Henryk Nazarczuk: Polnische Kriegsgräber in Deutschland. Eine Topographie des Todes

Deutschlandkarte mit der Topographie des Todes
Deutschlandkarte mit der Topographie des Todes (per Hand aufgeklebte Punkte im Zeitraum ca. 1985-2017)

Wiederum andere Opfer ruhen an unbekannten Orten, oft unter einer gepflegten Grasnarbe, jedoch ohne Hinweis darauf, wer dort bestattet wurde, dies neben einem umsichtig eingerichteten, vorbildlich gepflegten Quartier für Soldaten der deutschen Wehrmacht (Husum) und unter zig ähnlichen „Rasenplätzchen”. Sie wurden als Zwangsarbeiter oder nur als „Pole” bestattet, nicht selten unter verdrehten Namen und ohne weitere persönliche Angaben. Nach Kriegsende haben die Westalliierten ihre gefallenen oder in Gefangenschaft gestorbenen Landsleute exhumiert und in Heimatboden erneut bestattet oder sie haben eigens Kriegsgräberstätten angelegt, wie die Holländer in Hamburg und Hannover. Selbst die Russen haben die Gräberfrage teilweise geordnet, indem sie von den örtlichen Behörden erzwungen haben, einige russische Massenfriedhöfe auf deutschem Boden anzulegen und dass, obwohl sie die Kriegsgefangene zu Verrätern erklärten, weil sie sich seinerzeit ergeben haben. So gesehen, blieben sehr viele Russen und sehr viele Polen im Land ihrer Gefangenschaft zurück.

Nun gut, die politisch-wirtschaftliche Nachkriegsordnung in Polen von 1945 bis 1989 erklärt manches, aber nicht alles. Diejenigen, die in der deutschen Gefangenschaft mit dem Leben davon kamen, hatten kaum eine Wahl für ihr Leben „danach”, ein Teil von ihnen verlief sich in der westlichen Welt, ein anderer Teil beschloss, in Deutschland zu bleiben und die Hilfe in den westlichen Besatzungszonen in Anspruch zu nehmen. Diejenigen, die nach Polen zurückkehrten, erfuhren schon bald, was sie unter der „Besatzung” des östlichen Verbündeten in der „Freiheit“ erwartet. Die „Idylle” des Lebens in der Obhut des Volksstates endete abrupt, sobald sie sich offenbarten. Es folgten Verhaftungen und Prozesse, die nicht selten Todesstrafen verhängten, Einschüchterungen und Verfolgungen von Mitgliedern der Heimatarmee sowie Versuche, ihr Heldentum zu verunglimpfen und aus dem nationalen Gedächtnis zu tilgen.

Es gibt nur einige wenige Initiativen in Deutschland, die an die Teilnehmer des Warschauer Aufstands erinnern, beispielsweise in Hamburg–Harburg. Diese wurden in den Nachkriegsjahren von den hier gebliebenen Aufständischen ins Leben gerufen. Bedauerlicherweise aber wurde keine Liste erstellt und es ist auch keine überliefert, der die Gräber der im Land ihrer Gefangenschaft bestatteten Kameradinnen und Kameraden sowie die im Laufe der Zeit der Verwahrlosung anheimgefallenen Gräber zu entnehmen sind. Mit jeder neuen Reform des Kriegsgräbergesetzes (GräbG) wurden immer mehr Friedhöfe aufgehoben und gerieten anschließend in Vergessenheit. Die polnische Exilregierung und die Organisationen der Kombattanten der Heimatarmee, die bis heute in den Ländern existieren, in die die Soldaten des Aufstands emigrierten, ergriffen keine Initiativen und sie zeigten kein Interesse an diesem Thema. Niemand setzte sich für diese Gräber ein! So kam es vor, dass ich mich schämte, als mir auf einigen Friedhöfen gesagt wurde: Sie sind der erste Pole, der nach diesen Gräbern fragt.

Der 4. Juni 1989[7], ein wichtiger Tag in der jüngsten Geschichte Polens, sowie die bei diversen Feierlichkeiten immer häufiger aufgetretenen Frauen und Herren mit Orden an der Brust, die weiß-rote Armbinden trugen, auf denen das Symbol des „Polska Walcząca” (Kämpfendes Polens) zu sehen war, ließen auf bessere „Zeiten” für die im Land der Gefangenschaft verschollenen und vergessenen Soldaten des Aufstands hoffen. Tatsächlich aber ist nichts in diesem Sinne geschehen. Ihre Kameradinnen und Kameraden demonstrierten, während sie im Dienste einer anderen, oft politischen Sache standen, was wie von selbst die Assoziation auslöst... „im Westen nichts Neues”.

 

[7] Tag der ersten halbfreien Wahlen in Polen, die das Ende des Kommunismus eingeläutet haben.

Mediathek
  • Deutschlandkarte mit der Topographie des Todes

    Per Hand eingeklebte Punkte im Zeitraum ca. 1985-2017
  • Henryk Nazarczuk

    Vor seiner Deutschlandkarte mit den Eintragungen der polnischen Kriegsgräber
  • Das erste von Tausenden Gräbern, die er dokumentierte

    Keine Angabe zum Ort
  • Lagerfriedhof in Husum-Schwesing

    KZ-Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme
  • Namenlose Grabstätte für polnische, russische und ukrainische Kinder in Hannover

    Gedenkort auf dem Friedhof Hannover-Seelhorst.
  • Gedenkort auf dem Friedhof Hannover-Seelhorst

    Sicht von der gegenüberliegenden Seite
  • Autoatlas mit Eintragungen der Gräber von Henryk Nazarczuk

    Mit Markierungen aus dem Zeitraum ca. 1985-2017
  • Materialsammlung zum Atlas der Gräber von Henryk Nazarczuk

    Handschriftliche Notizen, kopierte Quellen und Karten. Deutsch und Polnisch.
  • Henryk Nazarczuk - Video besuchter Friedhöfe

    Entstehungszeitraum unbekannt. Veröffentlicht auf Porta Polonicum mit der Genehmigung von Henryk Nazarczuk
  • Henryk Nazarczuk, 2016

    Henryk Nazarczuk in Hannover, 2016