen nicht immer gegeben sind.

Sie ordnen sich aber ein in den Schatz der visuellen Erfahrungen, aus dem neue Bildvorstellungen im Künstler reifen. Daraus wachsen aufregende Herausforderungen für den Betrachter und ein Versprechen bestätigt sich, dass nämlich die Kunst, wie Rudolf Arnheim überzeugt war, „eine der Belohnungen ist, die uns zufallen, wenn wir denken, indem wir sehen“. Und um diese Duplizität – denken und sehen – geht es eigentlich immer in der Kunst.

 

Gisela Burkamp, November 2020