Jan Polack. Meister der Spätgotik
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Jan Polack, dessen Name auch in anderen Varianten und in der lateinischen Form „Polonus“ überliefert ist,[1] wird erstmals 1482 im Steuerbuch der Stadt München als Steuerzahler erwähnt. Die vorangehenden Steuerbücher sind verloren gegangen. Der Maler wohnte zu dieser Zeit in der „inneren Stadt Petri“ und betrieb dort seine Werkstatt. Das erste ihm zugeschriebene Werk, die schlecht erhaltenen Passions-Fresken im Chor von St. Wolfgang in München-Pipping, datiert in das Jahr 1479. Rechnet man von dort über Ausbildungszeit, Jugend und Kindheit zurück, so dürfte er um 1450 geboren sein. Vermutlich heiratete er vor 1484 eine Tochter des Münchner Glasmalers Martin, für den er bis 1515 Entwürfe lieferte. Die Münchner Zunftordnung forderte als Voraussetzung für den Meistertitel und den Erhalt der bürgerlichen Ehrenrechte den Ehestand. 1485 wurde er zum „Vierer“, also zum Führer oder Vorstand der Münchner Malerzunft gewählt und bekleidete diese Position im Abstand von zwei, drei oder fünf Jahren noch vierzehn Mal bis zu seinem Tod im Jahr 1519. Auch dieser Umstand belegt seine bedeutende Position für die Münchner Malerei der Spätgotik in den Jahren um 1500.
Für die Stadt München führte Jan Polack ab 1485 zahlreiche Aufträge wie die Ausmalung der Stadttore durch, darunter das Neuhausertor, das Sendlinger-, das Anger- und das Schiffertor, des Rathauses und von Befestigungstürmen unter anderem mit Kreuzigungsszenen. Er arbeitete an Vergoldungen, gestaltete Festdekorationen und bemalte Wappen, Fahnen und Schilde. Nach den zwischen 1483 und 1489 ausgemalten Altären für das Benediktinerkloster Weihenstephan, und zwar dem Hochaltar (Abb. 2-7 . ) und dem verlorenen Achatiusaltar, beauftragte ihn 1490 der Wittelsbacher Albrecht IV. (1447-1508), Herzog von Bayern-München, mit Hochaltar-Retabeln für die Münchner Stadtpfarrkirche St. Peter (Abb. 9 . ), die Klosterkirche der Franziskaner, St. Antonius (Abb. 20-24 . ), und möglicherweise für die Pfarrkirche St. Arsatius in Ilmmünster (Abb. 26 . ). Albrechts Bruder, Herzog Sigismund (1439-1501), übertrug Polack die Ausgestaltung der Kapelle auf Schloss Blutenburg, für die dessen Werkstatt unter anderem die Gemälde für drei Altar-Retabel anfertigte (Abb. 16-19 . ). Für die Zeit nach 1500 können Polack nur noch wenige Werke zugeschrieben werden. Er konzentrierte sich offenbar auf seine Leitungsfunktion in der Lukas-Malerzunft und den Geschäftsbetrieb seiner Werkstatt. Das Todesjahr belegt ein Rechnungsbuch der Stadtkämmerei, in dem Zahlbeträge an „Jon Poleckenns säligen erben“ verzeichnet sind.[2]
Der Name Jan Polack wurde erstmals 1908 von dem Kunsthistoriker und Theologen Michael Hartig (1878-1960) im Bayerischen Hauptstaatsarchiv im Rechnungsbuch des Klosters Weihenstephan entdeckt. Im Folgejahr veranstaltete das Bayerische Nationalmuseum in München eine Ausstellung über „Altmünchener Tafelgemälde des XV. Jahrhunderts“. Im Katalog versuchte Hans Buchheit eine erste Rekonstruktion des Werks von Polack.[3] Seitdem wurden nahezu sämtliche erhaltenen Gemälde und Fresken aus der Zeit von 1480 bis 1519 dem neu gefundenen Maler zugeschrieben, darunter über zweihundert teils doppelseitig bemalte Tafelgemälde und dreißig Fresken.[4] 1921 promovierte Ernst Buchner (1892-1962) bei dem berühmten Schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin (1864-1945) an der Münchner Universität über Polack, den „Stadtmaler von München“, und legte erstmals einen kompletten Werkkatalog vor. Die Arbeit blieb unveröffentlicht.[5] Jedoch verfasste Buchner 1933, inzwischen Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, einen umfangreichen Artikel über Polack für den aktuellen Band des Thieme-Becker Künstlerlexikons mit dem kompletten Werkkatalog, welcher seitdem über Jahrzehnte – nicht zuletzt durch die Autorität des Autors – unangefochten die wichtigste Literatur über den spätmittelalterlichen Maler blieb.[6]
Buchner sah eine „Stilverwandtschaft“ von Polacks Münchner Arbeiten zu bedeutenden sakralen Werken in Krakau, und zwar zu den „Flügeltafeln des Hochaltars aus der ehem. Dominikanerkirche zu Krakau sowie weiterer Krakauer Altartafeln (Kathedrale, Katharinenkirche)“, und schloss von dort auf eine Herkunft aus Polen: „Kommt aus Krakau.“ Im Namensbestandteil Polack sah der Kunsthistoriker keinen Familiennamen („P.s Familienname ist unbekannt“), sondern eine Abstammungs- oder Herkunftsbezeichnung.[7] Buchner nahm die elf Flügeltafeln der Passion Christi und des Marienlebens aus der Dominikanerkirche, die sich schon damals im Nationalmuseum Krakau/Muzeum Narodowe w Krakowie befanden, in sein Werkverzeichnis auf, setzte jedoch hinzu: „nahe stilistische Beziehung zu Polack, aber kaum eigenhändig“.[8] Alles dies wird heute infrage gestellt: Die Krakauer Tafeln werden von polnischen Wissenschaftlern seit langem einem unbekannten Meister aus der Zeit um 1465 zugeschrieben.[9] Matthias Weniger, Referatsleiter am Bayerischen Nationalmuseum und zuständig für Skulptur und Malerei vor 1550, schreibt 2017 in der Neuausgabe des Allgemeinen Künstlerlexikons, dass eine Herleitung von Polacks Malerei aus der kleinpolnischen Kunst bislang nicht zu belegen sei. Vielmehr stünde der Maler zumindest teilweise in der Tradition früherer Münchner Malerei und verwende Bildformeln der niederländischen Kunst. Ob sein Name eine Herkunftsbezeichnung darstelle oder bereits zum Familiennamen geworden war, sei bislang nicht zu belegen.[10]
[1] Weniger 2017 (siehe Literatur) nennt Pola(e)gk, Polegk(h), Polägk, Pol(l)e(c)k, Pola(c)k sowie Polonus, für den Vornamen Jan, Jhan, Jon, Johannes und Hanns; ähnlich auch Andrea Langer 2001 (siehe Online) und erstmals Buchner 1933 (siehe Literatur)
[2] Zur Biografie vergleiche vor allem Wallner 2005, Seite 5 f.; Peter B. Steiner: Jan Polack – Werk, Werkstatt und Publikum, in: Steiner/Grimm 2004, Seite 16 sowie Weniger 2017 (alle siehe Literatur). Die historischen Quellen und Urkunden publizierte erstmals Otto Hartig: Münchner Künstler und Kunstsachen, I, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, Neue Folge, 3, 1926, Seite 274, 286 ff., 339 ff., 345 ff., 359 ff., auf die sich die neue Literatur (vor allem Wallner 2005) weiterhin bezieht.
