Władysław Szpilman (1911–2000). „Der“ Pianist
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Die Berliner Jahre
Den Warschauer Professoren fiel das Talent des jungen Pianisten rasch auf. Ebenso erging es ihm an der Berliner Akademie der Künste, an der sich der Zwanzigjährige anschließend mit einem Stipendium eingeschrieben hat. Hier setzte er seine Klavierausbildung bei den Professoren Artur Schnabel und Leonid Kreutzer fort und studierte Komposition bei Franz Schreker. Dieser Aufenthalt in Berlin spielt in Szpilmans späterem Berufsleben eine wichtige Rolle. Anfang der Dreißiger Jahre genoss die Kultur eine Ausnahmestellung in der pulsierenden Metropole. In den Clubs regierte der Jazz und die damals populären Revuen zogen auch auswärtige Scharen von Zuschauern an. „Berlin bestätigte den Gast aus Polen in seiner Überzeugung, die Stadt mit ihrem Rhythmus, dem Getrappel der Passanten und mit dem Gehupe der Autos und Busse müsse das Hintergrundgeräusch für Unterhaltungsmusik sein. Außerdem sollten die Themen solcher Lieder nicht mehr verwelkte Blumen auf den Gräbern der Liebe sein, sondern der Sport, die neuen Gebäude und die Veränderungen in der Struktur der Stadt.“[5] In Berlin entstanden Szpilmans erste symphonische Werke sowie die Klaviersuite „Życie maszyn“ („Das Leben der Maschinen“).
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und der aufkommende Antisemitismus führten dazu, dass Władysław Szpilman 1933 beschloss, Berlin zu verlassen und nach Warschau zurückzukehren, um seine Ausbildung bei dem legendären Pianisten Aleksander Michałowski fortzusetzen. Bald darauf fand er sich mit dem berühmten Geiger Bronisław Gimpel zu einem Duo zusammen, das seinerzeit sehr beliebt war. Zwei Jahre später fing Szpilman dann an, Unterhaltungsmusik zu komponieren. Er debütierte mit dem Lied „Jeśli kochasz się w dziewczynie“ („Wenn Du Ein Mädchen Liebst“) mit Text von Emanuel Schlechter. Mieczysław Fogg hat den Titel im Comedy-Musical „Kot w worku“ („Die Katze im Sack“) im Warschauer Kabarett Cyrulik Warszawski interpretiert.
1935 wurde Władysław Szpilman vom Polnischen Rundfunk (Polskie Radio) engagiert. Damit ging ein lang gehegter Traum des Pianisten in Erfüllung: „Meine Faszination für das Radio begann 1927, als ich mir als armer Student einen schwachen Kristallempfänger kaufte. Ich war überglücklich, wenn es mir gelang, meinen Kopfhörern etwas zu erlauschen. Im Gebäude in der Zielna-Straße 25, in dem der Polnische Rundfunk seit 1929 residierte, gab es zwei Studios. In einem stand ein Steinway-Flügel. Dort spielte ich. Ich kam täglich zur Arbeit und machte alles was zu machen war. Vor allem sorgte ich für Klavierbegleitungen.“[6] Daneben widmete sich Szpilman der Unterhaltung, indem er unter anderem Konzerte mit solchen Größen wie dem bereits erwähnten Bronisław Gimpel, mit Henryk Szeryng und Roman Totenberg gab. Seine Karriere als Komponist entwickelte sich ebenfalls gut; aus seiner Feder stammen viele bekannte Titel der Vorkriegszeit, darunter „Nie ma szczęścia bez miłości“ („Es gibt kein Glück ohne die Liebe“) und „Straciłem twe serce“ („Ich habe dein Herz verspielt“). Außerdem schrieb er Filmmusik, etwa 1938 zu dem Melodram nach dem Roman „Wrzos“ („Die Heide“) von Maria Rodziewiczówna sowie 1939 zu „Doktor Murek“ von Tadeusz Dołęga-Mostowicz.
