Jan Bresinski. Neue Wege zur Landschaftsmalerei
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Die Landschaft als Strukturraum
Nach der Jahrtausendwende bewegte sich Bresinski wieder von der abstrakten auf die reale Landschaft zu, ohne diese jedoch im Sinne des Realismus, des Naturalismus oder der Freilichtmalerei ihrem äußeren Eindruck nach getreu abzubilden. Was ihn interessierte, waren vielmehr Strukturen, die den Landschaftsraum als Konglomerat aus natürlichen Formen und Spuren der menschlichen Besiedlung, also als Kulturlandschaft, definieren. Die Stadtlandschaft von Krakau, seinem Studienort, inspirierte den Künstler 2001 zu einem 16-teiligen Tableau (Abb. 21, 22), auf dem ein feines, in Holz geschnittenes und gedrucktes Liniennetz die Stadt aus der Vogelperspektive als Gewirr von mehr oder minder realen Gebäudeaufrissen, Dachformen, Grundstücksgrenzen, Wohnquartieren und Straßenführungen erscheinen lässt. Der Blick über die Altstadt nach Süden auf den Stadtteil Kazimierz und die Weichsel scheinen erkennbar; dennoch ist die Topographie nicht im Detail verifizierbar. Im Vordergrund steht die Stadt als Siedlungsraum, deren Gleichzeitigkeit von Grund- und Aufrissen sowohl an die um 1600 geschaffenen Stadtansichten von Braun und Hogenberg als auch an Luftaufnahmen erinnern, wie sie seit 1860 aus Heißluftballonen, später aus Zeppelinen und Flugzeugen fotografiert wurden, heute von Weltraumsatelliten aus möglich sind und inzwischen von jedermann im Internet auf Google Earth simuliert werden können. Alle diese historischen und aktuellen Aufnahmen erscheinen, genau wie die Arbeit von Bresinski, in der Regel menschenleer und liefern die abgebildeten Siedlungsstrukturen Betrachtern oder wie auch immer gearteten Angreifern schutzlos aus. Das im folgenden Jahr entstandene achtteilige Tableau „Fluss“ (Abb. 23), das vermutlich ebenfalls vom entsprechenden Abschnitt der Weichsel bei Krakau angeregt wurde, belegt durch seinen hohen Abstraktionsgrad, dass es Bresinski nicht um topographische Wirklichkeit, sondern um typologische Strukturen der Landschaftsbesiedlung ging. Siedlungsgrenzen sowie die Verbindungs- und Überlandwege sind zu einem Liniengeflecht, der Fluss selbst zu einer sich über alle Segmente erstreckenden Aussparung abstrahiert. Erst der Betrachter wird den abstrakten Gesamteindruck der Arbeit durch seine Erfahrung mit ähnlichen Strukturen als Luftaufnahme oder Karte einer Landschaft identifizieren.
Verbindungsglied zu den Arbeiten der folgenden Jahre war das drei Meter lange Triptychon „Continuum“ (2001), dessen erste Tafel aus einer Landschaftsfotografie mit Feld, Wald und Mittelgebirge aus Bresinskis Wirkungsgebiet im Rhein-Sieg-Kreis bestand. Die beiden anderen Tafeln – voneinander durch flussähnlich mäandrierende Aussparungen getrennt – zeigten aus der Fotografie gewonnene Abstraktionen aus rötlich-ockerfarbenen Flächen, schwarzen Wegen und Querungen, die die Aufsicht auf die Landschaft suggerierten.[17] Diese Arbeit verifizierte noch einmal Bresinskis eigene Sicht auf den Landschaftsraum, die sich auf die geologischen und soziologischen Strukturen der vom Menschen gestalteten Kulturlandschaft konzentriert und die sich bereits in seinen frühen „Farblandschaften“ abzeichnete. Sie manifestierte aber auch den persönlichen Wechsel des Künstlers vom städtischen Umfeld in Krakau und später in Neuss, Mönchengladbach und Krefeld aufs Land im Rhein-Sieg-Kreis. Die Landschaft sei kein „Thema“ einer künstlerischen Arbeit mehr, urteilte Steffens anlässlich einer Ausstellungseröffnung in der Gemeinschaft Krefelder Künstler, „sie drückt sich vielmehr gleichsam in diesem Künstler aus, der in seinen Bildern das aus sich heraussetzt, was in ihm unter ihrem Eindruck vor sich geht“.[18] „Es gibt nichts Kontinuierlicheres als die Erfahrung von Landschaft“, schrieb er im Ausstellungs-Katalog, „denn sie hat keinen Anfang und kein Ende. Für ihre bildnerische Bezeugung könnte es deshalb nur ein einziges Bild geben, eines, das nicht beginnt und nicht endet. Continuum von Jan Bresinski sind Ausschnitte aus diesem einen Bild, das es geben müsste, das aber unmöglich ist.“[19] Zu erwarten wäre der Beginn einer „endlosen Serie“ von Landschaftsbildern,[20] von abstrakten „Annäherungen also, die nicht enden können, weil ihr Gegenstand unendlich ist.“[21]