[3] Hans Buchheit: Ausstellung Altmünchener Tafelgemälde des XV. Jahrhunderts im Bayerischen Nationalmuseum, München 1909 (38 Seiten). Hans Buchheit (1878-1961) war 1909 Assistent am Bayerischen Nationalmuseum und wurde 1931 dessen Direktor.
[4] Steiner: Jan Polack – Werk 2004 (siehe Anmerkung 2), Seite 16
[5] Ernst Buchner: Jan Polack, der Stadtmaler von München, Band 2: Die Werke Jan Polacks, (München) 1921, 268 Blätter. Offenbar unvollständige Typoskripte befinden sich in der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München und in der Bibliothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte ebenfalls in München.
[6] Buchner 1933 (siehe Literatur)
[7] Ebenda, Seite 200
[8] Ebenda, Seite 201
[9] Adam S. Labuda: Die künstlerischen Beziehungen Polens zum deutschen Reich im späten Mittelalter. Krakau und Süddeutschland, in: Das Reich und Polen. Parallelen, Interaktionen und Formen der Akkulturation im Hohen und Späten Mittelalter, herausgegeben von Alexander Patschovsky, Stuttgart 2003, Seite 5 f.: „Der Maler des Polyptychons in der Dominikanerkirche ist Teil der überregionalen, nahezu sämtliche Gebiete des nordalpinen Europas übergreifenden Kunsttendenz, die in den Niederlanden wurzelt.“ Vergleiche auch Jerzy Gadomski: Gotyckie malarstwo tablicowe Małopolski 1460-1500, Warschau 1988, Seite 124-130
[10] Weniger 2017 (siehe Literatur), Seite 229. Ein neues Werkverzeichnis zu Jan Polack ist, so Weniger, in Vorbereitung.
Sabine Rosthal, die 2001 ihre Dissertation über Jan Polack an der Freien Universität Berlin veröffentlichte, zog in Betracht, dass Polack aus München oder der näheren Umgebung gestammt haben könne und sah zudem ikonographische Verbindungen seiner Bildszenen zur französischen und zur oberrheinischen Malerei.[11] Sie wies darauf hin, dass der Nachname nach den von dem Bibliothekar Otto Hartig (1876-1945) publizierten Quellen bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts bei einem aus dem niederbayerischen Ort Kötzting stammenden Hanns Polack, einem Heereslieferanten Albrechts IV., vorkomme,[12] wobei natürlich auch dies eine Herkunftsbezeichnung gewesen sein könnte. Die Bezeichnung „Polonus“ in den lateinischen Quellen,[13] so sei zu ergänzen, hilft ebenfalls nicht weiter; denn sie könnte sowohl „der Pole“ bedeuten – ähnlich wie der Danziger Kupferstecher Jeremias Falck (um 1620-1664) rund einhundertfünfzig Jahre später mit dem Zusatz „Polonus“ signierte[14] – als auch eine sinngemäße Übertragung des Nachnamens Polack ins Lateinische darstellen. Gegen die häufig geäußerte These, Polack sei im Gefolge der polnischen Prinzessin Jadwiga Jagiellonka (1457-1502) anlässlich ihrer Hochzeit im Jahre 1475 mit Herzog Georg dem Reichen von Bayern-Landshut (1455-1503) nach Bayern gekommen,[15] spreche, so Hanna Bösl, dass die Münchner Linie der Wittelsbacher mit der Landshuter rivalisierte.[16]
Die malerischen Werke von Polack und seiner Werkstatt sind nicht nur im Münchner Raum, sondern über ganz Bayern bis nach Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum), Amberg in der Oberpfalz (Basilika St. Martin) und zur österreichischen Grenze hin (Burghausen, Schliersee) verstreut. Ihre von Beginn an systematische Katalogisierung und Erforschung hat charakteristische Merkmale in der Gestaltung der Figuren, der Bildhintergründe, der Komposition und der Farbigkeit, also stilistische Kongruenzen, herausgearbeitet, die sie von anderer spätgotischer Malerei unterscheiden und einen Werkzusammenhang begründen. Ernst Buchner entdeckte eine dekorative, schlagkräftige Komposition und Farbverteilung. In einer oft summarischen und „strähnigen“ Malweise sah er Auswirkungen von Polacks Tätigkeit als Freskomaler. In den 1490er-Jahren entwickle Polack jedoch einen „reicheren und volleren Stil“. „Dramatische Zuspitzung der Aktion“ und „jähe, unruhig gespreizte Bewegtheit“ seien zu beobachten. Die „überscharfe, ungebärdige, gern grimassierende Charakterisierung“ sei auf einen wesentlichen Einfluss der fränkischen Kunst, insbesondere des Bildhauers Veit Stoß (1447-1533), zurückzuführen. Polacks „schlagende Bildwirkung und ungestüme Ausdrucksdrastik“ sei zwar der vorausgehenden Münchner Malerei unter anderem von Gabriel Mälesskircher (um 1425/30-um 1495) verwandt, stelle aber doch den „krönenden Abschluss der spätgotischen Malerei Altbayerns“ dar.[17]
Matthias Weniger vermerkt die Beschränkung auf wenige Farben, unter denen Rot- und Weißtöne, aber auch ein leuchtendes Gelb dominieren. Allgemein beobachte man, dass „die Dramatik der Schilderung und die schnelle Lesbarkeit der Szenen dem Künstler offensichtlich weit wichtiger waren als malerisches Raffinement oder die korrekte Zeichnung von Figuren und Räumen“. Bei den Gesichtern stehe „das emotionale Moment im Zentrum, die Gegner Christi und der Heiligen werden fratzenhaft überzeichnet“. Die Gestaltung einzelner Details wie der Bärte und der zotteligen Frisuren, aber auch das Pathos und die Erzählfreude unterscheide die Werkgruppe von anderen zeitgenössischen Darstellungen. Für gängige Szenen aus der Passion Christi verwende der Maler immer wieder ähnliche Kompositions- und Figurenmodelle, während er für selten dargestellte Themen „oft sehr kraftvolle und originelle Bildformeln“ finde. Von den 1480er-Jahren bis um 1500 würden die Figuren „immer raumgreifender und schwerer“. Gleichzeitig gehe die Tendenz „zu eckigeren Formen, auch zu härteren Brüchen in den nun zugleich plastischer durchmodellierten Draperien. […] Die heftigen Bewegungen fallen häufig ungelenk aus, Räume werden auf Kulissen reduziert.“ Ungeachtet dessen sei „viel Sorgfalt auf die höchst detailreiche Ausgestaltung der Landschaften und Stadtveduten im Fond der Darstellung gelegt“.[18]
Naturwissenschaftliche Untersuchungen und bildgebende Verfahren haben weitere Erkenntnisse zu den Herstellungsprozessen in der Werkstatt von Jan Polack geliefert. Anfang der 1980er-Jahre wurden im Vorwege zu einer Ausstellung über die Geschichte der Blutenburg Infrarotreflektografien von den Unterzeichnungen der Blutenburger Altartafeln, also von den mit Holzkohle aufgetragenen Vorzeichnungen unter den Farbschichten, angefertigt. Zusammen mit Detailfotografien der farbigen Oberflächen legten sie deutliche Unterschiede in der künstlerischen Ausführung der Figuren offen.[19] In den Jahren 2002 und 2003 wurden mit Unterstützung der Fachhochschule Köln, des Hauses der Bayerischen Geschichte in Augsburg und des Lehrbereichs Gemälderestaurierung der Hochschule für bildende Künste Dresden digitale infrarotreflektografische Untersuchungen jener Gemälde durchgeführt, die sich im Diözesanmuseum Freising, im Bayerischen Nationalmuseum, in der Pfarrkirche St. Peter, in der Münchner Domkirche und in der Kapelle von Schloss Blutenburg befinden. In einer Ausstellung wurden die Infrarotfotografien den originalen Gemälden gegenübergestellt.[20]
[11] Rosthal 2001 (siehe Literatur), Seite 178
[12] Hartig 1926 (siehe Anmerkung 2), Seite 287
[13] Ebenda, Seite 332, Nr. 298
[14] Vergleiche Axel Feuß: Jeremias Falck, auf diesem Portal: https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/jeremias-falck, Seite 1
[15] Wallner 2005 (siehe Literatur), Seite 4 f.
