Józef Piłsudski in deutschen Gefängnissen
Die Rückkehr nach Warschau
Piłsudski und Sosnkowski verließen Berlin am Abend des 9. November mit einem kurzen Zug aus nur einem Waggon vom Bahnhof Friedrichstrasse, der sich in der Nähe des Hotels Continental befand, wobei sie nur von Paul van Gülpen begleitet wurden. Manche Quellen geben hier fälschlicherweise an, dass Graf Kessler ebenfalls zugegen gewesen sei. Der aber verabschiedete die Polen im Hotel und blieb noch einige Tage in der deutschen Hauptstadt. Auf der Fahrt entspann sich zwischen Piłsudski und van Gülpen eine Unterredung über das Verhältnis zu Deutschland und die deutsch-polnischen Beziehungen (Piłsudski sprach gut Deutsch, soll aber einen starken polnischen Akzent gehabt haben).
„Die lange Fahrt nach Warschau und die Lage, in der wir uns befanden, gaben mir die Gelegenheit, ein Gespräch über aktuelle Themen zu führen, das offener sein konnte als unter normalen Umständen. In den Gesprächen konnte ich mich davon überzeugen, dass Piłsudski im Grunde genommen uns gegenüber freundschaftlich gesonnen und auch zutiefst davon überzeugt war. Mehrfach sagte er, er habe gerne gemeinsam mit den Deutschen gekämpft, da wir immer treue Nachbarn und Waffenbrüder waren, auf die man sich verlassen konnte. Warum sollten also jetzt zwei neue Nationen nicht mit einer friedfertigen Politik beginnen können? Beide sind abhängig voneinander und können sich mit guten Willen verständigen.“[*]
In Thorn wurden die Reisenden abermals von der deutschen Revolution eingeholt. Der Soldaten- und Arbeiterrat hatte bereits das Kommando über den Bahnhof übernommen. Der Zug wurde angehalten. Die Rollen wechselten. Jetzt musste Piłsudski van Gülpens Schutz übernehmen.
In den Morgenstunden des 10. November fuhr der Zug in den Wiener Bahnhof in Warschau ein. Nur eine kleine Gruppe begrüßte die Ankömmlinge, darunter Fürst Zdzisław Lubomirski und ein Paar Funktionäre der POW. Nach dem Frühstück mussten schnell ein paar Utensilien eingekauft werden, da die beiden Rückkehrer nicht einmal Wechselwäsche besaßen. Nach einer kurzen Verschnaufpause wandte sich Piłsudski an die versammelte Menschenmenge, die schon von seiner Ankunft erfahren hatte. Seine Rede war weder lang noch mitreißend, verschaffte ihm jedoch die Gelegenheit, seinen Landsleuten seinen Kampfeswillen und sein Ethos zu verkünden:
„Bürger! Warschau begrüßt mich zum dritten Mal. Ich glaube daran, dass wir uns viele Male unter glücklicheren Umständen sehen werden. Ich habe immer schon und werde weiterhin meiner Heimat und dem polnischen Volk mit meinem Leben und meinem Blut dienen. Ich grüße euch nur kurz, da ich erkältet bin. Ich habe Hals- und Brustschmerzen.“
[*] Ins Deutsche rückübersetzt, da der Originalwortlaut nicht aufzufinden war.