Von polnischen Kumpels, „Polenzechen“ und „Ostarbeitern“ – Ein Blick auf 100 Jahre polnische Arbeitsgeschichte in Bochum (1871–1973)
Nachkriegszeit und Ausblick
„Nazidiktatur, Bombennächte und Todesangst waren vorüber, Not und Leid der Menschen jedoch nicht“[38]: Als Bochum am 12. April 1945 unter die britische Besatzung gestellt wurde, war dessen Stadtkern zu 90 % zerstört. Entnazifizierung, Trümmerbeseitigung und der Mangel an lebensnotwendigen Gütern waren nur einige der vielen Herausforderungen, welche die Bochumer Stadtbevölkerung nach Kriegsende bewältigen musste. Doch die Wirtschaft konnte zügig wieder in Schwung gebracht werden – 1957 ging als Rekordjahr des Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit in die Geschichte ein. In den 60er Jahren wendete sich jedoch das Blatt – mit der zunehmenden Verdrängung der Kohle durch die Energieträger Erdgas und -öl setzte die allmähliche Stilllegung der Zechen ein. Die Bochumer Zechen, welche die Stadtgeschichte in den letzten 100 Jahren so nachhaltig geprägt haben, wurden nacheinander geschlossen bis im Jahre 1973 schließlich auch die im Stadtteil Hordel gelegene Zeche Hannover als Letzte stillgelegt wurde. [39]
Und die (Ruhr-)Polen? Sie haben sich in dem hier dargestellten 100-jährigen Zeitraum zum festen Bestandteil der Bochumer Arbeits- und Stadtgeschichte etabliert. Zunächst migrierten sie als preußische Staatsbürger polnischer Sprache und Nationalität in das Ruhrgebiet und waren maßgeblich an dem wirtschaftlichen Aufschwung der Region beteiligt. Noch heute sind Spuren der ruhrpolnischen Arbeitsmigration in Bochum sichtbar: Einige der alten Zechensiedlungen, in denen auch polnische Zuwanderer Unterkunft fanden, existieren bis heute – so beispielsweise die Kolonie Dahlhauser Heide in Hordel (siehe Bild 11 & 12), wo sich in einem der denkmalgeschützten Arbeiterhäuser die Räumlichkeiten von Porta Polonica befinden (siehe Bild 13). Die ehemalige Zeche Hannover fungiert mittlerweile als einer der Standorte für das LWL-Industriemuseum (siehe Bild 14), dessen Museumsarbeit hier schwerpunktmäßig auf die Arbeitsmigration des 19. Jahrhundert ausgerichtet ist und unter anderem die ruhrpolnische Binnenwanderung beleuchtet. In den beiden Weltkriegen wurden viele Polen zwangsweise zur Arbeit in der Kriegs- und Rüstungswirtschaft unter größtenteils verheerenden und menschenunwürdigen Bedingungen eingesetzt.
Obwohl eine Vielzahl der polnischen Arbeitskräfte die deutschen Grenzen verließ, ist doch ein beträchtlicher Teil von ihnen in Deutschland und auch in Bochum geblieben. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges befanden sich nicht nur die Ruhrpolen und deren Nachfolgegenerationen in der Stadt, sondern auch die im Krieg eingesetzten polnischen Arbeitskräfte. Unmittelbar nach Kriegsende erhielten diese den Status der sogenannten „Displaced Persons“ (kurz DPs) – während ein Teil von ihnen in die Heimat zurückkehrte, ist ein weiterer Teil der DPs dauerhaft in Deutschland geblieben.
Die polnische Gemeinschaft in Bochum nahm in der Nachkriegszeit insbesondere durch Migrationsbewegungen der (Spät-)Aussiedler auch weiterhin zu. Wirft man einen Blick in das Telefonbuch, so findet man unter der Bochumer Bevölkerung, genau wie im restlichen Ruhrgebiet auch, eine Vielzahl von Familiennamen, die mit den Endungen -ski, -cki, -rek oder -czyk auf eine polnische Genealogie hinweisen. Neben polnischen Geschäften wie der SMAK-Supermarkt in Laer oder Nasza Biedronka in Wattenscheid gibt es bis heute ein aktives polnisches religiöses Leben in der Stadt, wie es durch die polnische katholische Mission in Bochum in der St. Joseph Kirche organisiert wird. Auch ein aufstrebendes kulturelles Leben der Polen am Beispiel der 2008 in Bochum gegründeten Künstlergruppe Kosmopolen wird sichtbar. Mit der Gründung der Dokumentationsstelle zur Kultur und Geschichte der Polen in Deutschland Porta Polonica, die als Bundesprojekt unter der Trägerschaft des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) im Jahr 2013 ihre Tätigkeit aufnahm, zog in Bochum außerdem eine zentrale Institution zur erinnerungskulturellen Dokumentation und Erforschung des polnischen Lebens in Deutschland ein.
Die polnische Arbeitsmigration hat im Laufe des 100-jährigen Zeitraums, der hier skizziert wurde, an unterschiedlichen Entwicklungen – allen voran wirtschaftlicher Art – in der Geschichte Bochums mitgewirkt. Heute sind die Polen und die Nachfahren der polnischen Arbeitsmigranten fester Bestandteil der Bochumer Bevölkerung und werden auch in Zukunft das kulturelle und ökonomische Leben der Stadt weiterhin mitgestalten und bereichern.
Zum Abschluss gilt ein besonderer Dank Frau Maria Schäpers und dem Montanhistorischen Dokumentationszentrum/Bergbau-Archiv in Bochum für die Bereitstellung von Dokumenten.
Natalia Kubiak, Januar 2021