[16] Hanna Bösl: Jan Polack (= Kleine Pannonia-Reihe 135), Freilassing 1988
[17] Buchner 1933 (siehe Literatur), Seite 200
[18] Weniger 2017 (siehe Literatur), Seite 229
[19] Hierzu ausführlich Grimm 1983 (siehe Literatur)
[20] Peter B. Steiner: Vorwort, in: Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Seite 6
In allen Untersuchungsreihen konnten bei den Unterzeichnungen mindestens fünf verschiedene Hände, also unterschiedliche Handschriften in der Art der Zeichnung, festgestellt werden. Die Malschichten, so Peter B. Steiner, von 1979 bis 2007 Direktor des Diözesanmuseums Freising, scheinen jedoch einheitlicher zu sein.[21] In den Malerwerkstätten des späten Mittelalters kannte man noch nicht die alleinige Urheberschaft eines einzelnen Meisters. Die Festtagsseite der mehrfach aufklappbaren, also verwandelbaren Altäre erfuhr die größte Aufmerksamkeit der Werkstatt. Dort kam der Meister zum Zuge, während an den Alltagsseiten die Gesellen arbeiteten. Einen besonderen Typus der Unterzeichnung, also vermutlich die Hand Jan Polacks, finde man daher, so Ingo Sandner, seinerzeit Professor für Gemälderestaurierung an der Dresdner Kunsthochschule, auf den äußeren Flügeln des Weihenstephaner Altars (Abb. 2-6 . ), auf den Flügeln des Hochaltars in der Blutenburg (Abb. 17 . ) und auf den Flügelgemälden des Altars der Münchner Franziskanerkirche St. Antonius (Abb. 23, 24 . , . ). Sie ist beim Blutenburger Retabel aber auch auf den zugeklappten Werktagsseiten der Flügel zu erkennen, vermutlich weil dort der Stifter, Herzog Sigismund, dargestellt ist.[22]
Schon der Kunsthistoriker Claus Grimm, von 1983 bis 2007 Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, bemerkte 1983 in der Unterzeichnung der geschlossenen Flügel in Blutenburg außergewöhnlich feine und anatomisch angepasste Schraffuren in den Gesichtskonturen der Heiligen, bei der Körpermodellierung sowie kräftige Schraffuren bei den Gewandfalten, die auf den Meister selbst schließen lassen. Das Bildnis des Stifters, der vor dem heiligen Bartholomäus kniet und zum heiligen Sigismund betet, schildere die Physiognomie des Herzogs so fein und detailreich, dass die Unterzeichnung des Gemäldes frei nach einem vorherigen Entwurf auf Papier ausgeführt worden sein könne. Vergleiche man die Unterzeichnung mit den wenigen erkennbaren groben Unterzeichnungsstrichen auf der gleichzeitigen, sehr viel kleineren Porträttafel Herzog Sigismunds in der Alten Pinakothek (Abb. 1 . ), so dürfe diese kaum mehr Jan Polack als unmittelbarem Autor zuzuschreiben sein.[23]
Meister Polack, schreibt Sandner, war bei allen Aufträgen „die bestimmende Kraft. Er überließ aber auch Teilleistungen ganz den Mitarbeitern. Das betrifft den Entwurf der Komposition, die Unterzeichnung und die Malerei. Beginnt man beim frühesten Jan Polack zugeordneten Werk, dem Weihenstephaner Altar, so dürften zumindest die äußeren Flügel vom Entwurf bis zur Umsetzung hauptsächlich vom Meister selbst ausgeführt worden sein [Abb. 2-6 . ]. […] Die Tafeln des erhaltenen mittleren Flügels [Abb. 7 . ] lassen bereits in der Unterzeichnung eine zweite Hand erkennen. Dieser noch weitestgehend durch den Inhaber bestimmte Werkstattbetrieb muss spätestens mit der gleichzeitigen Bewältigung von mehreren Großaufträgen um 1490 Auflockerung erfahren haben. Neben Polack waren mindestens vier weitere Kräfte maßgeblich an der Realisierung der Aufträge beteiligt. Das waren nicht nur ein vielleicht aus der Werkstatt hervorgegangener Mitarbeiter, der relativ viele Arbeitsgewohnheiten vom Figurentypus bis zum Unterzeichnungstypus von Polack übernahm, sondern auch Partner, die andere Schulung zeigen oder zumindest wesentliche Anregungen in anderen Werkstätten aufgenommen haben müssen.“ Man dürfe sich jedoch, so Sandner, keinen manufakturartigen Betrieb wie bei Lucas Cranach dem Älteren (1472-1553) vorstellen: „Polack erledigte die Fülle an Aufträgen rationell mit den verfügbaren Kräften, die in ihrem Anteil zwar eingeschränkt, aber immer noch erfassbar sind.“[24]
Die Aufträge für die Altäre der Klosterkirche Weihenstephan vergab Abt Leonard II. Nagel (Abt 1481-1484) in den Jahren 1482/83 an Jan Polack. Gefertigt wurden sie in Polacks Münchner Werkstatt. Schon 1484 erhielt der Meister Zahlungen, die zunächst den heute verlorenen Achatius-Altar, später auch den Hochaltar betrafen. 1489 wurden die letzten Rechnungen beglichen, die auch den Transport nach Weihenstephan einschlossen. Der Hochaltar war ein zweifach zu öffnender Wandelaltar mit einer Höhe von drei und – in geöffnetem Zustand – einer Breite von fünf Metern. Öffnete man nach der ersten Wandlung, also dem Aufklappen der Flügel, auch die beiden inneren Klapptafeln, so wurde im Schrein eine geschnitzte Figur der Muttergottes mit dem Kind, flankiert von Heiligenfiguren, sichtbar. Auf den jetzt geöffneten Innenflügeln befanden sich offenbar rechts und links der geschnitzten Figuren Relieftafeln, die heute verloren sind. Das Retabel wurde 1690 durch einen barocken Altar aus Stuckmarmor ersetzt. Dabei blieben die gemalten Tafeln und die geschnitzten Figuren in der Abtei. Bei der Säkularisation des Klosters im Jahre 1803 wurden diese Werke versteigert. Die Bildtafeln gelangten einzeln als „Säkularisationsgut“ in die späteren Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Drei Tafeln gingen verloren. Unsere heutige Vorstellung von dem Altar folgt daher einer Rekonstruktion.[25]
[21] Steiner: Jan Polack – Werk 2004 (siehe Anmerkung 2), Seite 25
[22] Ingo Sandner: Unterzeichnungstypen auf Bildtafeln der Werkstatt Jan Polacks, in: Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Seite 83 f.
[23] Grimm 1983 (siehe Literatur), Seite 193-196
[24] Sandner: Unterzeichnungstypen 2004 (siehe Anmerkung 22), Seite 93 f.
[25] Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Katalog Nr. I, Seite 125-147
Die Werktagsseite zeigte vermutlich auf den geschlossenen Flügeln in vier Szenen die Passion Christi: Christus am Ölberg (Abb. 2 . ), rechts daneben die Nagelung ans Kreuz (Abb. 4 . ), links unten die Kreuztragung und rechts daneben wahrscheinlich eine verloren gegangene Kreuzigung. Nach Öffnung der Flügel waren an Sonn- und Feiertagen auf acht Tafeln in vier vertikalen Reihen Szenen aus dem Leben jener Heiligen zu sehen, die für das Kloster wichtig waren. Auf der linken Seite war der Tod des heiligen Korbinian, nach der Überlieferung erster Bischof von Freising, dargestellt. Der Hintergrund zeigt Ansichten von Freising und Weihenstephan (Abb. 3 . ). Darunter war die Legende vom Bärenwunder montiert, nach der der Heilige einem Bären, der zuvor sein Lasttier gerissen hatte, das Gepäck aufbürdete und mit ihm nach Rom pilgerte (Abb. 6 . ). Die jeweils rechts daneben angebrachten Tafeln sind verschollen. Auf der rechten Altarhälfte waren übereinander zwei Szenen aus dem Leben des heiligen Stephanus angebracht: oben die selten dargestellte Disputation, also die Verteidigungsrede während der Gerichtsverhandlung vor dem Hohen Rat (Abb. 7 . ), darunter die Steinigung des Heiligen. Rechts außen war der heilige Benedikt als Vater des Mönchstums und Lehrmeister der Kirche (Abb. 5 . ) zu sehen, während das untere Bild wiederum verschollen ist. Horizontal bildeten in der oberen Reihe Architekturen (Abb. 3, 5, 7 . , . , . ), in der unteren landschaftliche Hintergründe (Abb. 6 . ) verbindende Elemente.
Aus der derselben Zeit stammt das Porträt eines Benediktiner-Abts, das sich heute im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid befindet (Abb. 8 . ). Der Porträtierte trägt Attribute des Ordensgründers Benedikt von Nursia, nämlich ein Buch mit den Ordensregeln sowie einen Kelch, der nach der Legende Gift enthielt um Benedikt zu töten, welches jedoch in Gestalt einer Schlange entwich, als er das Kreuz darüber schlug. Aufgrund der individuellen Gesichtszüge wird angenommen, dass es sich bei dem Dargestellten um ein Porträt des regierenden Abts aus dem Jahr 1484 handelt, das am oberen Bildrand vermerkt ist. Dafür kämen Leonard II. oder Christoph I. Schleicher (Abt 1484-1494) in Betracht.[26]
Kaum hatte Polack die Arbeiten am Weihenstephaner Altar abgeschlossen, folgten 1489 vermutlich Seitenaltäre für die seinerzeit neu erbaute Heilig-Geist-Kirche in Pullach im Isartal. Die Altäre waren wahrscheinlich den Nebenpatronen der Kirche, Stephanus und Veit, geweiht. Heute sind davon nur zwei Flügel erhalten, die in Simultandarstellungen Szenen aus dem Martyrium der jeweiligen Heiligen zeigen und als Einzelgemälde in der dortigen Alten Heilig-Geist-Kirche aufgehängt sind. Außerdem war Polack mit der Innen- und Außenbemalung des Neuhauser Tors in München beschäftigt.[27] Dieses westliche Stadttor der Altstadt, das seit 1791 Karlstor genannt wird, ist nach Umbauten im 19. Jahrhundert und Kriegszerstörungen heute nur als Rekonstruktion erhalten.
1490 arbeitete Polack, so berichten Urkunden, an der Innen- und Außenbemalung des am südlichen Stadtausgang gelegenen Sendlinger Tors, das im 19. Jahrhundert mehrfach umgebaut wurde, sowie an der Außenbemalung des schon 1807 abgebrochenen Angertors. Vor allem aber war er mit einem neuen Hochaltar für die Münchner Stadtkirche St. Peter befasst. Es fehlen zwar sämtliche Nachrichten über den Auftraggeber des Altars und die Umstände seiner Entstehung, und auch die Datierung der fast vollständig erhaltenen Bildtafeln schwankt bei verschiedenen Autoren zwischen 1490 und 1502. Jedoch ist überliefert, dass eine im 19. Jahrhundert im Kunsthandel befindliche und heute verschollene Tafel das Datum 1490 getragen haben soll. Steiner geht davon aus, dass der neue Altar für die Peterskirche einer stillschweigenden, wenn nicht sogar offen ausgetragenen Konkurrenz zur Frauenkirche entsprang, in der seit 1437 ein Hochaltar des Münchner Malers Gabriel Angler (um 1404-um 1483) mit dramatischen Szenen von den Leiden Christi erzählte. Nachdem Herzog Albrecht 1478 vom Bischof von Freising das Patronatsrecht, also die Schirmherrschaft über die Peterskirche, übernommen und 1485/87 seinen angeblichen Halbbruder und späteren oberbayerischen Kanzler Johann Neuhauser (†1516)[28] als Stadtpfarrer eingesetzt hatte, sollte St. Peter nun den Dom mit einem neuen Hochaltar an Bedeutung übertreffen.[29]
An dem in der Werkstatt Jan Polacks ausgemalten Altar waren nach Untersuchungen der Unterzeichnungstypen im Wesentlichen seine Mitarbeiter tätig – vielleicht nach vorher vom Meister angefertigten Kartons, also mehr oder minder sorgfältigen Entwurfszeichnungen auf festem Papier. Davon sind elf Bildtafeln erhalten. Nachdem das Retabel zugunsten eines 1643 geweihten Barockaltars abgebaut und auseinandergenommen worden war, wurden sie bis ins 19. Jahrhundert in der Kirche aufbewahrt. Sie zeigen Stationen aus der Passion Christi sowie aus der Paulus- und der Petruslegende und verblieben, nach Zwischenstation im Bayerischen Nationalmuseum, im Eigentum der Katholischen Pfarrkirchenstiftung St. Peter.[30]
[26] Maria del Mar Borobia auf museothyssen.org, https://www.museothyssen.org/en/collection/artists/polack-jan/portrait-benedictine-abbot
[27] Chris Loos: Jan Polack – Leben und Werk, in: Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Seite 12
[28] Helmuth Stahleder: Neuhauser, Johann, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), Seite 127 f., Online-Version: https://www.deutsche-biographie.de/sfz71422.html
[29] Steiner: Jan Polack – Werk 2004 (siehe Anmerkung 2), Seite 19; Wallner 2005 (siehe Literatur), Seite 18 f.
[30] Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Katalog Nr. IV, Seite 189-225
Der Aufbau und das Bildprogramm können nur annäherungsweise rekonstruiert werden. Der Aufbau ähnelte dem des Weihenstephaner Altars, nur dass auf der Werktagsseite jeweils drei Bildtafeln übereinander auf den geschlossenen Flügeln angeordnet waren, die vermutlich Passionsszenen zeigten: das Gebet am Ölberg, eine (verschollene) Gefangennahme Christi, Christus vor Pilatus, die Geißelung, die Kreuzigung sowie die Grablege Christi. Öffnete man die Flügel zur Festtagsseite, so wurden folglich zwölf Bildtafeln in vier senkrechten beziehungsweise waagerechten Reihen sichtbar, deren Anordnung umstritten ist. Dargestellt sind unter anderem der Gang Petri über das Wasser, Petrus, wie er Kranke und Besessene heilt (Abb. 9 . ), Petrus im Gefängnis und die Kreuzigung Petri, aus der Pauluslegende die Bekehrung, die Predigt in Damaskus sowie die Geißelung und die Enthauptung des Heiligen.
Die zentralperspektivisch angelegten Architekturen in diesen Tafeln, unter anderem in der Krankenheilung, sind mit einem Meister in Verbindung zu bringen, der offenbar zeitweise in München ansässig war, da er dort 1490 Steuern zahlte, und gelegentlich für Polack arbeitete: der Kupferstecher und Maler Hans Mair von Landshut. Außerdem zeigen die auch auf anderen Gemälden der Polack-Werkstatt festzustellenden gleichmäßigen und mechanisch anmutenden Schraffuren in den Unterzeichnungen unübersehbare Parallelen zu dessen Kupferstichen und Gemälden.[31] Nach Öffnung der inneren Flügel an hohen Festtagen wurde wiederum ein Schrein mit einem Skulpturenprogramm sichtbar, von dem nur ein thronender Petrus erhalten ist. Dieser wird dem Bildhauer Erasmus Grasser (um 1450-1518) zugeschrieben, der für dieselben Auftraggeber wie Polack und gemeinsam mit ihm in St. Peter, in Pipping, im Münchner Rathaus, in Schliersee und Ilmmünster arbeitete.[32]
In die Zeit um 1490 datiert ein Gemälde von der Kreuzauffindung durch die heilige Helena, das sich in St. Martin in Amberg befindet (Abb. 10 . ). Es ist in einen Seitenaltar der Basilika eingefügt, nachdem es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von dem damaligen Dekan aus dem Kunsthandel erworben wurde. Zu sehen ist Helena (248/50-330), die Mutter des römischen Kaisers Konstantin (270/88-337), in einem prächtigen und detailgetreu geschilderten Goldbrokatmantel, wie sie der Legende nach um das Jahr 326 in Jerusalem Grabungen unter einem Venus-Tempel vornehmen ließ, wo man daraufhin Teile vom Kreuz Christi und dessen Grab freilegte.
Zwei Altarflügel mit Darstellungen zum Kindermord von Bethlehem (Abb. 11, 12 . , . ), die sich im Diözesanmuseum Freising befinden, stammen vermutlich aus derselben Zeit. In der Münchner Frauenkirche war den unschuldig ermordeten Kindern, denen die katholische Kirche am 28. Dezember einen eigenen Gedenktag widmet, ein Altar geweiht, zu dem die beiden Flügel möglicherweise gehörten. Auf der zugeklappten Alltagsseite war rechts oben König Herodes in prächtigem Gewand zu sehen (Abb. 12 . ), welcher nach dem Text des Neuen Testaments (Matthäus 2, 16-18) „alle Knäblein zu Bethlehem“ unter zwei Jahren töten ließ, damit der angekündigte „König der Juden“ nicht überleben möge. Ihm gegenüber beklagen zwei Frauen den Tod ihrer Kinder (Abb. 11 . ). Jeweils darunter werden in drastischen Szenen, wie sie in der kirchlichen Malerei der Zeit üblich waren, die mordenden Soldaten geschildert. Auffällig ist die aufeinander bezogene Komposition der vier Tafeln mit abwechselnd blauen und goldenen Hintergründen, alternierenden Komplementärfarben und den einheitlich gefliesten Fußböden auf den unteren Bildern. Auf der Rückseite zeigen die an Festtagen aufgeklappten Flügel jeweils zwei thronende Kirchenlehrer in abwechselnd rotem und grünem Ornat vor geprägtem Goldgrund, von denen sich anhand der Attribute der heilige Papst Clemens mit dem Anker und der heilige Bischof Ambrosius mit der Geißel identifizieren lassen. Die freie Art der Unterzeichnung ohne eine vorherige Skizzierung mit Holzkohle und die großzügige Art der Pinselführung lassen Jan Polack als ausführenden Meister vermuten.[33]
Zwei drastische Szenen aus der Passion Christi, eine Geißelung (Abb. 13 . ) und eine Kreuztragung (Abb. 14 . ), werden im Münchner Stadtmuseum aufbewahrt und wurden sowohl von Buchner (1933) als auch von Weniger (2017) Jan Polack und seiner Werkstatt zugeschrieben. Sie lassen sich vom Thema und von der Größe her mit einer Tafel in Zusammenhang bringen, die sich als Leihgabe des Nationalmuseums Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie im Bezirksmuseum Toruń/Muzeum Okręgowe w Toruniu befindet.[34] Sie zeigt Jesus beim Gebet im Garten Gethsemane, während im Hintergrund die Soldaten des Hohepriesters auf den Ölberg stürmen um Jesus zu verhaften (Abb. 15). Die Tafel gelangte 1927 bei einer Versteigerung aus dem Besitz von Hugo Benario (†1937), einem Berliner Unternehmer, Textilkaufmann und bedeutenden Kunstsammler,[35] in das Schlesische Museum der Bildenden Künste in Breslau, wurde 1942 mit den Breslauer Beständen im niederschlesischen Ort Kamenz/Kamieniec Ząbkowicki eingelagert und kam 1946 nach Warschau.
[31] Sandner: Unterzeichnungstypen 2004 (siehe Anmerkung 22), Seite 86, 92. Vergleiche auch Ulrich Christoffel: Mair von Landshut, in: Pantheon 22, 1938, Seite 303-310 sowie Marianne Gammel: Studien zu Mair von Landshut, Dissertation Technische Universität Berlin, Berlin 2011, Seite 297-309 (Mair von Landshut in der Werkstatt von Jan Polack)
[32] Matthias Weniger: Polack, Grasser, Blutenburger Meister: Die Polack-Werkstatt im Kontext einer Hochkonjunktur Münchner Kunst, in: Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Seite 27; Wallner 2005 (siehe Literatur), Seite 19
[33] Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Katalog Nr. V, Seite 227-232
[34] Inv.-Nr. Śr.431 (186709); MTAd/1843/M/SN, dort datiert in die 1510er-Jahre. Vergleiche Bożena Steinborn/Antoni Ziemba: Malarstwo niemieckie do 1600 roku. Katalog zbiorów / Deutsche Malerei bis 1600. Bestandskatalog, Muzeum Narodowe w Warszawie, Warschau 2000, Seite 244-247, Kat. Nr. 56
[35] Sammlung Hugo Benario/Berlin. Mittelalterliche Plastik / Gemälde …, Versteigerung: Dienstag, den 5. April 1927 …, Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus, Katalog 1976, Berlin 1927, auf: Heidelberger historische Bestände – digital, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lepke1927_04_05/0007, Seite 30, Süddeutsche Schule um 1500, Nr. 124: Christus am Ölberg. Im Hintergrunde Judas, der den Soldaten den Weg zeigt, Tafel 48. In derselben Versteigerung befanden sich auch zwei Tafeln mit ähnlichen Maßen und Titeln, die den Werken im Münchner Stadtmuseum entsprechen: Seite 30, Süddeutsche Schule um 1520, Nr. 112: Geißelung Christi, Nr. 113: Kreuztragung Christi. Online: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lepke1927_04_05/0034/scroll
Der einzige Ort, an dem Werke von Jan Polack unverändert und in der ursprünglichen Situation erhalten sind, ist die Kapelle von Schloss Blutenburg im idyllisch gelegenen Stadtteil Obermenzing im Westen von München. Nachdem sich Herzog Sigismund im Jahre 1467 auf der Burg niederließ um dort seinen Lebensabend zu verbringen, ließ er ab 1488 eine neue Schlosskapelle zur Heiligen Dreifaltigkeit errichten. Die Bauhütte der Münchner Frauenkirche fügte die Kapelle der Schlossanlage wahrscheinlich nach Plänen von Jörg von Halspach (†1488) hinzu.[36] Wohl 1497 mit dem Einsetzen der Fenster abgeschlossen, blieb der Bau mit seiner Innengestaltung seitdem ohne wesentliche Veränderungen erhalten. Für die Ausstattung der Kapelle mit einem Haupt- und zwei Seitenaltären (Abb. 16 . ) beauftragte Sigismund spätestens 1491 die beste Münchner Werkstatt, die von Jan Polack. In dieses Jahr ist der südliche, also der vom Betrachter aus rechte Seitenaltar (Abb. 19 . ), datiert.