Eine solche Serie von Annäherungen an die Landschaft mit im Grunde endlosen Möglichkeiten schuf Bresinski zwischen 2002 und 2004 mit der Serie „Land/Über/Gang“ (Abb. 24-34). Erste Ergebnisse und ihre Herleitung aus früheren Arbeiten waren 2002 in der gleichnamigen Ausstellung in der Halle Alte Rotation des Rheinischen Landesmuseums in Bonn zu sehen, in der auch die Arbeit „Fluss“ (Abb. 23) als Bodeninstallation ausgestellt war.[22] Die grundsätzlich mehrteiligen Arbeiten der Serie „Land/Über/Gang“ bestehen aus kontrastierend gegenübergestellten Tafeln: „Farblandschaften“ auf der einen Seite, wie sie der Künstler in der Arbeit „Continuum“ aus der fotografierten Kulturlandschaft hergeleitet hatte, und netzartigen Siedlungsstrukturen auf graphitfarbenem Untergrund auf der gegenüberliegenden Seite, zu denen wieder flussähnliche Zwischenräume überleiten (Abb. 24-27, 29, 30). Stadt und Land, die Strukturen von Kultur- und Stadtlandschaft, stehen sich als typische, vom Menschen geschaffene Lebensräume in ihrer jeweils eigenen Ästhetik gegenüber. Die Gegensätze in den Materialien, Farben und Strukturen vermitteln für den jeweiligen Landschaftstyp unterschiedliche Spannungen und Stimmungen. „Für seine Künstlernatur“, so bekannte Bresinski anlässlich der Bonner Ausstellung, sei die Abkehr von der Stadt „ein Leben mit Formen und Linien“.[23]
Abweichungen vom Schema, bei denen Siedlungsstrukturen den Flussverlauf überformen und die Landschaft überlagern (Abb. 28), hart ineinandergreifen oder sich bedrängen (Abb. 31), erweiterten die Möglichkeiten der Interpretation. In den 2004 entstandenen Arbeiten (Abb. 32-34) stehen sich beide Bereiche in ihren Einzelerscheinungen korrespondierend oder konkurrierend als Diptychen gegenüber. Gleichwohl bleibt eine abstrakte Gesamtwirkung erhalten: „Der Aufblick auf die Landschaft, wie man sie von Luftaufnahmen oder Satellitenbildern kennt, mag zwar eine Inspiration für den Künstler sein“, schreibt Katharina Chrubasik im Ausstellungs-Katalog, „aber seine Malereiobjekte sind in erster Linie abstrakte Bilder, in denen mit Farben und Strukturen Kontraste und Spannungen erzeugt werden.“[24] Der Künstler arbeitet häufig dialektisch und in Gegensatzpaaren. Der Titel „Land/Über/Gang“ beschreibt einerseits Übergänge in der Landschaft, wie sie zwischen Kultur- und Stadtlandschaft sichtbar werden, andererseits können auch Überland-Gänge, also Wanderungen des Künstlers durch die Landschaft, gemeint sein. Auf diesen Wanderungen würde Bresinski, so Steffens, „aus dem ‚Continuum‘ seiner eigenen Wahrnehmungen Momente, Situationen, Orte“ heraussprengen, „um sie gleichsam als Fallstudien einer ästhetischen Tiefengeologie zu behandeln.“[25]
[17] Continuum 1-3, 65 x 300 cm, 2001; Ausstellungs-Katalog Continuum 2001 (siehe Literatur)
[18] Andreas Steffens: Wird fortgesetzt. Rede zur Eröffnung der Ausstellung Jan Bresinski. Continuum, Kunstspektrum GKK (Gemeinschaft Krefelder Künstler), 9.2.2001, Archiv Bresinski
[19] Continuum, in: Ausstellungs-Katalog Continuum 2001 (siehe Literatur)
[20] Welt der Puzzles. Arbeiten von Jan Bresinski im Kunst-Spektrum, in: Westdeutsche Zeitung vom 22.2.2001, Archiv Bresinski
[21] Continuum, in: Ausstellungs-Katalog Continuum 2001 (siehe Literatur)
[22] Abbildung in dem Artikel von Christina zu Mecklenburg: Auf dem Weg, das Bild zu verlassen. Das Rheinische Landesmuseum präsentiert Jan Bresinskis „Land/Über/Gang“ in der Alten Rotation in Bonn, in: General-Anzeiger Bonn vom 22.5.2002, http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/kultur-und-medien/bonn/Auf-dem-Weg-das-Bild-zu-verlassen-article166570.html
[23] Ebenda
[24] Katharina Chrubasik: Von der Wahrnehmung der Landschaft, in: Ausstellungs-Katalog Land/Über/Gang 2002 (siehe Literatur), Seite 7
[25] Andreas Steffens: Über Land Gänge oder Selbsterfindungen einer Eigen-Natur, Ausstellungs-Katalog Land/Über/Gang 2002 (siehe Literatur), Seite 23