Henryk Nazarczuk: Polnische Kriegsgräber in Deutschland. Eine Topographie des Todes

Deutschlandkarte mit der Topographie des Todes
Deutschlandkarte mit der Topographie des Todes (per Hand aufgeklebte Punkte im Zeitraum ca. 1985-2017)

1995 fand in Oberlangen (Emsland) die feierliche Enthüllung eines Gedenksteins für die Insassen des Stalag VI statt, bei der ich die Gelegenheit hatte, mit den unmittelbar Betroffenen, den Soldaten des Warschauer Aufstands, zu sprechen. Zur Vorbereitung auf dieses Treffen habe ich viel über den Warschauer Aufstand und über den Abzug ganzer Trupps Aufständischer in die Gefangenschaft nach der Unterzeichnung der Kapitulation gelesen. Teilweise kannte ich auch die Orte, an denen die Stalags und die Oflags waren, in denen außer den im Polenfeldzug im September 1939 gefangen genommenen Soldaten auch die Soldaten der Armia Krajowa (Heimatarmee) interniert wurden. Leider aber hat diese Zusammenkunft mit den Teilnehmerinnen des Aufstands keine neuen Erkenntnisse erbracht. Diese Frauen, die sich selbst als „dziewczyny oberlangówki“ (die Oberlangener Mädels) bezeichnen, kamen dem Besuchsprogramm kaum nach. Aus den kurzen Gesprächen mit ihnen ging nur hervor, dass es „schwer” in der Gefangenschaft war. Zum Glückt wurde keine von ihnen in Oberlangen getötet und keine starb. Sie wussten nicht mal von ihren Mitstreiterinnen in der Heimatarmee, die hier unter tragischen Umständen nach dem Krieg verstarben und in der Nähe bestattet wurden.

Na ja, dachte ich, sie hatten es nicht leicht in der „neuen sozialistischen” Heimat. Die Enttäuschung kam erst später. Viele Jahre versuchte ich, die Kombattanten der Heimatarmee, die am Warschauer Aufstand teilgenommen haben und jetzt in Polen lebten, zu mahnen, damit aufzuhören, nur der Gefallenen von Warschau und der dort Bestatten zu gedenken. Insofern habe ich bei der Veröffentlichung der Dokumentation im Internet einen Apell formuliert, der auf der Eingangsseite zum Warschauer Aufstand zu lesen ist:

”Das nationale Gedenken ist eine Angelegenheit, die gerecht erfüllt sein will. Wohl sind die rund 400 Gräber, die über den deutschen Boden verstreut sind, nur ein Bruchteil dessen, was an Gräbern auf dem Powązki-Friedhof (Cmentarz Powązkowski) und dem Friedhof im Warschauer Stadtteil Wola (Cmentarz Wolski) anzutreffen ist, doch rund 400 Soldaten des Warschauer Aufstands sind ein ganzes Bataillon, dessen Angehörige oft in der Gefangenschaft an Verwundungen starben oder in Konzentrationslagern getötet wurden. Diejenigen, die in diesen Gräbern ihre letzte Ruhestätte fanden, haben sich mit ihrem bewaffneten Kampf ihr Recht auf nationales Gedenken erworben. Deshalb fügen wir diese vergessenen Gräber zu den alljährlich geehrten und zu den auf den Friedhöfen Powązki und Wola täglich besuchten Gräbern sowie zu den in Warschaus Straßen errichteten Gedenkorten für die Helden von Warschau hinzu.”

Zum Glück aber stieß ich in meiner Enttäuschung auf das Wohlwollen einer Mitarbeiterin des Muzeum Powstania Warszawskiego (Museum des Warschauer Aufstands). Ich hatte sie auf einem der deutschen Friedhöfe kennengelernt. Von ihr erhielt ich eine Liste mit rund 100 Namen der Aufständischen, die in Deutschland starben und bestattet wurden. Dieser Hilfe habe ich neue Informationen zu verdanken, in einer Sache, die seither Grund meiner größten Enttäuschung ist: Dass es im heutigen Polen an „Interesse” an diesen Gräbern fehlt.

So zum Beispiel geschieht es mit dem „verlorenen” Lagerfriedhof des Stalag XIA Altengrabow, einem von russischen Panzern zerfahrenen Gottesacker (bis in die neunziger Jahre war hier ein russischer Truppenübungsplatz), auf dem neben den während des Polenfeldzugs 1939 in Kriegsgefangenschaft geratenen Polen, 52 Soldaten des Warschauer Aufstands ihre letzte Ruhestätte fanden. Nach ihrem Kampf für die Heimat starben sie für sie in Gefangenschaft. Bis heute zeichnet sich die „Dankbarkeit” der Heimat durch ihr Vergessen aus. Ich habe den Eindruck, dass keine der beiden Parteien (deutsch-polnische Verständigung) daran interessiert ist, die Gräber zu finden und freizulegen. 

Mediathek
  • Deutschlandkarte mit der Topographie des Todes

    Per Hand eingeklebte Punkte im Zeitraum ca. 1985-2017
  • Henryk Nazarczuk

    Vor seiner Deutschlandkarte mit den Eintragungen der polnischen Kriegsgräber
  • Das erste von Tausenden Gräbern, die er dokumentierte

    Keine Angabe zum Ort
  • Lagerfriedhof in Husum-Schwesing

    KZ-Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme
  • Namenlose Grabstätte für polnische, russische und ukrainische Kinder in Hannover

    Gedenkort auf dem Friedhof Hannover-Seelhorst.
  • Gedenkort auf dem Friedhof Hannover-Seelhorst

    Sicht von der gegenüberliegenden Seite
  • Autoatlas mit Eintragungen der Gräber von Henryk Nazarczuk

    Mit Markierungen aus dem Zeitraum ca. 1985-2017
  • Materialsammlung zum Atlas der Gräber von Henryk Nazarczuk

    Handschriftliche Notizen, kopierte Quellen und Karten. Deutsch und Polnisch.
  • Henryk Nazarczuk - Video besuchter Friedhöfe

    Entstehungszeitraum unbekannt. Veröffentlicht auf Porta Polonicum mit der Genehmigung von Henryk Nazarczuk
  • Henryk Nazarczuk, 2016

    Henryk Nazarczuk in Hannover, 2016