Die Anfänge der Katastrophe
Der Ausbruch des Kriegs stoppte diese aufstrebende Karriere. Unterschriebene Verträge, angefangene Kompositionen und schon vereinbarte Konzerttermine spielten plötzlich keine Rolle mehr. Mit dem 23. September 1939, an dem die denkwürdige Sendung als letztes Live-Programm im besetzten Warschau ausgestrahlt wurde, war es mit Szpilmans Anstellung vorbei. An den Folgetagen, vor allem am 25. und 26. September, eskalierte die deutsche Gewalt. Szpilman verbrachte diese Zeit in einer Wohnung von Freunden, die ihn mit seinen Eltern und Geschwistern aufgenommen hatten. Am 28. September unterzeichneten die Generäle Tadeusz Kutrzeba und Johannes Blaskowitz um Viertel nach eins im Skoda-Werk im Stadtteil Rakowiec die Kapitulation der Hauptstadt. Szpilman wagte sich erst zwei Tage später auf die Straßen. Die völlig zerstörte Stadt bot ein apokalyptisches Bild. „Niedergeschmettert kam ich heim: Die Stadt - so schien es mir, dem Unerfahrenen, damals - gab es nicht mehr. Nowy Świat zwängte sich als schmaler Pfad zwischen Trümmerhaufen hindurch, an jeder Ecke musste man einen Umweg um Barrikaden aus umgestürzten Straßenbahnen und herausgerissenen Gehwegplatten machen. Auf den Straßen häuften sich Leichen im Zustand der Verwesung. Die von der Belagerung ausgehungerte Bevölkerung stürzte sich auf die herumliegenden Pferdekadaver. Die Ruinen vieler Häuser schwelten noch“, erinnert sich Szpilman in seinem Buch.[7]
In den zweisprachigen Bekanntmachungen, die an den Mauern der Stadt ausgehängt worden waren, sicherten die Deutschen der Warschauer Zivilbevölkerung Arbeit und ein menschenwürdiges Leben zu, den Juden wurden alle Rechte und die Unantastbarkeit ihres Vermögens garantierten. Doch es stellte sich schnell heraus, dass es sich dabei nur um leere Versprechungen und den zynischen Versuch gehandelt hatte, das Vertrauen der Warschauer:innen zu gewinnen. Die Zustände in der Stadt verschlechterten sich von Tag zu Tag. Die Repressionen, denen die jüdische Gemeinschaft ausgesetzt war, die immerhin ein Drittel der Bewohner ausmachte, nahmen ständig zu.[8] Zunächst wurden die jüdischen Bankkonten konfisziert und Juden mit einem Arbeitsverbot belegt. Anschließend wurden sie gezwungen, Armbinden mit dem Davidstern zu tragen. Ihre Geschäfte und Betriebe wurden ebenfalls stigmatisiert. Anfang 1940 wurden die Synagogen geschlossen und kurz darauf wurde das von Juden bewohnte Viertel wegen angeblicher Seuchengefahr mit Stacheldraht eingezäunt. In dieser Zeit erschien in der Warschauer Zeitung, die von den Deutschen in polnischer Sprache herausgegeben wurde, ein Propaganda-Artikel, den Władysław Szpilman in seinen Warschauer Memoiren mit diesen Worten zitiert: „Die Juden sind nicht nur Schädlinge der Gesellschaft, sondern auch Seuchenüberträger. Sie werden nicht in ein Getto eingeschlossen, nicht einmal das Wort »Getto« sollte benutzt werden. Die Deutschen sind ein zu kulturvolles und großmütiges Volk, um selbst Schmarotzer wie die Juden in Gettos zu sperren [...] Vielmehr wird ein gesondertes jüdisches Stadtviertel entstehen, in dem nur Juden wohnen und sich völliger Freiheit erfreuen werden und wo sie ihre rassisch bedingten Bräuche und ihre Kultur pflegen können.“[9]
[5] Groński, Ryszard Marek: Pianista Warszawy [Der Stadt-Pianist von Warschau], in: Polityka, Ausgabe 49/2011, 30.11.2011, Seite 88.
[6] Radiosendung „Ludzie Polskiego Radia“ [„Die Menschen des Polnischen Radios“], Anna Skulska im Gespräch mit Władysław Szpilman, https://www.polskieradio.pl/39/156/Artykul/2372032,Chopin-wsrod-huku-bombardowania-Ostatni-dzien-nadawania-Polskiego-Radia-we-wrzesniu-1939 (zuletzt aufgerufen am 16.09.2020).
[7] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 33.
[8] Im Oktober 1939 lebten in Warschau fast 360.000 Juden; nach Ruta Sakowska: Ludzie z dzielnicy zamkniętej [Menschen aus dem abgeschlossenen Stadtviertel], PWN, Warszawa, 1993, Seite 29.
[9] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 51.