Die Altäre interpretieren entsprechend der Widmung der Kapelle „das Mysterium der Heiligsten Dreifaltigkeit in den Geheimnissen von Menschwerdung, Erlösung und Ewigkeit“ (Chris Loos).[37] Der Hauptaltar (Abb. 17 . ) zeigt in der Mitteltafel eine traditionelle Darstellung des „Gnadenstuhls“, einen greisenhaften, auf seinem Thron sitzenden Gottvater, der den Leichnam Christi hält und auf seiner Schulter eine Taube trägt: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Vorbild war möglicherweise eine im späten Mittelalter häufig wiederholte Komposition einer um 1428 entstandenen Grisaillemalerei des Meisters von Flémalle.[38] Auf den Seitenflügeln sind (links) eine Taufe Christi und (rechts) eine Marienkrönung zu sehen. In geschlossenem Zustand zeigen die Flügel (links) über einem prächtig gestalteten Wappen der Herzöge von Bayern den heiligen Burgunderkönig Sigismund (†523/24), dessen Gebeine im 14. Jahrhundert nach Freising kamen, und (rechts), wie bereits erwähnt, den knienden Stifter der Kapelle, Herzog Sigismund, vor dem heiligen Apostel Bartholomäus. Auf der Predella sind Brustbilder der vier Evangelisten dargestellt.
Nach Untersuchung der Unterzeichnungen werden der Gnadenstuhl, die Taufe Christi sowie die Alltagsseiten der Flügel mit dem Stifter und den Schutzheiligen dem Meister Jan Polack zugeschrieben, während an den Seitenaltären offenbar zwei Gesellen arbeiteten. Der nördliche (linke) Seitenaltar (Abb. 18 . ) zeigt Christus als Weltenherrscher im Gefolge der Heiligen und auf der Predella die Vierzehn Nothelfer, in deren Mitte der von der Herzogsfamilie besonders verehrte heilige Wolfgang von Regensburg mit Bischofsstab und Kirche als seinen Attributen steht. Auf dem südlichen (rechten) Seitenaltar (Abb. 19 . ) sind die Verkündigung an Maria, auf der Predella die Heilige Sippe, also die Verwandten Jesu, dargestellt. Die Predellen aller drei Altäre wurden zuletzt Hans Mair von Landshut zugeschrieben,[39] der zeitweise in Freising tätig war.
Noch zur Entstehungszeit der Blutenburger Altäre erhielt Polack von Herzog Albrecht den Auftrag für einen neuen Hochaltar der Münchner Franziskanerkirche St. Antonius (Abb. 20-24 . ). Das Jahr der Vollendung, 1492, findet sich auf der Altartafel mit der Geißelung Christi, auf der auch der kniende Stifter mit dem Wappen der bayerischen Herzöge dargestellt ist. Ihm gegenüber kniet unterhalb einer Kreuztragung die Ehefrau des Herzogs, Kunigunde von Österreich (1465-1520). Dieselbe Jahreszahl ist auch auf der steinernen Brüstung im Ecce-Homo-Bild (Abb. 22 . ) vermerkt. Die Franziskaner waren, so Weniger,[40] den Wittelsbachern eng verbunden. Ihr Kloster stand in unmittelbarer Nachbarschaft zur Münchner Residenz, wurde aber im Zuge der Säkularisation 1802/03 mitsamt der Kirche abgerissen, um Platz für das Nationaltheater am späteren Max-Joseph-Platz zu schaffen. Zwei der beidseitig bemalten Altarflügel wurden während eines barocken Umbaus des Altars halbrund beschnitten und am unteren Rand gekürzt (Abb. 21-24 . ). Beschreibungen des Altars aus dem 18. Jahrhundert, um 1740 von dem Franziskanerpater Narziß Vogl und 1782 von dem Theologen und Historiker Lorenz von Westenrieder (1748-1829), ermöglichen heute eine „recht verlässliche Rekonstruktion“ (Weniger).[41] Beim Abriss der Kirche ersteigerte ein Bibliotheksdiener den Altar und verkaufte ihn 1810 an die Centralgemäldegaleriedirektion in München. Nach Umwegen über Landshut und Burghausen sind seit 1910 sämtliche Tafeln im Bayerischen Nationalmuseum vereint. Die heutige Aufstellung im Kirchensaal des Museums zeigt eine vor 1906 erfolgte Zusammenstellung mit falsch montierten Seitenflügeln (Abb. 20 . ), die wegen der Beschneidungen der ursprünglichen Flügel nicht korrigiert werden konnte.[42]
Der zweifach wandelbare Altar zeigt ausschließlich Szenen aus der Passionsgeschichte. In geschlossenem Zustand waren das Gebet am Ölberg und die Gefangennahme Jesu mit dem Judaskuss zu sehen, die heute als Innenseiten der Außenflügel montiert sind (Abb. 20 . ). Nach der ersten Wandlung waren außen die Geißelung und die Kreuztragung mit den Bildnissen des Stifterehepaars zu sehen, innen die Dornenkrönung (Abb. 21 . ) und das Ecce-Homo (Abb. 22 . ). In den phantasievollen und perspektivisch exakt wiedergegebenen Architekturen, aber auch bei den bewegten Soldatenfiguren des Ecce-Homo wird neuerdings die Handschrift des Hans Mair von Landshut erkannt.[43] Nach der zweiten Wandlung wurde in ganz geöffnetem Zustand kein Schrein, sondern eine monumentale Kreuzigung (Abb. 20 . ) sichtbar, während auf den Außenflügeln (links) die Nagelung ans Kreuz (Abb. 23 . ) und (rechts) die Grablegung Christi (Abb. 24 . ) dargestellt waren. Meister Jan Polack lassen sich aufgrund der Unterzeichnungen Teile der Kreuzigung, nämlich der gekreuzigte Christus und die Gruppe der klagenden Frauen, zuordnen. Außerdem stammen die zugehörigen Flügel, also die Kreuznagelung und die Grablegung, vermutlich von ihm.
[36] Vergleiche Unser Schlösserblog (Blog der Bayerischen Schlösserverwaltung), https://schloesserblog.bayern.de/geheimnisse/die-schlosskapelle-von-blutenburg
[37] Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Katalog Nr. II, Seite 149-163
[38] Meister von Flémalle: Gnadenstuhl, um 1428-30. Mischtechnik auf Eichenholz, 148,7 x 61 cm, Städelmuseum, Frankfurt am Main, Digitale Sammlung: https://sammlung.staedelmuseum.de/de/werk/gnadenstuhl
[39] Gammel 2011 (siehe Anmerkung 31), Seite 306 f.
