Józef Piłsudski in deutschen Gefängnissen
Aleksandra Szczerbińska und seine Tochter Wanda konnte er erst am Nachmittag sehen. Danach überstürzten sich die Ereignisse. Am 11. November übernahm Józef Piłsudski vom Regentschaftsrat das Oberkommando des polnischen Militärs. Am nächsten Tag gab er eine Erklärung darüber ab, dass der Rat ihn gebeten habe, eine nationale Regierung zu bilden.
Van Gülpen blieb zwei Tage in Warschau und wohnte dort in einem Privatquartier. Vor seiner Abreise nach Berlin erhielt er vom Piłsudski ein Foto mit persönlicher Widmung. Auf der Rückreise stand ihm ein eigenes Abteil zur Verfügung, das nur „für die Regierung“ reserviert war. Graf Kessler wurde kurze Zeit später zum deutschen Gesandten in Polen ernannt. Er hielt sich vom 20. November bis zum 15. Dezember 1918 in Warschau auf, wobei unter anderem die Lösung aller Probleme im Zusammenhang mit der Rückführung deutscher Truppen in sein Ressort fiel.
Einige Monate später, im März 1919, gab Józef Piłsudski der französischen Zeitung „Le Petit Parisien“ ein Interview und ließ keinen Zweifel daran, was er über den deutschen Diplomaten Graf Kessler und dessen Anteil an seiner Befreiung aus dem Gefängnis dachte. Für Piłsudski war sie, nicht ohne Grund, einfach eine Facette in einem politischen Spiel:
„Ich kannte ihn persönlich und hatte während des Kriegs als Anführer der Legionen mit ihm zu tun“, sagte Piłsudski. „Er wusste, die Revolution wird mich befreien. Er wollte den Eindruck wecken, mich befreit zu haben, und stellte sich zweifellos auch vor, dass er mir damit in den Augen der Koalition schaden würde, während die beiden Jahre im deutschen Gefängnis in Vergessenheit geraten würden.“
Krzysztof Ruchniewicz, Juni 2018
Die Zitate stammen aus:
P. van Gülpen, Moje Spotkanie z Piłsudskim(Meine Begegnung mit Piłsudski), in: „Niepodległość”, Bd. 14 (Juli–Dezember 1936), S. 441–447;
Interview aus „Le Petit Parisien“ (16.03.1919), in: Józef Piłsudski, Pisma zbiorowe (Gesammelte Schriften), Bd. 5, Warschau 1937, S. 66;
Wacław Lipiński, Uwolnienie Józefa Piłsudskiego z Magdeburga według relacji hr. Harry Kesslera (Die Befreiung Józef Piłsudskis aus Magdeburg nach dem Bericht von Harry Graf Kessler), in: „Niepodległość”, Bd. 18 (November–Dezember 1938), S. 462–469;
M. J. Wielopolska, Więzienne drogi Komendanta. Gdańsk-Szpandawa-Wesel-Magdeburg (Haftwege des Kommandanten. Danzig-Spandau-Wesel-Magdeburg), Krakau 1939;
Aleksandra Piłsudska, Wspomnienia (Erinnerungen), London 1960;
Wacław Jędrzejewicz, Kronika życia Józefa Piłsudskiego 1867–1935(Die Lebenschronik Józef Piłsudskis 1867–1935), Bd. 1: 1867–1920, London 1977.
Ausstellung:
Die Ausstellung im „Ravelin 2“ zeigt die Geschichte der Festung und der Zitadelle Magdeburg. Ausgestellt wird ebenfalls ein Miniatur-Nachbau des Holzhauses, in welchem Piłsudski inhaftiert war.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 5. Juni 2018 in Warschau: