Henryk Nazarczuk: Polnische Kriegsgräber in Deutschland. Eine Topographie des Todes
13.12.1981 - Gefängnis. Begründung zum Internierungsbeschluss Nr. 4/81: ”…würde die Sicherheit des Landes und die öffentliche Ordnung dadurch gefährden, dass er mit der Organisation gesellschaftlicher Unruhen befasst ist”. Anschuldigungen, Drohungen oder beides zugleich waren an der Tagesordnung und schließlich fand ich mich im Land der Leute wieder, von denen mir meine Eltern und ihre Freunde aus der Zeit, die sie durch dasselbe Schicksal im Dritten Reich miteinander verband, erzählten.
1986, als ich bereits Angestellter einer Restaurierungsfirma für Steine in Hannover war (es war die Zeit, in der viele „unbekannte” Täter historische jüdische Friedhöfe verwüsteten und zerstörten), arbeitete ich mit meinen Kollegen in Holzminden an der Weser zusammen. Am Rande des Schlachtfeldes, dem der jüdische Friedhof damals glich (zig umgestürzte und teilweise zerstörte Grabsteine), fast von Pflanzen überwachsen, stand ein Grabstein, größerer und anders als die anderen, in Form einer roten Sandsteinplatte, in die folgende deutsche Inschrift eingemeißelt war:
„Als Opfer des Krieges wurden hier in den Jahren 1942-1945 vier russische Soldaten sowie 17 polnische Staatsangehörige zur letzten Ruhe bestattet.”
Auf einem Blatt Papier zeichnete ich eine Lageskizze der Erinnerungsstätte und schrieb die Inschrift ab. Am nächsten Tag machte ich ein paar Fotos und ging zur Friedhofsverwaltung (der jüdische Friedhof ist ein Teil des christlichen Friedhofs) auf „Erkundungsmission”. Dort erfuhr ich, dass sich an einer anderen Stelle des Friedhofs weitere Gräber von „Zwangsarbeitern” befinden.
Es sind offenbar nicht alle aus dem Krieg zurückgekehrt!
Was ich damals noch nicht wusste: Die Fotos, die Skizze und die abgeschriebenen Namen bildeten den Auftakt meiner ehrenamtlichen Dokumentation. Die Zahl der Zettel nahm zu, denn ich war öfter mal dienstlich in ganz Norddeutschland unterwegs und schrieb immer neue. Meine Frau Małgorzata, die es liebte, alles „in Reih und Glied” zu bringen, schenkte mir den ersten Notizblock, was so viel bedeuten konnte wie, dass sie nicht nur mein polnisches Engagement billigte, sondern auch duldete, dass ich oft später von der Arbeit zurückkam, weil ich unterwegs ein Friedhof besuchte.
Politisch kamen wir langsam „auf unsere Kosten“. Die Arbeit im Hannoveraner Club „Solidarność” verlor an politischer Dynamik. Den Kommunismus haben wir durch „KO”[5] besiegt. Die Zahl der Zettel und der Notizblöcke nahm weiter zu. Es musste etwas mit ihnen geschehen. Meine Frau nahm ein Studium auf. Der erste Computer wurde gekauft. Nach einem häuslichen „Crashkurs“ zogen die handschriftlichen und die mit der Schreibmaschine verfassten Notizen in die neue Zivilisationsepoche ein.
[5] Abkürzung für knockout.