[40] Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Katalog Nr. III, Seite 165-188
[41] Narziß Vogl: Monumentorum ecclesiae fratrum minorum Monachii …, um 1750, Staatsbibliothek München clm. 1755, Abschrift bei Rosthal 2001 (siehe Literatur), Seite 190; Lorenz von Westenrieder: Beschreibung der Haupt- und Residenzstadt München, München 1783, Seite 183. Vergleiche hierzu ausführlich Wallner 2005 (siehe Literatur), Seite 9
[42] Vergleiche auch Wallner 2005 (siehe Literatur), Seite 12
[43] Gammel 2011 (siehe Anmerkung 31), Seite 304
Außer den großen Altären werden zahlreiche Einzelwerke, Fragmente sowie kleinere Altäre Jan Polack und seiner Werkstatt zugeschrieben. Gründe dafür sind vor allem stilistische Kongruenzen zu gesicherten Arbeiten etwa bei der Gestaltung der Figuren und Gewänder oder der realitätsnahen Zeichnung menschlicher Physiognomien. Lebenden Personen nachgebildet scheinen vor allem die Gesichter der heiligen Landfried, Waldram und Eliland zu sein, die auf dem Fragment einer Predella dargestellt sind (Abb. 25 . ). Die an allen Seiten beschnittene Tafel gelangte 1804 als Säkularisationsgut aus dem Benediktinerkloster Benediktbeuern in die Zentrale Gemäldedirektion und von dort in die Nachfolgeinstitution, die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.[44] Die drei Heiligen sind der Legende nach Neffen des fränkischen Hausmeiers Karl Martell (688/91-741) und Gründer des Klosters Benediktbeuern und sollen im Jahre 740 in einer „Wildnis am Kochelsee […] ein Haus und eine Kirche, dem heiligen Benedikt geweiht“, errichtet haben.[45] Tatsächlich hat Karl Martell den aus bayerischem Uradel stammenden Landfried offenbar auf dem 725/28 gegründeten Kloster als Vasallen eingesetzt. 739/40 ernannte ihn Erzbischof Bonifatius (um 673-754) zum Benediktinerabt. Das Entstehungsjahr der Tafel, 1494, ist auf dem Gesims zwischen den beiden ersten Figuren vermerkt.
Der um 1495 entstandene Flügelaltar der Pfarr- und ehemaligen Kollegiatstiftskirche Sankt Arsatius in Ilmmünster im oberbayerischen Landkreis Pfaffenhofen ist eine Gemeinschaftsarbeit der Polack-Werkstatt mit dem Bildhauer Erasmus Grasser. 1492 verlegte Herzog Albrecht IV. das seit 1060 bestehende Chorherrenstift Ilmmünster an die vier Jahre zuvor fertiggestellte Frauenkirche in München. 1495 ließ er auch die Gebeine des heiligen Arsatius dorthin überführen, woraufhin die in Ilmmünster seit dem 9. Jahrhundert bestehende Wallfahrt zum Erliegen kam. St. Arsatius wurde Pfarrkirche. Möglicherweise stiftete Albrecht den neuen Hochaltar, um die erbosten Gemeindemitglieder zu besänftigen und zu entschädigen. Allerdings weist Weniger (2017) daraufhin, dass das Retabel wegen der Verwendung eines Kupferstichs von Albrecht Dürer (1471-1528) nicht vor 1510 entstanden sein könne. Der 1880 in neoromanischem Stil erneuerte Altar (Abb. 26 . ) zeigt in vollständig geöffnetem Zustand vier Grasser zugeschriebene Reliefs mit Szenen aus der Legende des heiligen Arsatius, dessen Gebeine um 766 aus Rom in das neu gegründete Kloster Ilmmünster überführt worden sind. An den Außenseiten sind Flügelpaare montiert, die jeweils sechs, also insgesamt zwölf gemalte und der Polack-Werkstatt zugeschriebene Bildtafeln enthalten. Sie zeigen korrespondierend zu den Reliefs (links) die Bischofsweihe und den Tod des Heiligen, (rechts) die Enthauptung eines der Heiligen Drei Könige, deren Reliquien Arsatius der Legende nach als Bischof von Mailand aus Konstantinopel in seine Heimatstadt gebracht haben soll, sowie darunter die Überführung der Gebeine von Arsatius in einem noch offenen Sarg nach Ilmmünster. Die acht Tafeln der ersten Wandlung zeigen Szenen aus der Passion Christi.
Ein Zeugnis privater Frömmigkeit ist der kleine Hausaltar des Münchner Bürgers Konrad Zaunhack (Abb. 27-28 . ), den dieser ab 1494 nach einer Reise ins Heilige Land von der Polack-Werkstatt anfertigen ließ. Während seiner Reise ließ er in Candia auf Kreta, dem heutigen Iraklio, von der Werkstatt des Andreas Ritzos (1421-1492) ein Lukasbild anfertigen, also eine Kopie jenes Marienbildnisses, das der Evangelist Lukas von der Gottesmutter mit dem Jesuskind selbst gemalt haben soll, und reiste damit nach Jerusalem. Er brachte das Bild in Berührung mit den heiligen Stätten, darunter dem Heiligen Grab und jenem Erdloch, in dem das Kreuz Jesu auf dem Kalvarienberg gestanden haben soll. Zurück in München fügte die Polack-Werkstatt die Ikone in einen kleinen Flügelaltar für den Hausgebrauch ein, der auf den geschlossenen Flügeln die heiligen Barbara und Katharina, in geöffnetem Zustand die heiligen Andreas und Bartholomäus über ausführlichen Texten zur Entstehungsgeschichte des Marienbildnisses zeigt. In den Rahmen der Ikone wurden Reliquien aus dem Heiligen Land eingesetzt, darunter Teile vom Kreuz, vom Grab Marias, von der Geißelsäule und der Goldenen Pforte. Der linke Text trägt die Jahreszahl 1499 für die Vollendung des Altars.[46]
Zeugnis der Marienverehrung und familiärer Traditionen ist auch eine auf Holz gemalte Schutzmantelmadonna, die sich in der Chorscheitelkapelle der Münchner Frauenkirche befindet (Abb. 29 . ). Vor goldenem Hintergrund breitet die gekrönte Muttergottes mit einem Ährenkleid ihren Mantel aus, unter den sich Menschen verschiedener Stände geflüchtet haben. Die alte Rechtspraxis, nach der hochgestellte Persönlichkeiten Schutzbedürftigen und Rechtlosen Zuflucht und Beistand, den sogenannten Mantelschutz, gewähren konnten, wurde in der Malerei für allegorische Darstellungen übernommen. Seit dem 13. Jahrhundert fand das Thema der Schutzmantelmadonna weite Verbreitung. Unten links ist der kniende Stifter der Tafel, der Domherr und Dekan Sigismund Sänftl (um 1450-1519), dargestellt, dessen Familie die Kapelle als ihre Grablege gestiftet hatte. Gegenüber in der unteren rechten Ecke sind vermutlich Bruder und Schwägerin des Stifters, Ludwig Sänftl und dessen Ehefrau Ursula Schweindl, mit vier Kindern und neun Enkeln oder verstorbenen Nachkommen zu sehen. Die lateinischen Inschriften enthalten Gebetsformeln zu Ehren der Jungfrau Maria. Die untersuchten Unterzeichnungen lassen keine sicheren Schlüsse auf die Maler der Tafel zu, vermutlich Mitarbeiter aus dem engeren oder weiteren Umfeld der Werkstatt, auch wenn das Gemälde weiterhin zusammen mit anderen Werken in der Münchner Frauenkirche wie den Passionsszenen des Andreasaltars Jan Polack zugeschrieben wird.[47]
[44] https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/A0GOlPD4dp
[45] Bavaria Sancta. Leben der Heiligen und Seligen des Bayerlandes …, bearbeitet von Dr. Magnus Jocham, München 1861, Band 1, Seite 197 f.
[46] Der Hausaltar wurde 2007 mit Mitteln der Renate König-Stiftung für das Kolumba – Kunstmuseum des Erzbistums Köln erworben, Beschreibung auf der Webseite der Stiftung: https://www.renatekoenig-stiftung.de/projekte/hausaltaerchen-zaunhack/
[47] Steiner/Grimm 2004 (siehe Literatur), Katalog Nr. XI, Seite 253-256. Weniger 2017 (siehe Literatur), Seite 230
Ein Altarflügel mit der Stigmatisation des heiligen Franziskus (Abb. 30 . ) befindet sich als Leihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen im Historischen Museum in Regensburg. Auf der Gegenseite sind der schreibende Evangelist Johannes auf Patmos zu sehen, dem Maria als Himmelskönigin erscheint, und darunter eine Kreuzigung Petri (Abb. 31 . ). In Regensburg wird außerdem ein 1510 entstandenes Retabel mit dem Marientod aufbewahrt. 1988 hat der Kunsthistoriker James Marrow an der Princeton University Jan Polack und seiner Werkstatt vier Altarflügel im Los Angeles County Museum of Art zugeschrieben.[48] Sie zeigen Adam und Eva im Paradies (Abb. 32 . ), Stammvater Abraham, der Gott in Gestalt von drei Engeln mit Essen bewirtet (Abb. 33 .), die Taufe Jesu (Abb. 34 . ) sowie den lehrenden Christus (Abb. 35). Eine Verkündigung Mariä, die Buchner (1933) in Hamburgischem Privatbesitz erwähnte, erschien 2008 im Auktionshandel (Abb. 36 . ). Sie stammt von den Nachkommen des Hamburger Tabakindustriellen August Neuerburg (1884-1944).[49] Das Bildnis eines jungen Mannes, das nach einem Ankauf im Jahre 1927 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München aufbewahrt wird (Abb. 37), wurde von Buchner als Werk von Jan Polack aus dem Jahr 1477 katalogisiert und später von Stange (1960) in die Zeit um 1490/95 datiert. Es gilt, ohne dass es einen Beleg dafür gibt, als Selbstporträt des Malers,[50] vermutlich weil es zur Entstehungszeit gar keinen anderen Anlass gegeben hätte, eine von Kleidung und Habitus her einfach situierte Person außerhalb eines größeren Zusammenhangs im Bild festzuhalten.
Je länger sich die Wissenschaft und je intensiver man sich mit dem Werk von Jan Polack befasst – darauf hat Steiner hingewiesen – desto mehr lösen sich die Persönlichkeit und die künstlerische Einzelleistung des Malers auf.[51] Waren schon zu Beginn der Beschäftigung mit seinem Werk am Anfang des vorigen Jahrhunderts mit bloßem Auge Spuren verschiedener Mitarbeiter zu erkennen, so haben die modernen technischen Hilfsmittel differenzierte Arbeitsvorgänge und weitere in der Werkstatt tätige Persönlichkeiten zutage gefördert. Diese Tatsache ist aber kein Verlust, sondern eher ein Gewinn für die Kunstgeschichte, denn sie belegt, dass unsere traditionelle Ansicht vom Künstler als göttlichem Genie kaum mehr als eine romantische Vorstellung ist.
Der Meister der Spätgotik war Werkstattleiter, versierter Organisator und Geschäftsmann, der sowohl seinen Gehilfen, Malern und Schreinern Anweisungen zu erteilen hatte als auch in der Lage war, mit seinen kirchlichen und fürstlichen Auftraggebern erfolgreiche Verhandlungen zu führen. Gleichzeitig war er aber auch ein hervorragend ausgebildeter Maler, dessen künstlerische Fähigkeiten Vorbild für seine Werkstatt sein mussten und dessen Stil von der Öffentlichkeit als anspruchsvoll, modern und wegweisend empfunden werden konnte. Darüber hinaus waren Kreativität und Wissen gefragt; denn die Arbeiten aus der Werkstatt von Jan Polack sind nicht nur dramatisch erzählt, sondern entsprechen auch inhaltlich den theologischen Anforderungen ihrer Zeit. Zwar werden seine Herkunft und seine Persönlichkeit vermutlich für alle Zeiten im Dunkeln bleiben, dennoch tritt uns der Meister durch die erhaltenen Urkunden, Quellen und nicht zuletzt durch seinen Vorsitz in der Lukas-Malerzunft als herausragende Persönlichkeit Münchens, einer prosperierenden bürgerlichen Handelsstadt und Landeshauptstadt einer einflussreichen Herzogsfamilie, gegenüber.
Axel Feuß, April 2021
[48] Paul Pieper: Vier Flügel des Jan Polack oder seiner Werkstatt in Los Angeles, in: Bruckmanns Pantheon. Internationale Jahreszeitschrift für Kunst, Band 46, 1988, Seite 44-49. Auch bei Weniger 2017 (siehe Literatur), Seite 230. Online-Katalog des Los Angeles County Museum of Art, https://collections.lacma.org/node/2262575
[49] Sotheby’s, London, Auktion vom 10.7.2008, E-Katalog: https://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2008/old-master-paintings-day-sale-l08034/lot.102.html
[50] Vergleiche Lenbachhaus, München, Sammlung online: https://www.lenbachhaus.de/entdecken/sammlung-online/detail/bildnis-eines-jungen-mannes-selbstbildnis-30001702
[51] Steiner: Jan Polack – Werk 2004 (siehe Anmerkung 2), Seite 25 f.
Literatur:
Matthias Weniger: Polack, Jan, in: De Gruyter Allgemeines Künstlerlexikon, Band 96, Berlin/Boston 2017, Seite 229 f.
Jakub Adamski: O znaczeniu dzieł Jana Polacka dla motywów architektonicznych w dekoracji Pontyfikału Erazma Ciołka (Ms. Czart. 1212 IV), in: Rozprawy Muzeum Narodowego w Krakowie, Neue Folge (Seria nowa), Band 8, Krakau 2015, Seite 263-279
Stephanie Wallner: Studien zur Maltechnik des Jan Polack und seiner Werkstatt am Beispiel der Altartafeln der Franziskanerklosterkirche und der Peterskirche in München, Diplomarbeit Technische Universität München, 2005, online verfügbar unter: https://www.ar.tum.de/fileadmin/w00bfl/rkk/media_rkk/downloads/Diplom-_und_BA-Arbeiten/Wallner_Diplomarbeit_Endfassung.pdf
Peter B. Steiner / Claus Grimm (Herausgeber): Jan Polack. Von der Zeichnung zum Bild. Malerei und Maltechnik in München um 1500, Ausstellungs-Katalog Diözesanmuseum Freising und Bayerisches Nationalmuseum München, Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg 2004
Sabine Rosthal: Jan Polack. Studien zu Werk und Wirkung, Dissertation Freie Universität Berlin (1998), Mikrofiche Berlin 2001
Claus Grimm: Der handwerkliche Hintergrund der Blutenburger Altäre, in: Blutenburg, herausgegeben von Johannes Erichsen (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur, 1) München 1983, Seite 183-201
Alfred Stange: Deutsche Malerei der Gotik, Band 10: Salzburg, Bayern und Tirol in der Zeit von 1400 bis 1500, München und andere, 1960 (Reprint Nendeln 1969), Seite 81-95
Ernst Buchner: Polack, Jan, in: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker, herausgegeben von Hans Vollmer, Band 27, Leipzig 1933, Seite 200-202
Online:
Andrea Langer: Polack, Jan, in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), Seite 593 f. [Online-Version], https://www.deutsche-biographie.de/pnd118831860.html#ndbcontent
(Alle hier und in den Anmerkungen verzeichneten Links wurden zuletzt im April 2021 aufgerufen.)